Kritik an Luca-App in Berlin: Datenschutz ist kein Luxus
Der Druck, den Vertrag mit der Luca-App zu kündigen, ist immens. Die Lehre für die Politik: Sie muss endlich auf Datenschützer hören.
W enn in Deutschland über Probleme bei der Digitalisierung diskutiert wird, geht es meist um fehlende Computer in Schulen, langsames Internet auf dem Land, Faxgeräte in Gesundheitsämtern oder ähnliches. Kaum beachtet wird hingegen, dass Politiker*innen und leitende Angestellte in der Verwaltung immense Defizite haben, was die Anerkennung von Datenschutz angeht.
Das ist erstaunlich, schließlich gelten (persönliche) Daten schon länger als die Währung des 21. Jahrhunderts. Doch Datenschutz wird großflächtig ignoriert oder gilt als lästiges Übel, um das sich Beauftragte kümmern sollen, aber bitte ohne dabei allzu viel Staub aufzuwirbeln. Das zeigen zwei jüngste Beispiele aus Berlin aus den letzten Tagen.
So wurde kurz nach Jahresbeginn bekannt, dass die Freie Universität Berlin (FU) ihr Videokonferenzsystem Cisco Webex nicht datenschutzkonform und deshalb rechtswidrig nutzt. Und das bewusst: Die Berliner Datenschutzbeauftragte hatte die Uni bereits Mitte November 2021 auf diesen unerträglichen Missstand hingewiesen. Und schon seit Beginn der Pandemie und dem damit einsetzenden Boom der Videotools großer US-Techfirmen namens Zoom, Webex, Teams etc. ist klar, dass diese oftmals nicht mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vereinbar sind.
Im Falle der FU hat die Berliner Datenschutzbeauftragte ganz serviceorientiert in einem sechsseitigen Schreiben zahlreiche konkrete Vorschläge aufgelistet, was die Uni tun könne, um die Eingriffe in die Grundrechte von rund 40.000 Studierenden schnell zu mindern. Doch die FU schweigt und hofft weiter, dass der Sturm vorbeizieht.
Das zweite Beispiel, das sich nicht zu einem Desaster entwickelt hätte, wären die Bedenken von Datenschützer*innen ernst genommen worden wären, ist die Luca-App. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte im Alleingang im März eine Lizenz für Berlin erworben und war damit zum Vorbild vieler anderer Bundesländer geworden. Dem medienwirksam verbreiteten Versprechen der Entwickler*innen und Betreiber*innen um Altrapper Smudo von den Fantastischen Vier, die Pandemie mit diesem System beherrschen und ein weitgehend normales Alltagsleben mit Kneipen- und Clubbesuchen zu ermöglichen, opferten die Ministerpräsident*innen mehr als 20 Millionen Euro Steuergeld.
Auch in diesem Fall hatte die für das Unternehmen zuständige Berliner Datenschutzbeauftragte und viele andere Datenschutzexpert*innen (darunter Abgeordnete der Linken und Grünen, die beide in Berlin mitregieren) vor den Problemen gewarnt, die zum Beispiel die zentrale Speicherung der Daten bei Luca mit sich bringt. Dem rot-rot-grünen Senat war das egal: Das System wurde an die Gesundheitsämter angeschlossen, um eine schnelle Nachverfolgung der Kontakte von Corona-Infizierten zu ermöglichen.
Doch auch die Bilanz der Gesundheitsämter fällt inzwischen mehr als verhalten aus. „Die Luca-App lieferte lediglich in Einzelfällen hilfreiche Hinweise“, erklärt etwa Pankows Gesundheitsstadträtin Cordelia Koch (Grüne). Und die Berliner Datenschutzbeauftragte schreibt auf taz-Anfrage: „Im Gegensatz zur Corona-Warn-App bietet die Luca-App kaum einen Mehrwert bei gleichzeitig deutlich größeren Risiken, während sie Datenhalden produziert, die von den Gesundheitsämtern kaum genutzt werden.“
„Sehr kritische Diskussion“
Wenig überraschend herrscht deshalb inzwischen weitgehend Einigkeit bei den Datenschutzexperten von Linken, Grünen und SPD, dass der Vertrag mit der App auf keinen Fall über März hinaus verlängert werden darf. Und Berlins neue Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) sagte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, innerhalb der Gesundheitsminister*innenkonferenz werde gerade eine „sehr kritische Diskussion“ über die App geführt. Eine späte, eigentlich zu späte Einsicht.
Am Freitag wurde bekannt, dass nach Bremen und Schleswig-Holstein auch Brandenburg den Vertrag mit der Luca-App nicht verlängern will. Die Gründe dafür seien Datenschutzprobleme und die Tatsache, dass nur eines der 18 Gesundheitsämter laut einer Umfrage vom vergangenen Jahr die App regelmäßig nutze, sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Freitag nach einer Kabinettssitzung.
Die beiden Fälle Luca und Cisco Webex zeigen, dass Datenschutzbeauftragte weiterhin oft nur als ungeliebter Grußonkel oder ungeliebte Grußtante wahrgenommen werden. Verinnerlicht haben die meisten Politiker*innen die Bedeutung von Datenschutz nicht; bestenfalls opfern sie ihn viel zu leichtfertig anderen Interessen. Das muss eine Mahnung sein an die neuen Regierungen im Bund und in Berlin, die der Digitalisierung eine zentrale Bedeutung eingeräumt haben: Die Dialektik der Technik darf nicht weiter ignoriert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung