Virusvarianten, Impfziel und Ampelpläne: Omikron ist klüger als die FDP

Die neue Virusvariante hat kapiert, wie man uns austrickst. Derweil macht die neue Regierung große Versprechen. Rückblick auf die Weihnachtswoche.

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki im Bundestag

„Die FDP wird garantiert dafür sorgen, dass alle nötigen Coronabeschlüsse immer zu spät fallen“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

taz: Frau Herrmann, was war schlecht vergangene Woche?

Ulrike Herrmann: Omikron ist auf dem Vormarsch.

Und was wird besser in dieser?

Omikron ist offenbar eine besonders schlaue Coronavariante, die klar erkannt hat, wie ein Virus die Welt erobert: Es ist hochansteckend, tötet aber den Wirt eher selten, sodass es sich immer weiter ausbreiten kann. Die meisten Menschen überleben – und das Virus auch. Das ist besser als Delta, auch wenn die nächsten Wochen hart werden.

Bund und Länder haben sich am Dienstag auf Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte und Genesene geeinigt – aber erst nach Weihnachten. Dabei hatte das RKI für sofortige Kontaktbeschränkungen plädiert. Interessant ist auch der Sinneswandel des ehemaligen Mahners und heutigen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), finden Sie nicht auch?

Karl Lauterbach ist eben in einer neuen Rolle. Jetzt hat er Koalitionspartner – und dann auch noch die FDP. Prominente Liberale wie Wolfgang Kubicki lehnen ja sogar die 2G-Regel ab. Die FDP wird garantiert dafür sorgen, dass alle nötigen Coronabeschlüsse immer zu spät fallen.

Die Impfquote von 80 Prozent wird ebenfalls nicht Anfang, sondern höchstens Ende Januar erreicht. Anders als angekündigt.

Man muss fair sein: Nicht die Bundesregierung scheitert, sondern die Landesregierungen von Sachsen oder Thüringen. Bestünde Deutschland nur aus Bremen und dem Saarland, hätten wir schon eine Impfquote von 80 Prozent und mehr.

Die taz hat diese Woche über den Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums unter Robert Habeck (Grüne) berichtet. Habeck fordert eine „erweiterte Wohlfahrtsmessung“, die den klassischen BIP-Zahlen „Gerechtigkeits- und Nachhaltigkeitsindikatoren“ zur Seite stellt. Wird der Kapitalismus also bald doch menschenfreundlich?

Das Problem am Kapitalismus ist, dass er wachsen muss, um stabil zu sein. Unendliches Wachstum ist aber in einer endlichen Welt nicht möglich. Also muss man sich vom Kapitalismus verabschieden, wenn man Klimaschutz betreiben will. An dieser brutalen Tatsache ändert sich nichts, indem man neue Messgrößen einführt.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Saskia Weishaupt ist Zielscheibe eines rechten Shitstorms. Weishaupt hatte in Bezug auf eine Demo gegen Coronamaßnahmen am Donnerstag in München getwittert: „Die Taktik von den Quer­den­ke­r:in­nen ist es, sich Stück für Stück die Straße zu erkämpfen. Polizei muss handeln und im Zweifelsfall Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen. Wir dürfen ihnen keinen Millimeter überlassen!“ Ist der starke Staat nun unser Freund?

Das Gewaltmonopol des Staates war schon immer eine gute Idee. Die Alternative wäre Selbstjustiz oder Bürgerkrieg.

Familienministerin Anne Spiegel hat einen bezahlten zweiwöchigen „Väterurlaub“ nach Geburt angekündigt. Hat es dafür die Grünen in der Regierung gebraucht?

Die zwei Wochen sind schön. Aber für den Alltag der Eltern ist entscheidend, ob es genug Betreuungsangebote für ihre Kinder gibt. Derzeit fehlten bundesweit etwa 173.000 Kita-ErzieherInnen, und diese Lücke wird in den nächsten Jahren noch größer.

Mit Franziska Giffey bekommt Berlin erstmals eine Regierende Bürgermeisterin. Im Wahlkampf ging sie mit dem Slogan „Ganz sicher Berlin“ auf Stimmenfang. Wird Berlin das nächste Bayern?

Giffey gedenkt, von einem Trend zu profitieren: Die erfassten Straftaten sinken in Berlin seit Langem. Da gibts jedes Jahr eine Erfolgsmeldung. Selbstdarstellung kann Giffey, ganz wie Söder.

Vorige Woche tauchte ein Video der ehemaligen chinesischen Weltklasse-Tennisspielerin Peng Shuai auf. Sie spricht von Missverständnissen und will nie behauptet haben, von einem Parteifunktionär sexuell missbraucht worden zu sein. Muss ein Olympia-Boykottbeschluss der Bundesregierung her?

Ein politischer Boykott wäre richtig. China wird sich deswegen nicht ändern – aber vielleicht das Internationale Olympische Komitee, das die Spiele vergibt.

Und was machen wir jetzt mit unserem Geld?

Das bleibt ein großes Rätsel. Immobilien sind jedenfalls riskant, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst ermittelt hat. Vor allem in den Großstädten sind die Wohnungen spekulativ überteuert – wer jetzt noch kauft, könnte später verlieren. Und damit zurück an Friedrich Küppersbusch.

Fragen: mlr, waam, vag

Ulrike Herrmann ist Autorin und Wirtschaftsredakteurin der taz und schreibt gerade ein Buch über das „Ende des Kapitalis­mus“. Sie ist die Urlaubsver­tretung für die Kolumne von Friedrich Küppersbusch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.