Nationalparkprogramm der DDR-Regierung: Naturschutz auf den letzten Drücker

Es war der größte Coup der deutschen Naturschützer: Bei der letzten Sitzung stellte die DDR-Regierung knapp 5 Prozent des Staatsgebiets unter Schutz.

Der Greifswalder Professor Michael Succow steht in einem Morrgebiet und betrachtet Schilf, das sich schon ein Jahr nach der Renaturierung im Moor angesiedelt hat

Umtriebiger Naturschützer: Michael Succor untersucht ein renaturiertes Moorgebiet Foto: Jens Koehler/imago

BERLIN taz | Es war einer der hinteren Tagesordnungspunkte auf der allerletzten Sitzung der Regierung der DDR: Am 12. September 1990 verabschiedete der Ministerrat des untergehenden Staates sein „Nationalparkprogramm“. Damit wurden vor 30 Jahren 4.882 Quadratkilometer Landschaft unter Schutz gestellt, knapp 5 Prozent des Territoriums der DDR. Nachdem am 1. Oktober die Verordnungen in einem Sonderdruck des „Gesetzblattes der Deutschen Demokratischen Republik“ veröffentlicht wurden, traten sie in Kraft – zwei Tage vor dem Beitritt zum Geltungsbereich des westdeutschen Grundgesetzes.

Das war der größte Coup deutscher Naturschützer im 20. Jahrhundert: Gegen Agrarlobby und Wirtschaftsverbände, gegen alle politischen Widerstände wurden fünf Nationalparks, sechs Biosphärenreservate und drei Naturparks geschaffen – im Spreewald zum Beispiel, auf der Ostseeinsel Rügen, in der Rhön oder der Märkischen Schweiz. Bis dahin gab es in der DDR 783 kleinere Naturschutzgebiete. Dieser „Inselnaturschutz“ betraf lediglich 0,9 Prozent der DDR-Fläche.

Zwar hatte das „Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz“ in Halle in den 80er Jahren ein umfangreiches Programm zur Ausweisung von Biosphärenreservaten entwickelt. Aber die DDR hatte da längst andere Probleme als den Naturschutz: 1989 war mehr als die Hälfte der Wälder geschädigt, nur noch 20 Prozent der Flüsse waren zur konventionellen Trinkwassergewinnung geeignet. Es gab 13.000 Mülldeponien, darunter Tausende „wilde“ – und eine wachsende Umweltbewegung, die regional stark wurde.

„Die Wendezeit war eine kurze Phase, in der die Menschen beseelt waren“, erinnert sich Michael Succow, der als Vater des Nationalpark-Coups gilt. Jahrelang hatte sich der promovierte Biologe mit anderen Naturschützern für Schutzgebiete starkgemacht – mit mäßigem Erfolg. „Auf einmal war sehr, sehr viel möglich“, sagt Michael Succow. Zum Beispiel stellvertretender Minister zu werden. Ende November 1989 prangerte der Professor im DDR-Fernsehen die Umweltschäden im Arbeiter-undBauern-Staat an, live und unzensiert. Kurz darauf bat ihn der damalige Umweltminister Hans Reichelt von der Bauernpartei DBD als sein Stellvertreter, die Geschäfte zu übernehmen. Der Naturschützer Succow witterte seine Chance. 1997 wurde er für sein Engagement mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Streit mit dem neuen Umweltminister

Allerdings ist Succow nur das Gesicht des Coups von 1990, ohne Mitstreiter wäre er nie erfolgreich gewesen. Zwar brachte Succow die Naturschutzpläne im Januar 1990 am Zentralen Runden Tisch ein, jener Parallelregierung, die in den revolutionären Tagen der DDR das Sagen hatte. Im März allerdings war schon wieder Schluss mit „Minister Succow“: Bald nach der ersten freien Volkskammerwahl trat er im Streit mit dem neu berufenen Umweltminister aus der Ost-CDU zurück.

Aber Succow hatte da schon seine Mitstreiter ins Ministerium geholt, die sich längst an die Detailarbeit gemacht hatten: Hans-Dieter Knapp etwa, der schon am Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz der DDR an einem Naturschutzkonzept gearbeitet hatte; Lutz Reichhoff, der auch aus diesem Institut kam, oder Matthias Freude und Lebrecht Jeschke. Weggefährten seit den 60er Jahren.

Zudem gab es starke Initiativen vor Ort, die dafür kämpften, intakte Landschaften unter Schutz zu stellen, im Hochharz zum Beispiel, wo Abhörexperten der Stasi und des KGB eine eigene Welt betrieben, am Ostufer der Müritz etwa, ein jahrzehntelang geschlossenes Gebiet für die Jagdgelüste der Staatsoberen, oder in Sachsen, wo Naturschützer seit Jahren für die Errichtung eines Nationalparks „Sächsische Schweiz“ kämpften. Auch Hilfe aus dem Westen gab es: Dokumente belegen, dass der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) persönlich Druck aufbaute, als der neue DDR-Umweltminister von der Ost-CDU versuchte, die Pläne auszubremsen.

Graue Eminenz der deutschen Naturschutzes

„Der Erfolg beruht auf der Arbeit von zwei Gruppen“, urteilt Hans-Werner Frohn, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutzgeschichte. Auf der einen Seite sei es die Opposition gewesen, die rasche Veränderungen erreichen wollte. „Auf der anderen Seite trugen die Kräfte aus dem Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz erheblich bei“, sagt Frohn. Denn die konnten „Verwaltung“, wussten, wie aus Plänen Verordnungen werden.

„Michael Succow ist die Graue Eminenz des deutschen Naturschutzes“, urteilt Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Der einzige deutsche Aue-Nationalpark wurde 1995 gegründet. „Wie viele andere Gebiete in der DDR wurde das Territorium 1990 mit einer ‚einstweiligen Sicherung‘ belegt“, erläutert Treichel. Dies bedeutete, dass auf dem heute 10.000 Hektar großen Nationalpark keine Veränderungen mehr vorgenommen werden durften. „Praktisch ein erster Schutzstatus“, sagt Treichel. Succow und seine Truppe haben so wesentlich mehr Schutzgebiete geschaffen, als am 12. September 1990 beschlossen wurden.

„Es gab damals eine regelrechte Euphorie bei den Naturschützern“, sagt auch Hans-Werner Frohn. In Westdeutschland seien bis dahin viele Projekte in der Bürokratie hängen geblieben, „jetzt machten die Ostdeutschen vor, dass es geht“.

Eher negative Bilanz

Vor 30 Jahren waren knapp 5 Prozent des Territoriums der DDR für den Naturschutz viel. „Heute bieten rund 16 Prozent der Bundesfläche mehr oder weniger effektiven Schutz“, sagt Volker Scherfose vom Bundesamt für Naturschutz. Neben 16 Nationalparks und 18 Biosphärenreservaten existieren heute mehr als 100 Naturparke, deren Schutzwirkung allerdings deutlich geringer ist.

Trotz des Flächenzuwachses fällt Scherfoses Gesamtbilanz „eher negativ“ aus: Der Pestizideinsatz beispielsweise habe in den vergangenen Jahren zugenommen, viel zu hohe Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft würden vielen Arten zusetzen, es gebe einen massiven Insektenrückgang. „Gebietsschutz ist zudem nur ein Teil des Naturschutzes“, sagt Scherfose. Ein anderer wäre zum Beispiel der Klimaschutz, „denn die Erderwärmung setzt vielen Arten und Ökosystemen zu“. Klimaschutz aber werde hierzulande zu zögerlich betrieben. Bereits heute führe die Erderwärmung in Deutschland zu Dürre und Baumsterben.

In den 2000er Jahren wandte sich Michael Succow von Deutschland ab: „Mein Rat ist hier nicht gefragt.“ Mit seiner Stiftung initiierte er Biosphärenreservate in Kirgisien, Kasachstan und Usbekistan, Nationalparks in der Mongolei, in Georgien, in Russland. Ohne Michael Succow wären Kamtschatka, das Lenadelta oder Karelien heute gewiss nicht Weltnaturerbe der Unesco. Oder korrekter: ohne ihn und seine Mitstreiter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.