Tierschützer über Tierleid im Labor: „Ein echter Sadist“

Vier Monate filmte ein Aktivist der Soko Tierschutz undercover das Tierversuchslabor LPT in Mienenbüttel. Was er erlebte, beschäftigt ihn noch heute.

Affen sitzen, fixiert in Applikationsstühlen, davor stehen Mitarbeiter des Labors LPT in weißen Schutzanzügen

Kein Entkommen: Affenversuch bei LPT Foto: Soko Tierschutz/Cruelty Free Int.

taz: Herr … Wie soll ich Sie nennen?

Ich möchte meinen Namen nicht nennen und wenig von mir preisgeben. Nachdem ich die erschreckenden Aufnahmen aus dem Tierversuchslabor LPT veröffentlicht habe, wurde ich angefeindet. Ich möchte meine Familie schützen.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Tierschützer undercover im Tierversuchslabor?

Irgendwann habe ich mich selbst ein bisschen verroht gefühlt. Insbesondere die ersten zwei Tage waren für mich krass, als ich gesehen habe, wie Hunden Kapseln in den Hals gezwängt wurden und sie danach gestorben sind. Auch das Töten der Tiere am Ende der Studie war schlimm.

Was war dabei Ihre Rolle?

Ich musste die Tiere fixieren, damit sie getötet werden konnten. Ein Bild, das sich mir eingebrannt hat: Ein Beagle sitzt auf seinen Hinterbeinen und ich halte die Vorderläufe. Um die Vene anzuschwellen, muss ich mit der rechten Hand das Bein fixieren, und der Tierarzt setzt die Spritze an, um die volle Ladung reinzugeben. Dann muss ich die Hand lösen, damit das Euthanasium in den Blutkreislauf kommt. In dem Moment dreht sich der Hund zu mir und guckt mir tief in die Augen. Das war sein allerletzter Blick. Solche Augenblicke sind bis heute noch schwierig für mich.

Das heißt, Sie haben da ganz normal Ihren Job als Tierpflegehelfer gemacht?

Ja. In erster Linie ging es ums Filmen, aber ich musste auch die Sachen machen, die von mir verlangt wurden, um nicht ständig aufzufallen. Die innere Balance zu behalten, bei dem, was da gerade abging, das war nicht einfach. Bei der Arbeit hatte ich aber gar keine Zeit, um darüber nachzudenken. Emotional wurde es bei mir zu Hause. Es gab Momente, da habe ich mich nach einem Acht-Stunden-Arbeitstag in die Ecke gesetzt und habe geheult. Das passiert mir heute noch.

Der Tierschützer, 44, ist gelernter Elektroinstallateur. Im Labor LPT in Mienenbüttel arbeitete er von Dezember 2018 bis Ende März 2019 als Tierpflegehelfer. Seine Aufnahmen hat der Tierrechtsverein Soko Tierschutz veröffentlicht.

Was haben Sie in dem Labor beobachtet?

Im ersten Monat habe ich mit Hunden und Katzen zu tun gehabt. Katzenstudien waren selten, aber intensiv für die Mitarbeiter. Es ist schwierig, eine Katze zu fixieren, ohne sie zu zerbrechen oder sich selbst zu verletzen.

Weil sie kratzen und beißen?

Sie wehren sich. Das ist ein Muskel, den man mit den Händen bändigen muss. Es gab ein Katzenexperiment in der Zeit, in der ich dort war, und plötzlich gab es einen Mitarbeiterschwund. Der Krankenstand war hoch.

Wie lief das Katzenexperiment ab?

Die Tiere wurden in der Vorphase trainiert, so nannte man das. Sie wurden mit Gewalt eingefangen, mit Kraft von einem Mitarbeitern fixiert, einer hat das Maul aufgehebelt und dann wurde ihnen ein Stück Fleisch als Belohnung ins Maul gegeben, für die Katze unerwartet. Die einzige ausgebildete Tierpflegerin vor Ort erklärte mir später, wie man das mit Katzen eigentlich machen sollte: Sich viel Zeit nehmen und die Katzen langsam daran gewöhnen. Das wurde bei LPT nicht gemacht.

Wie erging es den Hunden?

Experimente mit Hunden gab es täglich. Die Beagles waren dauerhaft in heller Aufruhr. Es waren jeweils zwei Hunde in einem etwa vier Quadratmeter großen Zwinger mit weiteren vier Quadratmetern Außenbereich ohne irgendeine Beschäftigung eingesperrt.

Die sind nie mit Mitarbeitern Gassi gegangen oder hatten sonstwie Bewegung?

Nein. Das kam auf den Tierpfleger an. Aber der hat natürlich auch keine Zeit. Er muss die Zwinger reinigen, die Tiere füttern und sauber machen, die Hunde fixieren für die Studien, er muss Protokoll schreiben. Er ist beschäftigt. Ich habe nach dem Reinigen öfter Mal kurz einzelne Hunde, die nicht im Versuch waren, ausbüxen lassen. Die haben sich riesig gefreut, dass sie laufen konnten. Aber das ist nicht die Regel. Die Tiere sind halt Bioreaktoren, Versuchskörper, eine Sache.

Aus Ihren Aufnahmen, die Sie mit der Soko Tierschutz veröffentlicht haben, bleibt das Bild eines Beagle in einer Blutlache im Gedächtnis.

An dem Tag wurde den Hunden mit einem Schlauch und einem Trichter eine giftige Substanz eingeführt. Ein paar Stunden später lagen die Hunde in ihrem eigenen Blut. Sie sind an der Vergiftung gestorben. Das ging mindestens sieben bis acht Stunden so.

Beagle sitzt, den Kopf gesenkt, neben blutigen Fliesen

Später an der Vergiftung gestorben: Beagle Foto: Soko Tierschutz/Cruelty Free Int.

Und die Affen?

Das sind wilde Tiere, die auf viel zu kleinem Raum 24 Stunden lang durchdrehen. Ich habe mal eine Kamera in den Käfig gehängt. Man sieht da Tiere, die oft dieselbe Bewegung machen. Affen, die rückwärts im Kreis rennen, Saltos machen oder gegen das Gitter springen.

Stimmt es, dass ein Mitarbeiter einen Affen gegen eine Wand geschlagen hat?

Nein, gegen eine Türzarge. Es gab eine 26-wöchige Studie mit diesen Langschwanzaffen. Dabei wurde denen jeden Tag eine Substanz durch einen Schlauch eingeführt. Dazu werden die Affen in einem Applikationsstuhl am Hals fixiert. Der Tierpfleger, der den Affen dorthin gebracht hat, ein echter Sadist, hat dem nervösen Affen vorher eins mitgegeben. Das habe ich gefilmt.

Wie haben Sie Ihre Kollegen sonst im Umgang mit den Tieren erlebt?

Ganz verschieden. Dort waren Menschen, die Selbstgespräche führen. Das klingt fast wie eine Entschuldigung gegenüber dem Tier, aber sie machen es trotzdem jeden Tag. Nach dem Motto: „Ich hoffe, dass du im nächsten Leben nicht über mich zu richten hast.“ Dann hat man auch sehr emotionale Momente, wenn eine Tierpflegerin weint, wenn sie Katzen für Versuche vorbereiten muss, aber mit den Hunden und Affen ist das schon wieder ganz anders. Die Menschen dort sind in ganz unterschiedlichen Maßen verroht. Manchmal hatte ich das Gefühl, die denken, dass sie da wirklich etwas Gutes für die Menschheit tun.

Aber natürlich könnte das das Motiv für die Berufswahl sein. Einen Beitrag dazu zu leisten, Mittel gegen Krankheiten zu finden.

Es gab eine Tierpflegerin, die mit mir bei den Affen gearbeitet hat. Mit ihr hatte ich sehr viele Gespräche. Es kristallisierte sich heraus, dass sie viel mehr Wissen über die Tiere hatte als die anderen Mitarbeiter, die ursprünglich Mechaniker, Militärmusiker oder Metzger waren, also eben keinen medizinischen Beruf oder einen mit Tieren gewählt hatten.

War es ein Problem des Labors, dass dort zu wenig Fachpersonal gearbeitet hat?

Eindeutig.

Sie beschreiben ein recht kollegiales Verhältnis zu dieser Tierpflegerin. Durch ihre Aufdeckung wird auch sie bald ihren Job los sein, wenn das Labor 2020 schließt. Kommen Sie da in einen Zwiespalt?

Nein, die Frau hatte schon vor der Veröffentlichung ihren Job gewechselt.

Aber für die anderen Mitarbeiter gilt das doch auch.

In dem Moment, in dem ich mich in diese Gruppe begebe und nicht auffallen will und versuche, mein Ziel zu erreichen, komme ich in Situationen, in denen ich Menschen sehr nah komme. Natürlich war ich integriert, ich habe mit denen Karten gespielt. Das ist Mittel zum Zweck. So grob, wie diese Menschen mit den Tieren umgehen, gehe ich mit ihnen um.

Vieles von dem, was auf Ihren Videos zu sehen ist, war zwar nicht schön, aber legal. Unterscheiden Sie das?

Ich lehne solche Versuche vollkommen ab. Davon abgesehen entspricht das, was in dem Labor LPT passiert, meiner Meinung nach nicht der Gesetzgebung. Nehmen wir die Reserveaffen. Die müssten eigentlich in großen Volieren leben und Beschäftigung haben. Das ist aber nicht so. Ich frage mich,wie man es mit solchen kleinen Käfigen hinbekommen will, dass die Tiere in einer gesunden psychischen Verfassung sind. Eine Voraussetzung für Tierversuche.

Halten Sie es etwa bei Krebserkrankungen nicht für sinnvoll, dass an weiteren Mitteln geforscht wird?

Das Argument ist x-fach zerfleddert worden, weil viele Medikamente vom Markt genommen wurden, die Nebenwirkungen hatten, die sich bei den Tieren nicht gezeigt haben.

Woher kommt bei Ihnen diese starke Affinität zu Tieren?

Es geht mir immer darum, die Schwächeren zu schützen. Ich war in meiner Kindheit auch mal der Schwächere und weiß, wie sich das anfühlt.

Wenn es eine Gerechtigkeitsfrage ist, warum setzen Sie sich nicht für schwächere Menschen ein, sondern für Tiere?

Was mich bei Tieren so wütend macht, ist, dass sie keine Stimme haben und mit ihrem Leid auch noch Profit gemacht wird.

Sind Sie Veganer?

Ja, im vierten Jahr.

Das heißt, es ist noch gar nicht lange her, dass Sie sich radikalisiert haben?

Fleisch gegessen habe ich schon Ewigkeiten nicht. Ich und meine Frau waren schon Vegetarier. Aber wir haben noch Milch und Honig gegessen und Leder getragen.

Und was hat ausgelöst, dass Sie selbst Aktivist geworden sind?

Ich kam in Kontakt mit polnischen Tierschützern, die Jagdsabotage betrieben haben. Das Bild, das sich mir dort bot, war eine Horde bewaffneter Besoffener, die sich orange bekleidet in den Wald begeben hat, um Tiere zu erlegen. Die Tierschützer haben Krach gemacht und sich vor die Flinten gestellt. Die Jäger haben nichts erlegt. Ein super Erfolg.

Ein Gruppenprotest ist eine andere Nummer als über Monate in einem Labor anzuheuern. Warum haben Sie das gemacht?

Ich finde, das ist die effizienteste Methode, um etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu tun.

Hatten Sie Angst, erwischt zu werden?

Morgens hatte ich immer Sorge, dass etwas passiert. Deshalb habe ich mich gut vorbereitet. Ich hatte ja eine Kamera an mir.

Fürchten Sie eine Klage? Sie haben bestimmt einen Arbeitsvertrag mit einer Geheimhaltungsklausel unterschrieben, oder?

Das habe ich, aber sie gilt nicht, weil ich mit dem Film beweisen kann, dass sich LPT strafbar gemacht hat.

Würden Sie so eine Undercover-Aktion noch mal machen?

Ja, sofort.

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