Reformer in der Linkspartei mucken auf: Klare Kante gegen Wagenknecht

Reformer in der Linken kommen zum Krisentreffen in Berlin zusammen. Man spricht über Einwanderung, eigene Fehler und Sahra Wagenknecht.

Porträt Stefan Liebich schaut zur Seite

Müde geworden über die Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht – Stefan Liebich Foto: imago/photothek

BERLIN taz | Sahra Wagenknecht öffentlich zu kritisieren wagten in der Linksfraktion bisher wenige. Nicht nur weil man sich scheute, die prominenteste Politikerin öffentlich zu beschädigen, sondern auch weil sich die Reformer und die Ultralinken in der Fraktion zur Mehrheitskoalition verbündet haben. Doch das soll sich wohl künftig ändern.

Auf einem kurzfristig anberaumten Treffen des Forums demokratischer Sozialismus, fds, am Sonntag in Berlin machten viele der etwa 70 Teilnehmer ihrer Unzufriedenheit über die fehlende Kritik der Fraktion an Wagenknechts Äußerungen zu Wirtschaftsmigration und deren Skepsis gegenüber der sehr liberalen Flüchtlingspolitik der Linkspartei Luft. Aus Unmut über den verhaltenen Widerspruch gegenüber diesen “wiederholt vorgetragenen politischen Zumutungen“ hatten prominente Gründungsmitglieder das Forum Anfang Juni verlassen. Zwei von ihnen, die Berliner Vize-Landesvorsitzende Sandra Brunner sowie der Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, waren am Sonntag ebenfalls anwesend.

Er nehme diese Kritik an, sagte der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich am Sonntag. Als Wagenknecht 2016 erstmals von „Gastrecht“ im Zusammenhang mit Asylbewerbern sprach, habe es aus der Fraktion noch sehr heftige Reaktionen gegeben. „Aber später sind wir müde geworden“, sagte Liebich. Er kündigte an: „Wenn solche Äußerungen künftig kommen, dann müssen aus den Reihen der Reformer deutliche Gegenreaktionen kommen.“

Liebich verteidigte zugleich das Bündnis mit den Wagenknecht-Anhängern, das sogenannte Hufeisen. Erstmals in seinen neun Jahren als Bundestagsabgeordneter sei es in dieser Konstellation überhaupt gelungen, dass Reformer Einfluss auf die außenpolitischen Positionen der Linken hatten, sagte Liebich, der das Amt als außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Wolfgang Gehrcke übernommen hat. Im April war es beispielsweise gelungen, gemeinsam mit den Grünen einen Antrag zu 70 Jahre Israel einzubringen, in dem sie unter anderem eine doppelte Staatsbürgerschaft für Israelis in Deutschland forderten.

„Keine Gemeinsamkeiten mit dem Personenkreis um Sahra“

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak hatte für den Sonntag ein Thesenpapier vorbereitet, in dem sie betonte: „Es ist wichtig klar zu machen, dass inhaltlich und methodisch keine Gemeinsamkeiten mit dem Personenkreis um Sahra bestehen.“

Der Konflikt mit dem Wagenknecht-Lager, so beschreibt ihn Wawzyniak, beschränke sich nicht nur auf die Frage der Flüchtlingspolitik, sondern zwischen denjenigen, „die für eine offene Gesellschaft inklusive offener Grenzen streiten. … Auf der anderen Seite stehen diejenigen, … die den Nationalstaat als zentralen Bezugspunkt ihrer Vorschläge betrachten.“

Wawzyniak wirbt in dem Papier dafür, sich als Reformer in der Flüchtlings- und Arbeitsmigrationsfrage noch einmal deutlich zu positionieren. „Wir müssen eineindeutige Signale für ein weltoffenes und solidarisches Deutschland in einem grenzen- und mauerlosen Europa aussenden.“

Die Hälfte denkt wie Wagenknecht

Unter jenen, die Wawzyniak zustimmten, war auch ein junges Parteimitglied aus Bayern. In seinen Landesverband seien innerhalb eines Jahres 1.000 Menschen eingetreten, „und zwar trotz Wagenknecht. Das sind alles Leute, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen wollen“. Er erwarte vom fds daher, „dass wir ordentlich Ramba-Zamba machen und auch mal die Bundestagsfraktion kritisieren“.

In Thüringen sehe die Lage freilich anders aus, sagte Frank Tempel, Mitglied des Parteivorstands. In seinem Kreisverband würden etwa 50 Prozent wie Wagenknecht denken. Er sei nicht bereit, sich überwiegend an ihr abzuarbeiten.

Dass es mit Kritik an der Fraktionsvorsitzenden allein nicht getan ist, machten auch andere Reformer deutlich. Es sei eine Schande für die Partei, dass man sich seit zwei Jahren an der Frage der Migrationspolitik zerreibe, aber kaum konkrete Konzepte vorlägen, wie eine linke Migrationspolitik aussehen könnte, schreiben baden-württembergische fds-Mitglieder in einem Debattenbeitrag.

Auch der aus dem Forum ausgetretene Wolf warb dafür, dass die „immer wieder verschobene Debatte“ über ein Einwanderungskonzept endlich mal geführt werde. Wolf und andere ostdeutsche Fraktionsvorsitzende hatten Anfang 2017 ein Konzept vorgelegt, dass Regeln für Einwanderung, Asyl und Staatsbürgerschaftsrecht vorschlägt. Eine lang angekündigte Konferenz darüber ließ die Parteiführung jedoch immer wieder verschieben, weil der Zeitpunkt – Wahlen, bloß kein Streit – gerade ungünstig war.

Sand im Getriebe sein

Überhaupt wollen die Reformer sich künftig viel mehr als Debattenforum denn als Machtbündnis definieren und Diskussionen auch über heikle Themen, um die sich die Linke um des inneren Parteifriedens willen herumdrückt, anstoßen. Eines dieser Themenfelder ist das der Europäischen Union. In der Linkspartei gibt es bisher keine einheitliche Position, ob man die EU nun zerschlagen oder reformieren soll.

Das fds setzt hier – im Unterschied wiederum zu Wagenknecht, aber auch radikalen Linken – klar auf eine proeuropäische Politik. Um ein ordentliches Europa-Wahlprogramm hinzubekommen, werben daher viele dafür, Gespräche mit anderen Parteiströmungen und Mitgliedern zu führen – auch mit jenen, „von denen sie außerhalb der Politik nicht mal ein Stück Schokolade annehmen würden“, wie Wawzyniak es ausdrückt.

Wen sie konkret meint, wollte sie nicht verraten. Bekannt ist aber, dass Wawzyniak die Parteivorsitzende Katja Kipping auf persönlicher Ebene heftig kritisiert – ihr inhaltlich aber größtenteils zustimmt.

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