Grüner Robert Habeck im taz-Interview: „Weniger Masse, mehr Hirn“

Wie kriegt seine Partei Jamaika hin? Der Grüne Robert Habeck über Posten, rote Linien und über Cem, Katrin und Macron.

Robert Habeck jongliert mit Zitorne, Avocado und einem grünen Apfel

„Jamaika ist ein Wahnsinnswagnis. Aber eins mit Chance“, sagt der Grüne Robert Habeck Foto: André Wunstorf

taz. am wochenende: Herr Habeck, früher gab es bei den Grünen ein geflügeltes Wort: „Die arme Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor.“ Kennen Sie das?

Robert Habeck: Nein. Aber ich kann mir vorstellen, was es bedeutet.

Dort haben die beiden Parteivorsitzenden ihre Büros.

Der Bundesvorstand hat gegenüber der Bundestagsfraktion oder möglichen Ministerien die wenigsten Mittel und Mitarbeiter. Mein Ministerium in Schleswig-Holstein hat 440 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit dem nachgeordneten Apparat arbeite ich mit 2.000 Leuten zusammen. Sie helfen, dass ich keine Fehler mache, sie beantworten meine Fragen und setzen die politischen Entscheidungen im Land um.

Ein kleiner König.

Könige sind die unfreisten Menschen, die es gibt. Übrigens speist sich politische Kraft aus mehr als Geld und Personal. Ideen­reichtum, Motivation, Klarheit, Geschick. Insofern kann man es auch umdrehen: Bist du klein, bist du beweglich. Weniger Masse, mehr Hirn. Die Bundesvorsitzenden können strategisch wichtige Knotenpunkte sein.

Die Grünen suchen einen neuen Chef. Würden Sie die 2.000 gegen zwei tauschen?

Sorry, ich bin nicht auf Jobsuche.

48, ist Vizeministerpräsident von Schleswig-Holstein und dort Umweltminister. Der Grünen-Politiker bewarb sich 2015 um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl, unterlag später bei einer Urwahl nur knapp Cem Özdemir.

Wollen Sie lieber Bundesminister werden?

Ich halte es geradezu für aberwitzig, jetzt über Posten zu diskutieren. Alle, die Jamaika ernsthaft gestalten möchten, sollten sich überlegen, wie das gehen kann, nicht, was aus ihnen werden kann.

Ach ja? Die Rheinische Post berichtet, Sie und die grünen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir hätten bei einem Treffen mit FDP-Verhandlern bereits über Ressortzuschnitte gesprochen.

Das ist Quatsch. Ich war jedenfalls bei keinem solchen Treffen. Das Schlimme an solchen Meldungen, ist aber nicht nur, dass sie falsch sind, sondern der Eindruck entsteht, hier geht es um Karrieregeilheit und Posten. Wir müssen doch erst mal sehen, ob Jamaika irgendeine Grundlage haben kann.

Wie schwierig werden die Verhandlungen?

Enorm. Aber wie verspeist man einen Wal? Bissen für Bissen. Und du weißt nicht, ob du danach platzt, ob dir übel ist oder es dir einigermaßen gut geht. So dürfte der Weg nach Jamaika sein.

Wie würden Sie rangehen an den Wal?

Entscheidend wird sein, dass alle Beteiligten innerhalb ihrer eigenen Milieus dafür werben, aus der Ernsthaftigkeit der Sondierung eine Ernsthaftigkeit der Lösung zu machen. Wenn alle sich hinter roten Linien verschanzen, kann das nichts werden. Jeder muss sich trauen, dem anderen einen halben Meter entgegenzukommen, ohne die eigene Position zu verraten. Nur so kann etwas Neues entstehen, ein dritter Weg neben ausgetretenen Pfaden.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Machen Sie Witze? Die CSU schlägt gerade um sich.

Klar, wer eine Niederlage erlitten hat, haut auf die Trommel, um zu zeigen, dass er noch lebt. Das macht es nicht leichter. Je unsouveräner man sich fühlt, desto schwieriger ist es, großmütig zu sein. Nötig wäre ein konstruktiver Modus.

Was müssten die Topthemen für die Grünen in einer Regierung sein?

Damit das nicht so etwas Listenhaftes bekommt, rede ich mal von Themenfeldern. Das erste Feld ist die ökologische Transformation, von Energie über Umwelt bis Landwirtschaft. Dann wäre da die Sozialpolitik. Jamaika steht prinzipiell unter dem Verdacht, ein Bündnis der Besserverdiener zu werden. Das ist tödlich. Es wäre gerade nach dieser Wahl mit Sicherheit die falsche Antwort für die Gesellschaft. Das dritte Feld sind die Finanzen. Die Fiskalpolitik einer Jamaika-Koalition ist entscheidend. An ihr entscheidet sich die Frage, wie solidarisch, ökologisch und weltoffen Deutschland in Europa agiert.

Sie träumen. Die FDP will offenbar das Bundesfinanzministerium und der zweitstärkste Koalitionspartner durfte sich immer als erster ein Ressort aussuchen. Wie sollen die Grünen da Fiskalpolitik machen?

Die Auseinandersetzung um die Fiskalpolitik zeichnet sich als neue Hauptkonfrontation ab. Sie ist unweigerlich mit der Frage verbunden, wie Europa zusammenhält. Das Feld werden wir nicht einfach der FDP überlassen. Sie hat da eine ex­trem andere Vorstellung als wir. Und wir wissen selbst, wie eine ökologische und soziale Fiskalpolitik gestaltet werden kann. Monika Heinold, unsere Finanzministerin in Schleswig-Holstein, steuert über die Finanzen auch Politikfelder. Für den Bund muss gelten: Ein Koali­tions­vertrag müsste Europa neue Chancen eröffnen und die Deregulierungswut im Innern stoppen. Aber wie gesagt, ich rede nicht über Posten. Es haben ja jetzt schon viel zu viele Leute die Frage im Hinterkopf: Was wird aus mir? Das geht mir wirklich auf den Senkel.

Robert Habeck stapelt Avocado, Zitrone und Apfel auf seinem Kopf

Schwarz-Gelb-Grün – ob das gutgeht? Foto: André Wunstorf

Scheitert Jamaika an der Flüchtlingspolitik?

Das ist nicht ausgeschlossen. Es ist für alle Parteien ein identitäres Thema. Viele Grüne kennen Afghanen, die mit unseren Kindern Fußball spielen, die eine Ausbildung gemacht haben, Deutsch sprechen und jetzt abgeschoben werden sollen. Und weil es diesen Stellenwert hat, haben in Schleswig-Holstein alle genau geschaut, was kommt bei sicheren Herkunftsländern, bei Integration und bei Abschiebungen heraus. Wir haben hier hart, aber nicht starrköpfig verhandelt. Und weil wir da erfolgreich waren, hat das ganze Ding Kraft bekommen.

Müssten sich die Grünen in der Flüchtlingspolitik ehrlich machen? Sie sprechen nicht gern über Abschiebungen und Grenzschutz in der EU, aber sie wollen in Wirklichkeit auch nicht zu viele Menschen aus Afrika ohne Bleiberecht aufnehmen.

Alle reden doch ständig über die EU-Außengrenzen und Abschiebungen. Wir versuchen ein Gegengewicht in der politischen Debatte zu etablieren. Sollen wir das sagen, was alle sagen?

Sie drücken sich um entscheidende Punkte herum.

Ich bin im sechsten Jahr Mitglied einer Landesregierung. Natürlich wird bei uns abgeschoben, da haben wir aber auch nie ein Geheimnis draus gemacht. Aber das ist nichts, worauf ich stolz bin. Menschen ohne Bleiberecht schicken wir ja meist in Not und Elend zurück. Dahinter stecken Familiengeschichten, die wünsche ich keinem. Ich finde richtig, dass Humanität bei uns oben steht. Sie muss Leitgedanke sein für eine durchdachte Politik für Asyl und Einwanderung.

Sie sagen, die Grünen müssten in Jamaika linker werden. Führen solche Sätze nicht in eine grandiose Überforderung?

Kann sein. Jamaika ist ja im Grunde eine einzige Überforderung für die Grünen. Das ist, wenn man es zu Ende denkt, ein Wahnsinnswagnis. Das Problem ist nur: Die Leute haben so gewählt, und wir können nicht leichtfertig sagen, ist uns egal. Wenn wir nicht mit dem Willen zu gestalten sondieren, sind wir eine verantwortungslose In-die-Büsche-schlagen-Truppe. Wenn ich mich zwischen zwei Wagnissen entscheiden muss, dann nehme ich das, das die Chance auf einen Effekt hat.

Warum zündete der Wahlkampf der Grünen nicht, so dass die Ziele verfehlt wurden?

Ich finde, dass Katrin und Cem einen guten Wahlkampf gemacht haben, und sie haben geschafft, den niedrigen Umfragewerten zu trotzen.

Was können sich die Grünen bei Emmanuel Macron abschauen?

Wagemut zahlt sich aus. Manches teile ich, eine marktliberale Wirtschaftspolitik nicht. Aber er traut sich, nach vorne zu gehen, er hat einen sehr glaubwürdigen Umweltminister, und er will Europa wirklich erneuern. Und er wirkt frisch und redet nicht Plattitüden. Das imponiert mir.

Halten Sie eine Bewegung wie „En marche!“ in Frankreich in Deutschland für denkbar?

Definitiv. Der Idealismus in unserer Gesellschaft schlummert nur. Als im September 2015 die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, konnten wir eine breite gesellschaftliche Bewegung für Humanität beobachten. Sie brach schnell zusammen, lebt aber bis heute in ihren Verästelungen fort. Das war linker Pa­trio­tismus. Wenn ich mit Freunden meiner Söhne rede, merke ich immer wieder, wie hochpolitisch die sind. Dieses Potenzial wartet auf einen Form, einen Ausdruck. Wir brauchen eine emotionale, wertegebundene und identitätsstiftende progressive Politik.

Warum haben die Grünen es nicht geschafft, eine solche Emotionalität zu entfachen?

Linksliberale stemmen sich seit jeher dagegen, die Leute im Gefühl zu erreichen. Wir sind die Vernünftigen. Aber Vernunft kann eben auch schnell zu verkopft wirken.

Im Ernst? Die Grünen sind zu kopfgesteuert?

Zur Not deklinieren wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz fehlerfrei runter bis in Paragraf 37 b. Aber das löst keine Leidenschaft aus. Früher war es ein geflügelter Satz bei den Grünen, eine Programmpartei zu sein. Wir plakatieren Inhalte, keine Köpfe! Aber nur wenige Menschen identifizieren sich mit Zahlen und Paragrafen. Menschen identifizieren sich mit Menschen. Und ihren Ideen und Leidenschaften.

Die AfD zielt gekonnt auf Gefühle, indem sie Feindbilder definiert und dunkle, verboten klingende Wörter raunt.

Ich verstehe, dass viele Menschen verunsichert sind. Der Boden schwankt, die Welt ändert sich in rasendem Tempo. Alles löst sich auf – Arbeit, Nation, Familie, kulturelle Milieus. Und wir sind eine Partei der Veränderung. Aber Mangel an Dynamik und Veränderung ist gerade echt nicht das Problem vieler Leute. Deshalb: Wir müssen auch emotionalen Halt bieten.

Hören wir da zärtliche Kritik an Ihrer Partei? Wir dachten schon, Sie möchten die 8,9 Prozent mit schönreden. Eine ähnliche Zahl galt 2013 als Katas­trophe.

Nein, gar nicht. Das Ergebnis ist sehr okay. Aber es ist auch gefährlich, wenn wir selbstzufrieden werden. Wir dürfen den Anspruch, dritte Kraft und zweistellig zu werden, nicht aufgeben. Vor allem darf unser Erfolg nicht zur Stärke des Rechtspopulismus führen.

Geht das zusammen? Erneuerungsprozess und Regieren?

Eine Erneuerung in Verantwortung, geradezu aus der Verantwortung im Amt ist möglich. Aber schwer. Denn ein ministerieller Apparat bis hoch zum Minister hat die eiserne Regel: Mach keine Fehler, denn du repräsentierst den Staat. Bei einer Erneuerung der Grünen wäre es aber gerade notwendig, Fehler machen zu dürfen. Wie sieht die Gesellschaft in zehn Jahren aus? Was müssen die Sozialsysteme dann leisten? Wie definieren wir Arbeit? Was ist Frieden 2025? Das sind Fragen, die wir uns stellen und mit Radikalität nach vorne bringen müssen. Aber mit Blick auf mein Bundesland: Wir regieren jetzt im sechsten Jahr, aber die Wahlergebnisse steigen. Wir haben den höchsten Zuwachs aller Bundesländer bei der Bundestagswahl. Geht also.

Nach der Wahl 2013 diskutierten die Grünen viel über Freiheit. Sie wollten die FDP beerben.

Stimmt. Hat nicht funktioniert.

Das Freiheitsthema ist für Sie wieder erledigt?

Nein. Freiheit ist ein Querschnittsthema, genau wie Gerechtigkeit oder Solidarität. Wir sehen Freiheit immer im Systempaar mit Gesellschaft und Gemeinschaft. Wenn möglichst viele Menschen nach ihrer Facon glücklich sein sollen, brauchen wir eine Idee von Gemeinschaft, die das einhegt. Freiheit heißt nicht bindungslos zu sein, sondern die richtige Form von Bindungen für sich herzustellen. Sich freiwillig fesseln lassen. Das ist etwas anderes als der obszöne FDP-Neoliberalismus, der sagt, Hauptsache, du entfaltest dich selbst.

Christian Lindner sagte in der Debatte über Steuerpolitik, die Gier des Staates trage kleptokratische Züge.

Das ist ein ganz böser Teaparty-Jargon. Damit legt er nahe, dass jede Einnahme des Staates nicht rechtens sei und der Staat gegen die Interessen der Bürger agiere. Die Generation Maihofer, Flach Baum oder Hamm-Brücher, die Liberalen der Freiburger Thesen, das waren Persönlichkeiten, vor denen ich intellektuellen Respekt habe. Die FDP 2017 hat eine starke Kampagne gemacht. Aber das, was sie verkauft, dieser trendige, aber leer laufende Individualismus, spricht mich nicht an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.