Die Grünen und die Schuldenbremse: Im Nein steckt eine Chance
Die Grünen verweigern Union und SPD die Zustimmung zur Grundgesetzänderung. Nun könnten sie sich als Verantwortungspartei neu ins Spiel bringen.

J etzt haben die Grünen also bis auf Weiteres einen letzten Trumpf auszuspielen: die Zustimmung oder Ablehnung einer Grundgesetzänderung im Bundestag zur Schuldenbremse. Dafür braucht die potenzielle neue Bundesregierung aus Union und SPD wohl ihre Stimmen. Am Montag hat die Grünen-Fraktion mitgeteilt, sie werde dem vorgeschlagenen Verteidigungs- und Infrastrukturpaket nicht zustimmen. Daraus ergeben sich Fragen: Welchem überarbeiteten Vorschlag würden sie denn zustimmen? Welche Ziele wären damit verknüpft?
Ziel könnte einerseits das Wohl der Bundesrepublik sein, andererseits die eigene Profilierung, im Idealfall beides. Voraussetzung dafür ist, die eigene Identität zu klären, die mit der krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl nach außen und nach innen unklar geworden scheint. Wer sind wir – und wenn ja, wozu?
Wie es nach den Sondierungen der letzten Woche aussieht, wollen CDU/CSU und SPD zwei Dinge: Die Union will die veränderte geopolitische Lage endlich ernst nehmen und in die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und Europas investieren. Die SPD und letztlich alle drei wollen als Parteien der fossilen Industriegesellschaft und des Gießkannen-Sozialdemokratismus die Gegenwart auf Kosten von Zukunft noch einmal verlängern. Die „Investitionen“ sollen weniger in nachhaltige Strukturen getätigt werden als in Stillhalte-Geschenke an größere Teile der Gesellschaft durch Vermeiden von Zukunft. Was ja angesichts des Aufstiegs der illiberalen Kräfte durchaus ein Wert ist, aber die Probleme nicht löst. Kurzfristig könnte etwas Ruhe einkehren, mittelfristig werden ohne Zukunftspolitik die populistischen Kräfte wachsen, nicht allein die AfD.
Jetzt müssen die Grünen erst einmal wissen, wie sie das Wahlergebnis deuten. Nach dem Verlust von 700.000 Stimmen an die Linkspartei wäre es naheliegend, zu sagen: Aha, wir müssen „linker“ werden. Was letztlich heißen würde: ideologisch-kompromissloser. Zum Beispiel nein zu Waffen, nein zu Merz, nein zu Kapitalismus, nein zu (europäischen) Kompromissen. Nun haben die Grünen aber auch 460.000 Stimmen an die Union verloren. Das sind Leute, denen die Partei zu ideologisch zu sein scheint, zu kompromisslos, zu sehr auf das Eigene fixiert, mit einem zu geringen Blick auf das Ganze und die Realität.
Wähler wollen ein Weiterwurschteln
Viele Wähler haben Union und SPD für ein demokratisches Weiterwurschteln gewählt, und das explizit ohne die Grünen. Denen wird von beiden Seiten ein Realitätsbezug des alten Links-rechts-Denkens vorgeworfen. Das heißt: Es gibt nicht nur an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft ein eklatantes Vakuum für eine Partei, die die globale Realität nicht ausblendet und offensiv thematisiert, wo künftig Wohlstand herkommen soll. Also Geld für den Sozialstaat, den Nuklearschutzschirm, den Digitalschutzschirm, notwendige Innovationen für Weltmarktstärke – und das alles auf einer postfossilen Basis zum Schutz planetarischer Grundlagen. Gleichzeitig muss man sehen, dass die gesellschaftliche Nachfrage für mutige Politik jenseits der gewohnten Parameter derzeit nicht allzu groß ist.
Die Frage der Grundgesetzänderung ist dennoch und bei aller konjunktureller Zurückhaltung eine Chance für die Grünen, sich wieder neu ins Spiel zu bringen – als Verantwortungspartei, die Entscheidungen trifft und Bündnisse nicht auf Grundlage traditioneller Gebräuche und Gefühle schließt, sondern wegen realer Notwendigkeiten. Das würde allerdings bedeuten, dass man die Politikmethode von Robert Habeck nicht verwirft, sondern verfeinert: nicht aus falschem Radikalitätsverständnis in altgrünes Kläffen zurückfallen, sondern einen anderen und effektiven Umgang finden, beispielsweise mit Markus Söder.
Den CSU-Chef kann man nur stoppen, indem man die gemäßigten Konservativen gewinnt, die den Zivilitätsverlust durch Söder zunehmend nicht mehr aushalten. Die realistische Lösung kann nicht sein: weg mit der CSU! Aber sie muss sein: weg mit Söder! Das klingt nicht gut, muss aber sein, weil durch die veränderte Weltlage die variable Bündnisfähigkeit und Handlungsbereitschaft immer wichtiger wird. Gerade weil Rechts- und andere Populisten mit Ideologie reüssieren.
Klares Abgrenzungspotential
So gesehen ist es ein gutes Zeichen für die Liberaldemokratie, dass die FDP aus dem Bundestag gewählt wurde, weil beinharte Ideologen wie Parteichef Christian Lindner und Ex-Bundestagsmitglied Wolfgang Kubicki von ihrer Schuldenbremsenideologie nicht abweichen wollten. So ist auch der Vorwurf an den mutmaßlich nächsten Kanzler Friedrich Merz, er halte sein Wahlversprechen nicht, zwar richtig, führt aber zu nichts. Das Problem ist nicht, dass Merz im Ansatz jene Habeck-Investitionspolitik umsetzen will, die er im Wahlkampf verteufelte. Es zeigt, das zumindest Merz beim Regieren die Realität vor die Ideologie stellt, was immer die zentrale Stärke der CDU war. Das Problem indes ist, dass die völlig veränderte Lage nicht im Wahlkampf thematisiert wurde – und nun in großen Teilen weiter ignoriert werden soll.
Der Gedanke ist schlüssig, dass die Grünen als Verantwortungspartei inhaltlich den zügigen Investitionen in europäisch angelegte Verteidigung zustimmen, nicht aber der nationalen Infrastrukturgießkanne und schon gar nicht der Ignoranz gegenüber Klimapolitik. Damit hätten sie auch ein klar abgegrenztes Oppositionsprofil gegenüber der Linkspartei.
Entscheidend aber wird sein, ob es auf dieser Grundlage gelingt, sich eben nicht wieder zum Klima-Moral-Dingsbums reduzieren zu lassen, sondern neues Vertrauen aufzubauen in die Grünen als Partei der bürgerlichen, zivilisatorischen und europäischen Werte. Die als vorerst Einzige auf Diskussion und Lösung der neuen Realitäten dringt, aber eben niemals in der Sicherheitszone einer moralischen Minderheit, sondern stets mit dem Prinzip, die dafür notwendigen Allianzen mit anderen aufzubauen.
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