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Zukunft der InnenstädteBrauchen wir Fußgängerzonen noch?

Viele Karstadt-Filialen müssen schließen, die jungen Leute kaufen sowieso nur noch online ein. Ein Plädoyer für und eins gegen die Fußgängerzone.

Einkaufsstraße Zeil in der Innenstadt von Frankfurt am Main Foto: imago

Ja

Kapitalismuskritik hat in der Fußgängerzone keinen kostenlosen Parkplatz. Die Fußgängerzone ist eine Insel des Konsums und ein Ort der Passage. Hier geht man nicht hin, um zu bleiben, sondern um durchzugehen.

Hier ist jeder Passant – außer denen, die da arbeiten. Außerhalb des Bezahlvorgangs passieren hier Begegnungen, Blicke, Gespräche, Beobachtungen per definitionem nur en passant. Reicht einem jemand ein Taschentuch, weil das Eis auf den Mantel tropft, oder macht jemand einen Witz über eine Schaufensterauslage, über die man auch gerade gelacht hat, stellt sich das kurze Glück der zufälligen Begegnung ein. Die zwischenmenschliche Begegnung ist in der Passage ein Glück im Sinne von glücklicher Zufall. Auf den für zwischenmenschliche Begegnungen vorgesehenen Freiflächen ist sie oft ein Krampf: Chillen kann auch überfordern.

Freilich müssen Fußgängerzonen nicht aussehen wie die Zeil oder die Königstraße. Der deutsche Mittelstand sollte mal geschlossen auf Fortbildung nach Palermo. Dort kann man lernen, dass nicht nur Autos aus Fußgängerzonen verbannt gehören, sondern auch Großketten wie H&M, Kik oder Karstadt. Münchner Buchhändler und Berliner Biogemüseladenbetreiber wehren sich gegen die Einrichtung von Fußgängerzonen, weil sie fürchten, dass mit dem Verlust des Durchgangsverkehrs auch die Lust am Einkaufen stirbt. Woher kommt diese Angst? In Palermo, wo noch bis vor kurzem Verkehr, Luftverschmutzung und brachliegende Ruinen waren, ist heute die gesamte Innenstadt „area pedonale“. War der Corso Vittorio Emanuele einst kaum ohne Lebensgefahr überquerbar und in höchstens zwei Läden eine Pizza all’aroma di Auspuff zu genießen, haben dort heute kleine Läden Hochkonjunktur und die Straßen sind proppenvoll. Voll von glücklichen Menschen, die sich was Schönes kaufen und jemandem, dem gerade Eis auf den Mantel tropft, ein Taschentuch reichen können. Doris Akrap

Nein

Seit Jahren wird das Ende der Fußgängerzone beschworen. Doch egal ob Stuttgart oder Delmenhorst, Klein- oder Großstadt, noch immer gibt es überall diese eine autofreie Straße, in der wir uns unserer Konsumlust hingeben sollen. In der Vorstellung vieler ist es ein romantisches Sträßchen mit alteingesessenen Buchläden und kleinen Modeboutiquen. In der Realität sind es graue Betonklötze, in denen sich Handy-Läden an leerstehende Geschäfte und Filialen der ewig gleichen Ketten von H&M über Douglas bis Zara reihen.

Doch das scheint Fußgängerzonen-Verfechter nicht zu verunsichern. Mit Verve schießen sie regelmäßig gegen ihre Lieblingsfeinde, die Online-Shopper. Dabei spricht vieles fürs Einkaufen im Internet: Die Auswahl ist vielfältiger und hält auch Kleidung für Menschen größerer Größen bereit, es ist bequem und zeitsparend. Ein Argument dagegen ist Nachhaltigkeit. Klar, wer sich regelmäßig Pakete liefern lässt, ist nicht die größte Klimaqueen. Doch wer mit dem Auto in die Innenstadt brettert, um in Geschäfte zu gehen, die erst vor wenigen Wochen gelernt haben, dass es gar nicht so klug ist, seine Eingangstür stets offen stehen zu lassen, wenn gleichzeitig der Innenraum beheizt oder gekühlt wird, auch nicht.

Auch das Argument, Online-Shopper seien schuld an der Verödung der deutschen Innenstädte, ist Quatsch. Die Unkreativität der Stadt­pla­ne­r*in­nen ist dafür verantwortlich. Fußgängerzonen sind charmbefreite Orte, die weder inklusiv noch nachhaltig sind. Das immer weiter schwindende Interesse von Geschäften und Be­su­che­r*in­nen sollte Hinweis genug sein, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Warum muss denn, wenn ein Karstadt aus der Fußgängerzone verschwindet, ein neues Kaufhaus einziehen? Stattdessen könnte dort ein Park entstehen, eine Kita oder ein Jugendclub, ein Spielplatz oder ein Freibad. Freiraum für alle statt Shoppen für wenige. Carolina Schwarz

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15 Kommentare

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  • Kultur, Vereine und Initiativen rein. Das belebt. Habe gehört das in Hannover mit dem Gedanken gespielt wurde aber gleich vom Besitzer geblockt wurde. Der möchte das weiterhin als Kaufhaus vermieten. Würde mich wundern wenn der einen Mieter findet. Mittlerweile hat schon das zweite Kaufhaus in der City dicht gemacht.

    • @Andreas J:

      Und wie sollen Vereine, "Kulturen" und Initiativen die Mieten bezahlen ? Ach ja, der Staat subventioniert ja inzwischen äußerst großzügig jeglichen Unsinn, ganz vergessen.

      • @SeppW:

        Sie haben einfach keine Ahnung wovon sie reden. Vereine leisten mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern das was Staat, Länder und Kommunen nicht auf die Reihe bekommen. Ich bin bei einem afrikanischen



        Dachverband ehrenamtlich tätig. Wir leisten viel soziale Arbeit wie Nachhilfeunterricht, Schwimmkurse, Ferienfahrten für Kinder aus sozial schwachen Familien, organisieren Empowerment-Seminare für junge migrantische Menschen und Frauen, machen Beratungsangebote, leisten Integrationshilfe, kulturelle und Sport-Veranstaltungen und vieles mehr. Also alles andere als Unsinn. Ohne solche Vereine würde hier vieles den Bach runter gehen und das alles zu einen Bruchteil dessen was die öffentliche Hand bezahlen würde, wenn sie es selbst organisieren. Ihre Respektlosigkeit ist völlig fehl am Platz.

  • Mir ist's mit der Fussgängerzone eigentlich wurscht.

    Nur die Autos müssen raus aus der Stadt. Besser gestern als heute.

  • Ich verstehe tatsächlich nicht, wie man Sachen, mit denen man direkt in körperlichem Kontakt ist, online kaufen kann, also neben Klamotten und Schuhen auch Werkzeuge sowie Tastaturen und Mäuse.

    Bis ich ein Mausmodell gefunden hatte, mit dem ich täglich längere Zeit gut arbeiten kann, habe ich in einigen Läden viele Modelle angefasst. Geht heutzutage nicht mehr, aber liefern lassen und zurückschicken geht auch nicht, da ich die Einwegverpackung aufreißen müsste. Also einige hundert Euro ausgeben und viel Elektronikschrott produzieren.

    Meine Partnerin probiert durchaus mal 20 Paar Schuhe durch, bis sie welche gefunden hat, mit denen sie schmerzfrei laufen kann. D.h. also demnächst wohl 100 Euro an Versandkosten und viel Zeit fürs Aus- und Einpacken anstelle einer Fahrt in die Innenstadt. Wir sind schon gespannt, wie lange die Onlinehändler das Zurückschicken mitmachen.

    Für solche Dinge vermisse ich schon jetzt die Vielfalt, die es früher in den Läden gab.

  • Ich würde dann doch vorsichtige Zweifel anmelden ob das Konzept die immergleichen Ketten durch inhaber*innen-geführte Bioläden, Design-Labels und Pizza artisanale mit slow-cooking Anspruch zu ersetzen tatsächlich zu mehr Leben in den zunehmend untoten Fußgängerzonen führen würde. Schließlich dürfte die Zielgruppe die sich den Umstieg von Konsum auf High-End-Konsum leisten kann nicht gerade größer sein.

  • Die "Nein"-Argumente kurz zusammengefasst: Fussgängerzonen sind tot, zur Wiederbelebung Autos rein.

  • Klar, es ist eine Meinungsdebatte.



    Bei der Einen basiert es auf der anekdotischen Evidenz von Palermo, bei der Anderen auf vorgefertigte Meinungen " Vorstellung vieler ". Und wenn Karstadt verschwindet, zieht meistens kein anderes Kaufhaus ein. Oder wenn, dann nur für kurze Zeit. Längst gibt es Umwandlungen (wohl eher nicht in ein Freibad).



    Aber auch schöne Innenstädte, wie zB Marburg, haben Probleme. Die kleinen Buchläden oder Kramläden sind nett zum Anschauen. Aber der Umsatz stimmt oft nicht, besonders nicht, wenn es kein Eigentum ist. In anderen Städten kann man noch soviele Cafes und Sitzplätze einbauen - Fremde werden damit nicht in die Innenstadt gelockt. Also, veröden die langsam, aber sicher.



    Kurz, ja, Innenstädte wird es weiter geben (schon rein geographisch) und in manchen Städten wird es auch attraktiv sein, aber nicht überall.

  • die fußgängerzone für den ...

    einkaufsbummel überlebt.



    wetten, dass ... ?

  • Naja, der Vergleich mit Palermo ist mehr so semi. Denn er bildet nur die halbe Wahrheit ab. Zwar ist die area pedonale ausgeweitet worden. Aber ein Großteil der Konsument*innen ballt sich nun an den Rändern von Palermo und macht die Wocheneinkäufe in den Einkaufszentren „forum“ oder „Guadagna“. Und diese Leite sind anschließend nicht in der Fußgängerzone unterwegs, um sich den shoppenden Tourist*innen in den „pittoresken kleinen Läden“ anzuschließen.

  • Was für eine Wortwahl!? Gemeint ist doch ob shoppen oder nicht eine Zukunft für Innenstädte ist. Das Wie ist doch das Thema? Oder will jemand eine Nicht-Fußgängerzone?

    • @Tom Farmer:

      Das Ladensterben in den Innenstädten lässt sich nicht aufhalten, daher werden die Fußgängerzonen ziemlich leer sein.

      Daher ist die Frage berechtigt, ob man diese nicht verkleinern kann.

  • Kommt drauf an, wo. Fußgängerzonen sollten dort sein, wo Leute gerne schlendern, sich etwas anschauen, ggf ein Ziel haben.

    Die Friedrichstraße in Berlin, dieser düstere, langweilige Canyon mit toten Nebenstraßen, der zum Touri-Heckmeck des Checkpoint Charlie und dann weiter zum trostlosen Mehringplatz führt (früher der wunderschöne Belleallianceplatz), ist z.B. völlig ungeeignet. Dann schon besser die Linden.

  • Wer für Klimaschutz ist, sollte mit dem online shopping aufhören.



    Wer für Klimaschutz ist, sollte für Einzelhandel und kurze Wege eintreten.



    Sozial ist Einzelhandel ebenfalls, da er personalintensiv ist und somit Arbeitsplätze schafft.



    Im Gegensatz zu den prekären Jobs bei Lieferdiensten bietet der Einzelhandel übrigens im hohen Maße Frauen eine berufliche Perspektive.



    Die Ideen, " was alles in der Innenstadt entstehen könnte", bedürfen Geld.



    Wenn eine Stadt allerdings auf Gewerbesteuereinnahmen vetzichten muss und bei weniger Läden auch staatliche Steuereinnahmen von Lohn- und Einkommenssteuer sinken, woher soll das Geld für den " Umbau der Innenstädte" denn kommen?



    Die Folge ist, dass große Firmen teure Wohnungen im Innenstadtbereich bauen werden.



    Soll das eine "attraktive Alternative" darstellen?



    Ich denke, Viele sollten Ihre Kaufgewohnheiten überdenken , nicht nur soziales Handeln und Klimaschutz einfordern, sondern Ihn auch umsetzen.



    In den Fußgängerzonen, die ich kenne, gibt es übrigens auch einige Cafés, Gaststätten und Restaurants.



    Das hat durchaus Aufenthaltsqualität und zeigt gesellschaftliches Leben.

  • Mit Verlaub: Es heißt Fußgängerzone, nicht Einkäuferzone.



    Man geht nicht unbedingt nur hindurch, sondern mitunter auch einfach mal *hin*. Dank fehlender Autoabgase lässt sich so ein Eis doch auch im Sitzen genießen, mit einem Coffee-to-not-go dabei. Bei passendem Wetter kann man auch auf Bänken und an kleinen Grünbereichen sitzen, entsprechende Gestaltung der Fußgängerzone vorausgesetzt. Dabei muss man nicht einmal nur in die reicheren Städte gucken. Duisburg beispielsweise hat das meiner Meinung nach mit der Kö gar nicht so übel hingekriegt.