Xavier Naidoo und Antisemitismus: Das nächste Alarmsignal
Der Sänger Xavier Naidoo darf laut einem Gerichtsurteil nicht Antisemit genannt werden. Das sagt viel aus – über Deutschland.
Nun ist es amtlich: Xavier Naidoo, der Sänger, der bei Treffen sogenannter Reichsbürger gesprochen hat und von „Marionetten“ singt, die an den Fäden der „Puppenspieler“ hängen, der Parlamentarier „Volks-in-die-Fresse-Treter“ nennt, ist kein Antisemit.
Dass Naidoo nicht Antisemit genannt werden darf, hat am Dienstag das Oberlandesgericht Nürnberg entschieden. Eine Referentin der Amadeu Antonio Stiftung hatte 2017 festgestellt, in seinen Songtexten sei Antisemitismus „strukturell nachweisbar“. Daraufhin klagte Naidoo.
Mit dem Beschluss bestätigte das Nürnberger Gericht eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg aus dem vergangenen Jahr. Damals erklärte die Richterin, die Mitarbeiterin der Stiftung hätte nicht ausreichend belegen können, dass Naidoo „in seinem ganzen Tun und Denken als Antisemit einzustufen ist“. Sie bewertete die Aussage der Stiftungsmitarbeiterin deswegen als Meinungsäußerung.
Nun gaben die Richter dem Nicht-Antisemiten erneut Recht, sprachen von einem erheblichen Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht, von einer Prangerwirkung und einer Herabsetzung seines Ansehens. Und sie würdigten Naidoos Verhalten – er habe etwa anlässlich des 40-jährigen Jubiläums deutsch-israelischer Beziehungen ein Konzert gegeben.
Das Halle-ist-ein-Alarmsignal-Land
Die Logik von Xavier Naidoos Argumenten bewegt sich derweil zwischen „Ich bin kein Rassist, denn ich esse gerne Döner“ und „Ich bin kein Sexist, schließlich habe ich eine Mutter“.
Beide Urteile sind ein Schlag ins Gesicht für jüdisches Leben in Deutschland. Die Gerichte beweisen wieder einmal, dass im Halle-ist-ein-Alarmsignal-Land kein Verständnis dafür herrscht, wie Antisemitismus funktioniert. Wer in einem antisemitischen Land lebt, muss aktiv daran arbeiten, antisemitisches Gedankengut kenntlich zu machen, und es verurteilen. Insofern geht es bei Naidoo nicht um Absicht, sondern um Einsicht – und die zeigte er an keiner Stelle.
Wer Naidoo getrennt von dem Anschlag in Halle betrachtet, von andauernden Warnungen des Zentralrats der Juden, von täglichen Berichten antisemitischer Übergriffe, wer erst von Antisemitismus spricht, nachdem Schüsse fallen, verharmlost nicht nur Ressentiments, sondern macht sich mit antisemitischem Gedankengut gemein – und wird so diskursiver Brandstifter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind