Wohnungsleerstand in Ostdeutschland: Projekt Landnahme
In Ostdeutschland stehen zigtausende Wohnungen leer, die Immobilienwirtschaft fordert deswegen großflächigen Abriss. Besser wäre ein andere Lösung.
B erlin platzt bekanntlich seit Jahren aus allen Nähten: Wer in der Hauptstadt eine bezahlbare Wohnung suchen muss, braucht starke Nerven – und gute Connections. Nicht das Berghain, sondern eine öffentlich beworbene Wohnungsbesichtigung hat heutzutage die längste Schlange der Stadt. Eine Besichtigung im Stadtteil Charlottenburg musste im vergangenen Jahr abgebrochen werden, weil zu viele verzweifelte Interessent*innen erschienen. Die triste Lage wurde inzwischen im Videospiel „Berlin Flat Quest“ parodiert – ein Spiel, das eigentlich niemand gewinnen kann.
Die Gründe dafür sind vielfältig: der zunehmende Zuzug in die Hauptstadt, der stockende Neubau, der gekippte Mietendeckel. Doch leere Wohnungen gibt es – in Ostdeutschland sogar viele. So viele, dass der Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) vergangene Woche deren Abriss oder Rückbau forderte, wie das Handelsblatt berichtete. Im ländlichen Raum gibt es bei GdW-Unternehmen bis zu 15 Prozent Leerstand, allein in Sachsen-Anhalt sind knapp 30.000 Wohnungen unbewohnt. Und dieser Leerstand sei zu teuer, sogar „unternehmensgefährdend“, so der Chef des Verbands.
Eine erstaunliche Meldung, bedenkt man, dass es bundesweit knapp eine halbe Million Menschen ohne eigene Wohnung gibt, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte – ein Anstieg von 18 Prozent innerhalb eines Jahres. „Für eines der reichsten Länder der Welt ist das ein Skandal!“, kommentierte die Diakonie Deutschland.
Italien zumindest sieht in der Leerstandskrise eine Chance: 2019 versteigerte die sizilianische Stadt Sambuca Wohnungen ab einem Preis von einem Euro und wiederholte die Aktion wegen des großen Erfolgs 2021 und im Juni diesen Jahres (mit Preisen ab 3 Euro). Das Ziel: verlassene Orte wiederzubeleben. Die neuen Eigentümer kamen aus Großbritannien, Russland, Chile oder Israel. Der Haken: Sie waren dazu verpflichtet, ihre Schnäppchenhäuser innerhalb von drei Jahren zu sanieren. Auch andere Städte und Dörfer in Italien und Spanien versteigerten ähnlich ihre Leerstände zum Discounterpreis.
Abriss als Antifaschismus?
Für Deutschland ist das allerdings ein Horrorszenario. Denn seit Jahren versuchen hier vor allem Rechtsextreme, den ländlichen Raum zu besetzen, besonders in Ostdeutschland. Die Zahl der Szeneimmobilien ist in den vergangenen Jahren gestiegen: Über 210 Objekte sollen sie jetzt verfügen, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner hervorgeht – von schwarz-weiß-roten Fantasiekönigreichen über „völkische Siedlungen“ bis hin zu Rechtsrockhochburgen. Die Führungsposition der ostdeutschen Bundesländer ist deutlich – mit 28 Objekten in Sachsen, 23 in Thüringen und 22 in Brandenburg. Eben die drei Bundesländer, die im September wählen werden und in denen die rechtsextreme AfD den Umfragen zufolge auf Platz eins landen könnte.
Man könnte also meinen, der Abriss von Wohnungen in Ostdeutschland sei tatsächlich ein antifaschistischer Akt. Umso weniger Schnäppchenimmobilien, desto weniger Nazis, die in ländlichen Regionen Fuß fassen können.
Doch es gibt eine andere Lösung. Statt Wohnungen abzureißen oder an den rechten Rand zu verscherbeln, muss die wohnungssuchende Großstadtlinke es wagen, aufs Land zu ziehen. Und zwar als Aktivist:innen, im Kampf für bessere Lebensbedingungen bei Mobilität, Kinderbetreuung, Nahversorgung, als Vorkämpfer:innen für neue solidarische Wohn- und Lebensmodelle. Eine solche linke Landnahme böte die Chance, dem rechten Konsens vor den Landtagswahlen nicht nur demografisch etwas entgegenzusetzen – sondern auch inhaltlich.
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