Wie viel Abgeordnete nebenher verdienen: Die Diät ist nicht genug
Mitglieder des Bundestags müssen neuerdings ihr Nebeneinkommen genau angeben. Die taz hat sich durch die Zahlen gewühlt.
B ei fast allen Bundestagsmitgliedern ist neuerdings online einsehbar, wie viel Geld sie nebenher erwirtschaften. Wenige Topverdiener*innen stehen einer großen Mehrheit gegenüber, die nur wenig einnimmt. Von rund 37 der 736 aktuellen und 11 ausgeschiedenen Abgeordneten fehlen die Daten noch, vor allem von Union und FDP. Die taz hat die Daten, die es schon jetzt gibt, ausgewertet und bei einigen Bundestagsmitgliedern genauer nachgebohrt.
Dabei zeigt sich, dass ein Großteil der Bundestagsmitglieder neben den normalen Diäten von rund 10.000 Euro monatlich nur wenig zusätzlich einnimmt. Im Schnitt liegt der Nebenverdienst derzeit bei nur rund 15.500 Euro brutto über die gesamte laufende Legislaturperiode, das sind weniger als 1.000 Euro im Monat. Insgesamt rund 490 Abgeordnete, also über die Hälfte der Bundestagsmitglieder, listen momentan keine Nebenverdienste auf, die über 1.000 Euro im Monat oder 3.000 Euro jährlich liegen. Das ist die Schwelle, ab der sie gemeldet werden müssen.
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Einige wenige Bundestagsabgeordnete geben dagegen Nebenverdienste von Hunderttausenden Euro brutto über die bisherige Legislaturperiode an. Dabei haben es vor allem Hinterbänkler in die ersten zehn geschafft:
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Unter ihnen sind einige Selbstständige mit eigenen Unternehmen. Von ihnen erwirtschaftete Summen sind nicht mit Gewinnen gleichzusetzen, sondern geben vielmehr den Umsatz ihrer Firmen an, von dem unter Umständen ein großer Teil für Lohnzahlungen an Angestellte, Betriebskosten und anderes abgeht – wie groß dieser Anteil ist, müssen sie nicht angeben. Das macht diese Angaben schwer vergleichbar mit denen von anderen Topverdiener*innen, etwa denen, die als Parteifunktionäre über 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen oder als Buchautor*innen Tausende Euro im Monat nebenher erwirtschaften, ohne nennenswerte Betriebskosten zu haben.
Auch zwischen den Fraktionen gibt es beim Nebenverdienst Differenzen. Im Schnitt erwirtschaften die Mitglieder der Linken im Bundestag am meisten nebenbei. Ihr durchschnittlicher Brutto-Nebenverdienst liegt bei etwa 23.000 Euro über die gesamte bisherige Legislaturperiode. Das liegt vor allem an Sahra Wagenknecht, die seit November 2021 bisher beachtliche 792.961 Euro brutto einnahm. Weil außerdem die Linksfraktion mit nur 39 Abgeordneten sehr klein ist, hebt Wagenknecht den Schnitt gewaltig.
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Auf Platz zwei sind die Abgeordneten der Union und der Grünen (je durchschnittlich rund 18.000 Euro Brutto-Nebenverdienst seit Anfang der Legislaturperiode), dahinter die FDP (rund 16.000 Euro). Deutlich unter dem Schnitt wirtschaften dagegen AfD-Abgeordnete (rund 12.000 Euro) und Sozialdemokraten (rund 10.000 Euro).
Dass Abgeordnete neben ihrer Parlamentstätigkeit noch andere Jobs ausüben, ist nicht prinzipiell verwerflich. Erfahrung in bestimmten Berufsfeldern kann für die Parlamentsarbeit sogar hilfreich sein. Problematisch werden Nebentätigkeiten dann, wenn politische Entscheidungen Auswirkungen auf das Berufsfeld haben, in dem Abgeordnete arbeiten.
Genau das geschah mutmaßlich während der Pandemie, wie die sogenannte Maskenaffäre zeigt, die im März 2021 die Union erschütterte. Damals gelangte an die Öffentlichkeit, dass einige Bundes- und Landespolitiker von CDU und CSU in der Pandemie Geschäfte mit Maskenherstellern eingefädelt hatten, von denen sie selber profitierten. So etwa die damaligen Unions-Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und Nikolas Löbel, die deswegen ihre Mandate abgaben und aus CSU beziehungsweise CDU austraten. Auch gegen Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet und den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gab es Vorwürfe.
Zwar wurde letztendlich niemand verurteilt, doch sorgten die Enthüllungen für die Einsicht, dass für das Vertrauen ins Parlament ein gewisser Grad an Transparenz nötig ist: Der Bundestag beschloss die neuen Transparenzregeln. Nach den Regeln, die bis dahin galten, mussten Abgeordnete ihre Nebenverdienste nur in Stufen angeben.
Angaben von Bundestag.de, Stand 17. April 2023. Im Bundestag sitzen derzeit 736 Abgeordnete, dazu kommen weitere 11, die im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode ausgeschieden sind. Für insgesamt 710 aktuelle und ausgeschiedene Abgeordnete liegen aktuell Daten vor. Bei allen Verdienstzahlen handelt es sich um Brutto-Angaben ab 1. November 2021, nur vollständige Monate und Jahre wurden gezählt. Während dieser Legislatur ausgeschiedene Parlamentarier*innen und deren Nachfolger*innen werden zusammen als ein*e Abgeordnete*r gewichtet. Übernommene Reisekosten wurden nicht berücksichtigt.
Anti-Korruptions-Aktivist*innen sehen in den neuen Transparenzregeln einen Fortschritt. Norman Loeckel von Transparency International sagt: „Durch die Regeln werden mögliche Interessenkonflikte zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen und den politischen Tätigkeiten für alle sichtbar und zugänglich.“ Um deren Legitimität beurteilen zu können, brauche es aber eigentlich auch Informationen über die Arbeitszeit, die durch Nebentätigkeiten anfällt. Die müssen Abgeordnete bisher nicht angeben. Loeckel sagt weiter: „Wichtig ist es, insbesondere bei den Abgeordneten hinzuschauen, die durch Dienstleistungen sehr viel Geld verdienen.“
Auch Léa Briand von Abgeordnetenwatch.de begrüßt die neuen Regeln. Sie sagt aber: „Es bleiben weiterhin viele Ausnahmen.“ Sie beklagt: „Wir wissen nicht, ob Regelverstöße kontrolliert und sanktioniert werden.“ Ebenfalls kritisch sieht Briand, dass das Gesamtvermögen von Minister*innen und Abgeordneten nicht aufgelistet werden muss sowie die Regelungen für nebenberufliche Anwält*innen, die die Namen ihrer Mandant*innen verschweigen dürfen.
Abgesehen von solchen Lücken gibt es aber noch ein weiteres Problem der neuen Transparenzregeln: die Bundestagsverwaltung. Denn sie scheint mit der Umsetzung völlig überfordert. So sind die Angaben, die es bisher auf bundestag.de gibt, teils chaotisch und schwer zu entziffern. Vor allem aber hängt die Bundestagsverwaltung dramatisch hinter ihrem Zeitplan her, den es für die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte einst gab. Ursprünglich sollten die Angaben für alle Abgeordneten schon 2021 veröffentlicht werden, zuletzt hieß es dann, bis Ostern 2023 werde man fertig. Auch diese Frist ist nun verstrichen und noch immer fehlen einzelne Angaben. Auf Anfrage, wann die restlichen Angaben folgen sollen, sagt eine Sprecherin: „In den nächsten Tagen.“
Einige Topverdiener*innen im Porträt:
Ophelia Nick verdient dank Firmenanteilen Millionen
Ophelia Nick geht mit ihrem Erbe nicht hausieren. Auf ihrer Website zeigt sich die Grünen-Abgeordnete als Biobäuerin. Nebenbei habe sie einen Förderverein für das Basketballtraining ihrer Kinder gegründet. Kein Wort zur Unternehmensgruppe Voith.
Ein Vorfahre Nicks hat den Maschinenhersteller im 19. Jahrhundert gegründet. Bis heute ist der Konzern, auf mehrere Holdings verteilt, im Familienbesitz. Bis zur Bundestagswahl fungierte Nick in den Beteiligungsgesellschaften als Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied. Als sie parlamentarische Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium wurde, gab sie die Posten auf.
Als Miteigentümerin verdient sie allerdings weiter gut an ihrem Erbe. Die Voith-Gruppe wirft zuverlässig Gewinne ab, zumal das Unternehmen 2020 zwei unprofitable Werke geschlossen hat. Für diese Legislaturperiode meldete Nick Einkünfte über 1.740.164 Euro. Damit führt sie die Einkommens-Rangliste an. Noch nicht einberechnet ist eine Dividende von über 400.000 Euro, die die Abgeordnete laut Handelsregister aus einer weiteren Familienholding erhalten hat, aber wegen einer Übergangsregelung im Abgeordnetengesetz nicht angeben musste. Der Zeitaufwand neben Amt und Mandat ist laut Nick mit „circa drei Gesellschaftersitzungen im Jahr“ überschaubar.
Das Risiko von Interessenkonflikten sehe sie nicht, da sie in den Unternehmen nicht operativ tätig sei. Das gelte auch für drei weitere Beteiligungen an landwirtschaftlichen Betrieben, die dem anthroposophischen Demeter-Konzept folgen. Diese Betriebe schütten keine Gewinne an Nick und ihre Miteigentümer*innen aus.
Sahra Wagenknecht polarisiert – und macht das zu Geld
Im Bundestag ist Sahra Wagenknecht nicht allzu oft anzutreffen, aber dafür gehört die frühere Linken-Fraktionsvorsitzende zu den Spitzenverdiener*innen unter den Abgeordneten. Seit der Bundestagswahl verzeichnet sie Nebeneinkünfte von insgesamt 792.961,43 Euro. Den Großteil davon verdankt sie ihrem Bestseller „Die Selbstgerechten“. Das 2021 erschienene Buch, eine Generalabrechnung mit der Linken im Allgemeinen und ihrer Partei im Besonderen, brachte ihr bislang ein Honorar von 720.868,99 Euro ein. Die Abrechnung für 2022 steht noch aus.
Ansonsten resultieren ihre Einnahmen unter anderem aus einer mittlerweile eingestellten monatlichen Kolumne für Focus Online (16.050 Euro) sowie diversen Veranstaltungsteilnahmen, die alle eins gemeinsam haben: Bezahlt wurden sie durchweg von wirtschaftsliberalen Schweizer Geldgebern. So trat Wagenknecht für jeweils 10.000 Euro beim Anlagesymposium der Swiss Rock Asset Management AG, beim Efficiency Club Zürich sowie beim Schweizerischen Institut für Auslandforschung auf.
Ihre Auftritte vor Wirtschaftskreisen begründete Wagenknecht gegenüber der Neuen Züricher Zeitung damit, dass sie als Ökonomin Bücher zur Finanz-, Banken- und Euro-Krise geschrieben habe. „Um diese komplexen Probleme in einer ausreichenden Tiefe analysieren zu können, halte ich es für wichtig, mich auch mit Vertretern der Finanzbranche auszutauschen“, zitiert die NZZ das Noch-Linken-Mitglied. Die Schweizer Zeitung überzeugte das „nur bedingt“, denn schließlich sei Wagenknecht „vornehmlich als Expertin für den angeblichen Irrweg der ‚Lifestyle-Linken‘“ eingeladen worden und nicht, um im Detail über Wirtschaftswissenschaften zu sprechen.
Robert Farles Einkünfte waren schon früher nebulös
Die AfD-Fraktion im Bundestag war ihm nicht russlandfreundlich genug. Deshalb ist Robert Farle im September 2022 ausgetreten und sitzt nun als einer von sechs Fraktionslosen im Bundestag. Als einziger von ihnen verzeichnet er überhaupt Nebeneinkünfte. Sie liegen in der aktuellen Legislaturperiode bei 418.000 Euro und damit auf Platz sechs im Gesamtranking. Mitglied der AfD ist er noch immer.
Seine Nebeneinkünfte bezieht Farle aus den Gewinnausschüttungen von drei Steuerkanzleien, in denen er Geschäftsführer ist. Seine Tätigkeit beschränke sich dort, seitdem er sein Mandat angetreten hat, vor allem auf die „laufende Qualitätskontrolle“, sagt er auf Anfrage der taz. Wöchentlich würden dafür 2 bis 4 Arbeitsstunden anfallen, und zwar ausschließlich nach Feierabend oder am Wochenende. Monatlich kämen maximal 16 Stunden zusammen. Aus seiner Tätigkeit als Steuerberater habe er sich „nahezu vollständig“ zurückgezogen.
Farles Nebeneinkünfte waren schon einmal Thema. T-online veröffentlichte 2021 eine Recherche, laut der Farle über Jahre hinweg Zahlungen von der SED, der Staatspartei der damaligen DDR, bekommen haben soll. Bis 1992 war er 17 Jahre lang für die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in Nordrhein-Westfalen aktiv. Die DKP wurde in dieser Zeit maßgeblich über ein Netz von Tarnfirmen von der DDR finanziert. Farle stritt ab, Zahlungen der SED bekommen zu haben.
Alexander Engelhard macht mit Mehl kräftig Umsatz
Der CSU-Abgeordnete Alexander Engelhard ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Angaben zum Nebenverdienst in die Irre führen können. Rund 415.000 Euro hat er laut Bundestag in der aktuellen Legislaturperiode erwirtschaftet. Weil es dabei aber um seine eigene Firma – eine Getreidemühle in Attenhofen, Bayern – geht, ist das Geld nicht komplett auf Engelhards privatem Konto gelandet. Stattdessen müsse man „den Wareneinsatz, die Personalkosten, die Energiekosten, die Steuern, die Betriebskosten, die Verwaltungskosten, die Abschreibungen, die Zinsaufwendungen“ abziehen, sagte Engelhard der taz. Als Gewinn bleibe „ein Bruchteil des Betrages, der veröffentlicht werden muss“. Wie viel das ist, sagt er nicht.
Im Bundestag sitzt Engelhard auch im Ausschuss für Verbraucherschutz. Interessenkonflikte oder Zeitprobleme gebe es wegen seiner Nebentätigkeit nicht, sagt er der taz: „Die Politik hat immer Vorrang.“
Bei seinem Vorgänger im Wahlkreis Neu-Ulm war das nicht immer der Fall. Der damalige CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein geriet 2021 in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er Verkaufsverträge für Masken vermittelt hatte, von denen er selbst finanziell profitierte. Diese sogenannte Maskenaffäre, in der auch Vorwürfe gegen andere Unionspolitiker laut wurden, war der Anstoß für die neuen Transparenzregeln.
Kristine Lütke führt ein Pflegeheim
Die Geschäfte eines Pflegeheims führen und gleichzeitig Gesundheitspolitik machen? Kristine Lütke von der FDP sieht da kein Problem. Seit 2021 ist sie Bundestagsabgeordnete, sie kandidierte im Wahlkreis Roth in Bayern. Mit den Einnahmen aus ihren Nebentätigkeiten in Höhe von 97.587 Euro belegt sie nach aktuellem Stand Platz 23. Drei Viertel dieser Einnahmen stammen aus ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Seniorenbetreuung „bei St. Otto“. Auf Anfrage der taz schreibt Lütke, ein Großteil ihres Einkommens stamme aus Tätigkeiten vor dem Bundestagsmandat und wäre nachträglich verbucht worden. Überprüfen lässt sich das nicht.
Gleichzeitig ist Lütke Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Dort diskutieren 42 Mitglieder über Gesundheitspolitik und bereiten politische Entscheidungen vor. Die Frage, ob für sie ein Interessenkonflikt besteht, beantwortet Lütke auf Anfrage nicht. Stattdessen verweist sie auf ihre Rolle als Sprecherin der FDP-Fraktion für Sucht- und Drogenpolitik. Die Pflegepolitik werde von der pflegepolitischen Sprecherin der Fraktion verantwortet. Sie argumentiert außerdem, dass es sogar wünschenswert wäre, „wenn noch viel mehr Mandatsträger ihre praxisnahen Erfahrungen als Lehrerin, Pfleger, Architektin oder Handwerker in ihre politische Arbeit einfließen lassen könnten“.
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