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Werbeverbote für ungesunde LebensmittelIrreführende Kampagne der Industrie

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Hersteller suggerieren, Ernährungsminister Özdemir wolle bestimmte Lebensmittel verbieten. Dabei will er nur Werbung etwa für Junkfood beschränken.

Werbung für ungesunde Lebensmittel soll eingeschränkt werden, kaufen kann man sie weiterhin Foto: Imago

D ie Kampagne der Lebensmittelindustrie gegen Ernährungsminister Cem Özdemirs geplante Werbeverbote für ungesundes Essen ist irreführend. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen zeigt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie unter dem Titel „CEM ÖZDEMIRS VERBOTSKATALOG“ mit einem roten Kreuz durchgestrichene Lebensmittel. Wer nicht den kleiner gedruckten Text liest, wird wohl zu dem Schluss kommen, dass der Grünen-Politiker zum Beispiel Schokolade, Salzstangen und Käse verbieten will – und nicht nur Werbung für diese Produkte.

Doch das ist völlig falsch. Selbstverständlich wird jeder weiter essen dürfen, was er will. Die Anzeige behauptet auch: „Sponsoring für Sportvereine und Großveranstaltungen (…) werden erschwert oder ganz untersagt.“ Das ist mindestens missverständlich, denn viele könnten denken, dass überhaupt kein Sponsoring mehr möglich sein soll. Wahr ist: Özdemir will nur speziell an Kinder gerichtetes Sponsoring für ungesunde Lebensmittel verbieten. Sogar Coca-Cola etwa dürfte weiter Fußballspiele sponsern, solange der Getränkekonzern dabei keine Kindermotive verwendet.

Unlauter ist auch die Aussage, „Özdemir möchte Werbung für Lebensmittel weitgehend verbieten!“. Nein, nicht für Lebensmittel allgemein, sondern grundsätzlich nur für die mit mehr Fett, Zucker und/oder Salz als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen. Und warum das empörte Ausrufezeichen? Am Ende stehen keinesfalls „entmündigte Bürgerinnen und Bürger“, wie in der Anzeige steht. Menschen können ja wohl kaum als entmündigt gelten, lediglich weil ihnen zwischen 6 und 23 Uhr im Fernsehen Werbung für Süßkram vorenthalten wird.

Die Freiheit der Lebensmittel- und der Werbebranche dagegen würde tatsächlich bedeutend beschnitten. Doch dafür gibt es gute Gründe. Denn diese Werbung verführt Studien zufolge dazu, mehr ungesunde Lebensmittel zu essen. Und Junkfood trägt dazu bei, dass viele Menschen zu dick sind, was zu Krankheiten führen kann.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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16 Kommentare

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  • Es wäre gewiss billiger, einfach einen Hinweis über oder vor die Werbung zu schalten "Diese Werbebotschaft ist für Konsumenten unter 18 Jahren nicht geeignet." statt so eine Kampagne zu fahren.



    Man darf doch jederzeit alles bewerben, nur eben nicht an Kinder gerichtet.

  • K ä s e ????



    Olivenöl z.B. "enthält" 95 oder mehr Prozent fett, korrekt formuliert: BESTEHT aus Fett. Butter IST Fett (mit etwas Wasser...), dafür wird sie gemacht. Soll jetzt Pseusofettiges mit 50prozentwasser eingepackt in irgendwelche Emulgatoren gesünder sein als eben: Fett ? Den gesamten Tag über keine Fernsehwerbung mehr für Grundnahrungsmittel ? Was für ein Schwachsinn. Da wird wirklich sehr willkürlich in die Gewerbefreiheit eingegriffen.



    Spezifische Kinderwerbung für unsre Grundnahrungsmittel gibt's dagegen ja eigentlich nicht. Außer in markenunspezifischer Obst-und-Gemüsepropaganda. Die schad't ja nich.

    • @lesnmachtdumm:

      K Ä S E

      Darüber bin ich auch gestolpert. Wo wird für Käse für Kinder geworben? "Viele viele bunte Käseschnitten"?

      Irgendwer hat da auf der Informationsstrecke vom Bundesernährungsministeium bis hin zum Artikel nicht aufgepasst.

      Wenn es Özdemir ist, wird ihm dieser Fauxpax zu recht wie Streichkäse aufs Brot geschmiert werden. Der Lacher wird seinen Weg bestimmt in die Heute Show finden.

  • Im Verbraucher-Anschmieren war die L-Industrie schon immer Meister !

    Sieht man ja jetzt schon am kürzlich eingeführten Nutri-Score.



    Da werden bestimmte Zutaten nur deshalb zugegeben damit der Score besser wird.



    Und dann aber noch in so winzigen Mengen dass es wirklich keine Rolle spielt.

    Oder erinnern wir uns an den Spruch "ohne Glutamat" - aber voller Hefeextrakt.

  • Unvollständig: 1. Es fehlt der Hinweis auf die unverfrorene Lobbyarbeit der Vorgängerin Julia Klöckner. CDSU und FDP, die eingefleischten Lobbyisten auf Teufel komm raus. 2. Wer sich auskennt, weiß genau, dass 1974 von der Industrie eine Desinformationskampagne gefahren wurde, um weiterhin FCKWs herstellen und verkaufen zu können, bis 1987 jeder Depp feststellen konnte, dass die Ozonschicht verdorben wurde. Heute sieht es mit dem Verbot weltweit viel besser aus.

  • Werbeindustrie lebt halt eben nicht gerade von der Wahrheit. Und dann wundern wir uns, dass "die Gesellschaft auseinanderdriftet" oder so was.

    Ich bin schon lange für ein Gegengewicht: Legalize Adbusting!

  • Der Artikel macht das, was er der Kampagne vorwirft: Er führt in die Irre. Er suggeriert nämlich, es gehe um ein Werbeverbot nur für Junkfood und Süßkram. Ganz so ist es aber nicht, augenscheinlich geht es auch um andere Produkte wie Butter und bestimmte Käsesorten. Davon abgesehen haben es Kampagnen so an sich, dass sie mit drastischen Bildern operieren und vereinfachen. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass Herr Maurin die Lebensmittelindustrie halt generell doof findet. Das ist durchaus sein gutes Recht, aber das hätte er auch in einem Satz schreiben können.

    • @Jochen Laun:

      Ich könnte mich so spontan an keine einzige speziell auf Kinder zugeschnittene Butterreklame erinnern. Die Folgen des Verbots dürften hier also eher hypothethischer Art sein.



      Ebenfalls macht es einen Unterschied ob Fakten drastisch dargestellt oder bewusst falsche Assoziationen geweckt werden. Wenn man letzteres nicht kritisiert ist man eben bereit den Modus von Fake News und alternativen Fakten im öffentlichen Diskurs hinzunehmen.

      • @Ingo Bernable:

        Sie haben da was missverstanden. Zwischen 6 und 23 Uhr soll TV Werbung für die betreffenden Produkte stets verboten sein, auch wenn sie nicht auf Kinder zugeschnitten ist. Ob man also Werbespots mit Senioren, die glücklich in ihr Butterbrot beißen, verbieten muss, darf man schon hinterfragen.

        Ihr Vorwurf, die Kampagne verbreite Fake News, weil sie falsche Assoziationen weckt, müsste sich auch gegen den Artikel richten, denn der tut das auch. Ich find's in beiden Fällen übertrieben.

  • Im Prinzip lässt es sich recht gut abschätzen, wie die einzelnen player (Lebensmittelindustrie, Bauernverband, Umweltverbände, grüngeführte Ministerien, ökologische schreibende Zunft etc.) auf Aussagen der jeweils diametral entgegengesetzten Opponenten reagieren. Dass es jedoch 'Käse' auf Özdemirs Junkfood Werbeverbotsliste für kindergefährdenden Süsskram geschafft hat, ist dann doch überraschend!

  • So kommt es eben, wenn "Häuptling Cem"



    (Habeck in Brasilien beim Besuch einer indigenen Gemeinschaft so:

    „Ich bin Robert, das ist Cem und wir sind Minister in der deutschen Regierung – das ist so etwas wie euer Häuptling, aber in einem anderen Land“)

    nicht so spurt, wie die Industrie das gern hätte.

    Ist aber wohl ein Ausreißer. Sonst kümmert er sich ja um die wichtigen Dinge, wie die Haltung von Echsen in Aquarien und hält sich aus Massentierhaltung, Fleischproduktion und Tierwohl heraus.

  • Nur gut, dass Herr Özdemir hier endlich tätig wird! Kinder soll nicht fett und krank werden, damit die Firmen hohe Gewinne ein streichen!



    Natürlich ist zu erwarten, dass die Süßigkeitenindustrie hier aufschreit und eine Lügen Kampagne startet!



    Prima, dass die TAZ das zurecht rückt!



    Wenn er Özdemir hier standhält, kann das ein Symbol für zukünftige Schritte hin zu einer gesünderen, gerechteren Welt sein!

  • Hey links war mal cool. Ich erinnere mich vage an Joints und LSD-Trips. Heute ist es echt spießig.

    Was kommt demnächst? "Nach dem Sandmännchen geht ihr aber ins Bett. Ihr braucht euren Schlaf."

    • @GregTheCrack:

      Als Erwachsener halbwegs aufgeklärt und selbstverantwortlich Joints oder Pappen zu konsumieren scheint mir doch etwas Anderes zu sein als Kinder mit massiver Werbung auf Süßkram und Junk-Food zu konditionieren. Cool kann ich daran jedenfalls nichts finden. Und darüber wie links und politisch der Drogenkonsum damals letztlich wirklich war kann man durchaus auch unterschiedlicher Ansicht sein.

  • Offensichtlich wollen die gar nicht, dass Kinder weniger Junkfood essen und offensichtlich wirkt die Werbung in der Form dass Kinder mehr Junkfood essen, sonst könnten sie ja leicht darauf verzichten. Die Kampagne zeigt somit, dass ein solches Werbeverbot die Gesundheit von Kindern schützen wird. Wer dagegen ist, die Gesundheit von Kindern zu erhalten, der sollte vor allem von Kindern ferngehalten werden alles andere ist da zweitrangig.

  • Dass die Werbeindustrie über genügend Geld verfügt, um solchen Unsinn zu verbreiten, ist mit dieser Kampagne ja offensichtlich.