Wehrbericht zieht miese Bilanz: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht zur Bundeswehr
So viele neue Soldat:innen wie nie, hohe Budgets in Aussicht: Eigentlich sollte die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein – doch der Wehrbericht zeichnet ein anderes Bild.

A m fehlenden Pathos liegt es nicht. Die Demokratie künftig auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, ist ein Szenario, das Parteien von der CDU bis zu den Grünen unverblümt in den Raum stellen. Was der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler mal als freundliches Desinteresse der Deutschen an der Bundeswehr bezeichnete, ist mit dem Angriff Russlands längst einer salbungsvollen Rhetorik gegenüber der Truppe gewichen. Und diese Argumentation scheint zu verfangen.
Der nun vorgestellte Bericht der Wehrbeauftragten zeigt: Die Bundeswehr verzeichnete 2024 die meisten Einstellungen seit fünf Jahren. Doch es ist eine andere Zahl, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Etwa 20 Prozent dieser 20.000 Soldatinnen und Soldaten quittierten ihren Dienst wieder nach wenigen Monaten. Im Vorjahr lag die Quote der Abbrecherinnen und Abbrecher innerhalb der Probezeit gar bei 25 Prozent.
Die Wehrbeauftragte und SPD-Politikerin Eva Högl hatte bei der Vorstellung ihres Berichts dafür eine simple Antwort parat: Die Soldatinnen und Soldaten langweilten sich im Dienst. Klar, es gibt Schöneres im Leben eines jungen Menschen, als den halben Tag rumzusitzen und die andere Hälfte des Tages irgendwelchen frustrierten Brüllkommandos von Ausbildern zu folgen, die nicht mit Trainingsgeräten aufwarten können und auch sonst überfordert sind.
Enttäuschung garantiert
Anders gesagt: Wer aufgepeitscht durch die Bundeswehrwerbung und ihrer Actionfilm-Ästhetik zur Truppe kommt und dann auch noch denkt, er täte einen glorreichen Dienst an der Demokratie, könnte angesichts vor sich hin modernder Kasernen schnell enttäuscht das Weite suchen wollen.
Kurios ist, dass finanziell eigentlich alles möglich scheint, um diesen Zustand schnell zu ändern. Sondervermögen, Grundgesetzänderungen, Milliarden für die Verteidigungsindustrie werden angesichts der geopolitischen Lage quer durch die Parteien der politischen Mitte für notwendig befunden. Da ist die Frage berechtigt: Kommt wirklich so wenig bei der Truppe an oder jammert sie auf hohem Niveau?
Die Wehrbeauftragte begründete die Überbelegung in mancher Kasernenstube, das fehlende Gerät und Personal mit jahrelangen Einsparungen bei der Bundeswehr, denen nun im Eiltempo begegnet werden müsse.
So behäbig wie es in der Beschaffung zugeht, scheinen sich auch einige Umgangsformen in der Truppe konsequent zu halten: Der Bericht der Wehrbeauftragten nennt Saufgelage und Gewalt, Hitlergruß und antisemitische Äußerungen sowie sexualisierte Diskriminierung. Das sind weitere triftige Gründe, während eines Dienstes bei dieser Truppe schnell das Weite suchen zu wollen.
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