Wege aus der Thüringen-Krise: Spitzt den Konflikt im Osten zu!
Die rechte Entwicklung im Osten kann nur durch eines aufgehalten werden: die Jungen stärken. Auch wenn das zulasten der Älteren geht.
I st ja noch mal alles gut gegangen in Thüringen, mögen gerade viele denken. Noch ist sie sichtbar, die rote Linie, die bei einer Zusammenarbeit mit der AfD überschritten wird, noch hat das Überschreiten Konsequenzen.
Das stimmt. Düster aber sieht es trotzdem aus. Denn Thüringen war erst der Anfang. Die Strategie der AfD und der hinter ihr stehenden politischen Kräfte ist nicht darauf ausgelegt, diese rote Linie an einem Tag abzuschaffen, sondern sie Stück für Stück zu verschieben. Oft nur um ein paar Millimeter, häufig mit zwei Schritten nach vorne und einem zurück.
Dafür finden die Neuen Rechten im Osten beste Bedingungen vor, und zwar weit über die eigentliche Wählerschaft der AfD hinaus. Sie finden dort das, was der Magdeburger Soziologe David Begrich in seinem „Brief an meine westdeutschen Freund/innen“ als „regressiv-autoritäre gesellschaftliche Unterströmung“ benannte, die sich quer durch die ostdeutschen Milieus ziehe.
Vielschichtiger Ressentimentmix
Gekennzeichnet, so Begrich, sei diese Unterströmung von einem „vielschichtigen Ressentimentmix“, der sich auch daraus speise, dass sich „Menschen der älteren und mittleren Generation“ einer Art kultureller Fremdherrschaft unterworfen sähen, in der sie mit ihren Erfahrungen nicht vorkommen.
Genau so ist es, und für dieses Gefühl gibt es gute Gründe. Und deswegen wird sich diese regressiv-autoritäre Formierung mit den Menschen der älteren und mittleren Generation auch nicht aufhalten lassen. Die biografischen, politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen weiter Teile der Ostdeutschen, die heute älter als 40 sind, bieten einen solchen Nährboden für ein reaktionär-rassistisches politisches Programm, dass dem nur mit einem immensen Kraftaufwand beizukommen wäre.
Allenfalls kann man hier noch Schadensbegrenzung betreiben – eine tatsächliche Richtungsänderung wird es mit diesen Generationen nicht mehr geben.
Worin diese ostdeutschen Post-89-Erfahrungen bestehen, muss hier nicht weiter ausgeführt werden, spätestens seit dem Gedenkjahr 2019 ist an Texten dazu kein Mangel. Nachdem sich jahrelang niemand für sie interessierte, wird die ostdeutsche Seele nun allenthalben auf die Couch gelegt, werden die Traumata der Vergangenheit seziert.
Dass daraus nun endlich Erkenntnisse über die Versäumnisse der Nachwendezeit gewonnen werden, mag einen freuen, allein: Wer sich nur mit der Vergangenheit beschäftigt, macht sich schuldig an der Gegenwart. Wer seinen Blick nur auf die Älteren richtet, verrät die Jungen.
Denn die bittere Wahrheit ist: Die Fehler der Vergangenheit sind nicht mehr rückgängig zu machen. Und deswegen braucht es den Bruch. Es braucht den Bruch mit der Verlierererzählung, egal wie viel Wahrheit und Berechtigung in dieser Erzählung steckt. Der Generationenkonflikt im Osten muss nicht befriedet, sondern zugespitzt werden, und die Jungen müssen ihn gewinnen.
Denn was es braucht, sind Ostdeutsche, die sich als handelnde Subjekte des eigenen Lebens und treibende Kräfte einer zukunftsgewandten gesellschaftlichen Entwicklung verstehen. Das wird mit einem Großteil der über 40-Jährigen im Osten, die die geschehenen Kränkungen und Abwertungserfahrungen nicht überwinden können, nicht zu machen sein – egal, wie berechtigt diese Kränkungen sind.
Bei ihnen kann die AfD besser als jede andere politische Kraft andocken, weil sie verspricht, dass die Welt wieder so werden wird, wie sie niemals war, dass es möglich wäre, das System zu stürzen, ohne auf eine einzige Zukunftsfrage eine Antwort zu haben.
Die Alten bremsen die Jungen aus
Es sind bei Weitem nicht nur die organisierten Rechten, die den engagierten, zukunftsorientierten Menschen in weiten Teilen Ostdeutschlands Steine in den Weg legen. Es sind auch all diejenigen, die die Erfahrung gemacht haben, das eigene Schicksal nicht in der Hand zu haben. Die Alten bremsen die Jungen aus – schon allein, weil sie sich dadurch angegriffen fühlen, dass die ihr Leben in die Hand nehmen können.
Wer in den ostdeutschen Klein- und Mittelstädten oder auf dem Land als solche treibende Kraft einer zukunfts- statt vergangenheitsorientierten gesellschaftlichen Entwicklung auftritt, dem wird von der Mehrheit nur allzu oft vermittelt, ein Störenfried zu sein, der selbst, wenn hier geboren, so richtig von hier nicht sein könne, sonst wäre er ja ganz anders.
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Die tatsächlich organisierte Rechte muss diese engagierten Menschen oft gar nicht selbst vertreiben, sie kann warten, bis sie genervt aufgeben, um dann das so entstandene Vakuum zu füllen.
Und dieses Vakuum wird immer größer. Denn im Moment besteht der Bruch zwischen den Jüngeren und den Älteren, zwischen denen, die was bewegen wollen und denen, die sich dadurch angegriffen fühlen, in den meisten Fällen darin, dass erstere ihre Sachen packen.
Sie gehen, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und dieses regressiv-autoritäre Klima, das jede Bemühung um Zukunft ersticken will, zu bringen. Weil es „den Osten“ so natürlich nicht gibt, muss es kein Umzug nach Köln sein, und selbst zu Berlin und Leipzig gibt es noch Alternativen in Jena, Greifswald oder Halle, doch das sind Inseln, oft auf einzelne Stadtteile begrenzt.
Wenn alle gehen, die was können und vor allem was wollen, kann man sich ausmalen, was übrig bleibt, weshalb es auch nicht verwunderlich ist, warum die AfD bei den ostdeutschen Landtagswahlen auch unter den Jüngeren gut abschnitt. Der genaue Blick auf die Daten zeigt: Wo die Bevölkerung schrumpft, ist die AfD stark, quer durch alle Altersgruppen.
Um diese Entwicklung aufzuhalten, gibt es nur eine Möglichkeit: Den Zukunftszugewandten, denjenigen, die sich nicht in einer Verliereridentität einrichten wollen, muss der Rücken gestärkt werden, soweit es nur irgend geht. Und zwar auch dann, wenn das zulasten der Älteren geht, so schmerzhaft diese Erkenntnis auch sein mag.
So übel denjenigen mitgespielt wurde, denen das Lausitzer Braunkohlerevier einst nicht nur Arbeit, sondern auch Identität bot und die dessen Ende deswegen nicht überwinden können – die Zukunft liegt nicht bei ihnen, sondern bei Fridays for Future Cottbus, und im Zweifel müssen die einen gegen die anderen in Stellung gebracht werden.
Wie man jungen, zukunftsorientierten Menschen im Osten den Rücken stärkt? Es gibt unzählige Möglichkeiten. Indem man ihnen zuhört und sie zu Wort kommen lässt, indem man die sie betreffenden Themen auf die politische Agenda setzt, indem man die von ihnen organisierten Demonstrationen oder Theaterstücke besucht, dem Jugendclub nicht die Förderung streicht, indem man sie und ihre Erfahrungen weder exotisiert noch abwertet.
Man könnte auch sagen: Indem man versucht, die Post-89-Fehler nicht zu wiederholen und wenigstens diese Generation endlich ernst nimmt.
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