Wahlprogramm von CDU und CSU: Der Zeitgeist als Wählerklient
Der Rückschritt im Unions-Wahlprogramm schreit einen geradezu an. Trotzdem wollen es viele Menschen offenbar genau so.
B eginnen wir mit dem Positiven: Die Zeiten, in denen die Parteien der Mitte kaum unterscheidbar waren, sind vorbei. In dieser Ähnlichkeit und der daraus entstandenen Lücke auf der rechten Seite des Parteienspektrums lag ja einer der Gründe für den Aufstieg der AfD. Laut den Wahlprogrammen, die in dieser Woche vorgestellt wurden, ist damit Schluss. Die SPD rückt in ihrem Kurs wieder ein bisschen nach links, die Union stellt sich deutlich konservativer und wirtschaftsliberaler auf als bei den Bundestagswahlen zuvor.
Es gibt also klare Alternativen: Auf der linken Seite wollen SPD, Grüne und die Linkspartei – grob gesagt – Schulden machen, um in Zeiten knapper Kassen in die Infrastruktur zu investieren, um Wirtschaft und Gesellschaft klimaneutral zu gestalten und dabei das Soziale nicht zu vergessen. Und auf der anderen Seite setzen Union und FDP auf die Schuldenbremse und wollen unter anderem mit Steuersenkungen, von denen vor allem Unternehmen und Besserverdienende profitieren würden, sowie Kürzungen beim Bürgergeld und den Geflüchteten die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Weil Wirtschaftswachstum die Grundlage für alles sei, wird diesem alles untergeordnet. Wie die Union das Ganze bezahlen will, bleibt allerdings unklar. Ökonomen haben eine Finanzierungslücke von bis zu 100 Milliarden Euro ausgemacht.
Nun kann man sagen: Die CDU ist keine Programmpartei, in der Vergangenheit hat sie sich oft herzlich wenig um das geschert, was sie zuvor schriftlich auf vielen Seiten ausgearbeitet hat, wenn es dann um die Macht ging. Aber dieses Wahlprogramm der Union sollte man ernst nehmen. Der Rückschritt darin schreit einen geradezu an, 79 Seiten lang.
CDU und CSU wollen nicht nur die Fortschritte der Ampelregierung wie erleichterte Einbürgerungen, das Selbstbestimmungsgesetz und die Teillegalisierung von Cannabis rückabwickeln sowie das Bürgergeld und das Heizungsgesetz wieder abschaffen. Sie wollen auch gleich noch die Merkel-CDU hinter sich lassen. „Das ist nicht mehr die Groko-Union“, tönte CSU-Chef Markus Söder bei der Vorstellung des Programms. Mit neuen Leuten wolle man künftig „eine sehr konservative Law-and-Order-Politik“ umsetzen.
Das Bild des „faulen Arbeitslosen“ zieht wieder
Besonders deutlich wird das beim Thema Migration: Zurückweisungen an den deutschen Grenzen verspricht die Union nun, darüber hatten sich CDU und CSU dereinst unter Merkel fast zerlegt; die Ex-Kanzlerin hielt sie für rechtlich unzulässig und gefährlich für den Zusammenhalt der EU. Hinzu kommen: die Abschaffung des subsidiären Schutzes und Asylverfahren in sichereren Drittstaaten außerhalb der EU, wo Geflüchtete auch nach ihrer Anerkennung bleiben sollen. Selbst von Kontingenten, die man aufnehmen will, ist nicht mehr die Rede. Das alles wäre, wenn man überhaupt ein Aufnahmeland finden würde, nicht nur humanitär fragwürdig und sehr teuer, es ist auch mehr als unklar, ob das rechtlich überhaupt zulässig ist.
Letzteres trifft übrigens auch auf die hohen Einsparmöglichkeiten beim Bürgergeld zu, die die Union verspricht. Aber nachdem CDU und CSU das Bürgergeld, das sie einst mit beschlossen haben, mit ihren zahlreichen Attacken in Verruf gebracht haben, lässt sich mit dem alten Bild vom „faulen Arbeitslosen“, dem man einheizen will, eben wunderbar Wahlkampf machen. Was im Übrigen auch für jenes vom „kriminellen Ausländer“ gilt.
Nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 war eine Analyse in der CDU-Zentrale: Die Niederlage habe auch damit zu tun, dass die CDU als Partei der sozialen Kälte wahrgenommen worden sei. Davon ist heute keine Rede mehr. Und das vielleicht aus gutem Grund: Der Zeitgeist hat sich nach rechts verschoben, und die Wirtschaftskrise samt Inflation und der Sorge um die Arbeitsplätze im Land überlagern vieles. Möglicherweise wünschen sich viele Menschen genau die Politik, die die Union mit Kanzlerkandidat Friedrich Merz verspricht. In den neusten Umfragen sind CDU und CSU jedenfalls wieder angestiegen.
Natürlich ist noch nichts entschieden, bis zur Bundestagswahl sind es noch zwei Monate. Da kann Merz noch viele Fehler machen, Söder zahlreiche Spaltpilze in die Union treiben. Und natürlich wird diese, sollte sie tatsächlich stärkste Kraft werden, einen Koalitionspartner brauchen. Merz’ Lieblingsoption ist dabei eine Ausgangslage wie im vergangenen Jahr in Hessen: Dort wollten sowohl SPD als auch Grüne unbedingt mitregieren, die CDU konnte die Preise dafür extrem hochtreiben. Im Bund wird es dann darauf ankommen, wie klein sich die potenziellen Partner machen – und wie viel Rückschritt mitzutragen sie bereit sind.
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