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Wahl in BremenFinger weg von der Brötchentaste

Kommentar von Benno Schirrmeister

Die Grünen verlieren in ihrem Stammland deutlich. Wer Kleinstprobleme nicht ernst nimmt, wird bei den großen Themen nicht vorankommen.

Bremens Bürgermeister Bovenschulte freut sich, die Grünen sind weniger froh Foto: reuters / Fabian Bimmer

A utsch, das hat den Grünen wehgetan: Die Bremen-Wahl bringt ihnen einige Prozentpunkte Verlust im Vergleich zu der vor vier Jahren. Und das Land ist ja so etwas wie ihre gute Stube: Die Bremische Bürgerschaft war 1979 der erste deutsche Landtag, in den die Ökos einzogen. Aber trotzdem: Laut Nachwahlbefragungen steht die linke Mehrheit. Rot-Rot-Grün kann also weiterregieren.

Und wird es wohl auch, außer die SPD verknallt sich plötzlich doch in die CDU – oder aber die Grünen verdrücken sich wegen Liebesentzug in die Schmollecke. Wenn Gefühle und Kränkungen im Spiel sind, wie neulich in Berlin, wird’s schwer mit den Vorhersagen. Inhaltlich aber und machtpolitisch spricht wenig für eine Große Koalition: Die SPD weiß jetzt, dass sie in Bremen von einem fortschrittlichen Dreierbündnis profitieren kann. Und die Grünen können den Anspruch, mitzugestalten, nicht so ohne Weiteres über Bord werfen, wenn sie meinen, Lösungen für das Menschheitsproblem Klimawandel im Angebot zu haben.

Bundespolitisch sagt das wenig aus. In vielerlei Hinsicht handelt es sich um eine Brötchentastenwahl. Als Brötchentaste wird die Option bezeichnet, an Parkautomaten ein Gratis-Kurzzeitticket zu lösen, damit Au­to­fah­re­r*in­nen beim Bäcker aus ihrer Karre springen und schnell eine Kleinigkeit kaufen können, ohne fürs Parken zu bezahlen. Diese Begünstigung war in einem Stadtteil abgeschafft worden, kurz vor der Wahl; angeblich senatsintern unabgesprochen und auf Betreiben der zuständigen Senatorin Maike Schae­fer, der Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen.

Linke kann siegen

Gründe für deren Erosion wird man eher auf dieser Ebene finden: Allein diese Aktion hat massiv für böses Blut und etliche Aufmacher der Lokalzeitung gesorgt. Plus Leser*innenpost. Ja, das klingt unerwachsen. Aber so geht es nun mal zu in der Stadtstaaten-Politik: Wer ihre Kleinstprobleme nicht berücksichtigt, wird beim Verhindern der globalen Katastrophen auch nicht vorankommen.

So gesehen weist die Bremer Wahl dann doch über den Tag hinaus: Sie zeigt, dass Die Linke, wenn ihr, vom Klamauk der Mutterpartei unbeeindruckt, an einem wichtigen Uni- und Industriestandort der Spagat zwischen akademischer und arbeiterlicher Anhängerschaft gelingt, ein gutes Ergebnis verteidigen kann.

Und sie zeigt, dass eine fortschrittliche Koalition unfallfrei eine Legislatur überstehen, ehrgeizige Klimaschutzprojekte anstoßen, ja auch Krisen sozialverträglich managen kann – und nur dann ihre Mehrheit gefährdet, wenn sie die Brötchentaste antastet. Etwas Besseres als der Tod ist das allemal.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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26 Kommentare

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  • Bei uns heißt das kostenlose 15 Minuten-Parkscheine. Damit soll der lokale Handel unterstützt werden.Wer so etwas abschafft, vernichtet den Rest der lokalen Versorger auch noch. Dann müssen alle in irgendein Einkaufszentrum irgendwohin fahren. Das kann niemand ernsthaft wollen

  • Brötchentaste? Interessant, was es in Ländern so alles gibt und worüber (die Abschaffung) sich einige Leute so aufregen. Naja, manche möchten sich gerne aufregen und so weiter machen wie bisher. Die großen Klimasünder*innen seien ja sowieso die Chines*innen und US-Amerikaner*innen und jetzt soll "der kleine Mann" blablabla ...

    • @Uranus:

      Nun, kann man so verniedlichen. Wie man am Wahlergbnis ablesen kann, hat es aber auch bestens funktioniert: selbst die FDP konnte mit 5,2% quasi reüssieren und sitzt nun in der Bürgerschaft, nachdem sie bei den vier vorangegangenen Landtagswahlen



      erst gar nicht eingezogen oder konsequent rausgeflogen ist.



      Auch die sog. Bürger in Wut haben ihre Chance erfolgreich genutzt.

      Auch wenn das alles sicher nicht alleine auf die Abschaffung "Brötchentaste" zurückzuführen ist, wirft dieser Vorgang zusammen mit "Wärmepumpenzwang" und "Causa Graichen" doch ein Schlaglicht auf die "grüne Politik", die von Teilen der Bevölkerung eben als Arroganz der Macht wahrgenommen wird.



      Quintessenz: Verbotspolitik UND Vetternwirtschaft kommt nicht gut an.

    • @Uranus:

      Hinzu kommt, dass HB eben nicht BE ist - schon alleine mangels S-Bahn-Ring.



      Innerhalb selbigen kann man sicherlich ganz kommod ohne Auto leben, während es in HB oder BHV eben gerade nicht oder nur mit sehr großen Einschränkungen geht, da Bremen und sein Speckgürtel in Niedersachsen eben nicht diese ÖPNV-Dichte haben.



      Wie man auf diese Idee kommen kann, dieses ausgerechnet am 1. April (!) und einen Monat vor der nächsten Wahl zu tun, kann ich mir nicht erklären. Da müssen schon mehrere Leute ziemlich verbohrt und überzeugt gewesen sein, damit das auf durchgeht. Für mich eher eine Entscheidung aus der Kategorie Klopapier: Benutzen Sie es beidseitig - der Erfolg liegt auf der Hand!

  • brötchentaste ...

    war i-tüpfelchen.

    hinterlassen sind straßenbaustellen.



    keine beendeten leuchtturmprojekte, mit denen hätte gepunktet werden können.

  • Dass sich Spiegel und taz vor den Karren einer klitzekleinen zuerst von Bild befeuerten FDP-Brötchen-Tasten-Kampagne spannen lassen wurmt!

    Schön wäre es, mal direkt von entäuschten Stammwählern der Grünen zu erfahren, wo der Schuh drückt und sich von anderen Wählern erklären zu lassen, warum Klimaschutz möglich nichts kosten darf.



    Hilfreich könnte auch sein, wenn Bürger frühzeitig in Planungen zur Energiewende einbezogen würden.



    De facto ist das nicht möglich, weil Ministerien und Behörden Bürger bei Anfragen zur Energiewende mit bürokratischen Floskeln abspeisen und es keine Mitarbeiter gibt, die Bürgern in Planung befindliche Prozesse der Energiewende geduldig erklären.



    Mit einer kommunikativen Brötchentaste wie bisher ist es nicht getan!

    Man stelle sich vor: in Habecks Ministerium müssten sich die planenden Beamten und Berufspolitiker plus Habeck einige Stunden pro Monat den Fragen der Bürger auf Youtube stellen.



    Dann würde sich das bürokratische Betonkastendenken der Beamten und Politiker im Wirtschaftsministerium um einiges verändern. Lobbyisten haben bei diesen Terminen Anrufsverbot!



    Das Ganze runtergebrochen auf Planungsbehörden der Energiewende in Deutschland und die Energiewende kommt in Schwung!

  • Problematisch ist, dass die Bildungspolitik nicht mehr im Focus



    zu stehen scheint oder wie ist es zu erklären, dass die Schulabbrecherquote



    in Bremen extrem hoch ist und linke



    Politik doch dafür sorgen müßte, dass



    jungen Menschen nicht Chancen im



    Berufsleben genommen werden.

  • Bernhard Schulz , Autor*in ,

    Wo die Grünen Verkehrspolitik machen, ziehen sie sich an Symbolpolitik hoch wie der Bremer Brötchentaste oder in Berlin der Sperrung der Friedrichstraße. Die Bürger registrieren "Verbot um des Verbots willen" - und ahnen, was auf sie zukäme, wenn die Grünen nur mal so richtig die Macht hätten!

  • Ohje, die Brötchentaste fällt weg, ja, da kommt der/die bisher grün wählende Yuppie mit 408 PS Volvo V40 für etwa 50 bis 65 Tsd. Euro ins Grübeln und wählt dann doch lieber SPD oder CDU.

    • @Skailein:

      Es geht um den lokalen Handel. Brötchentaste weg heißt lokaler Handel auch weg.

  • 5% Veränderungen sind minimal.



    Gewonnen hat keine Partei:



    Grünen-Wähler wanderten zu SPD, Linken und CDU. Also nicht einfach ein Sieg der SPD.



    Die anderen gingen nicht hin.



    Wählerwanderungen zeigen ein Nullsummenspiel



    Die rechten BIW übernahmen die AfD-Ressentiments und die Kränkungen. "in Wut".



    Es gibt keine Grüne Verbotspolitik in Bremen. Alles ist erlaubt, auch neue überflüssige Elektroroller. riesige Massen riesiger Pkws, Jeeps und LKw parken auf voller Breite der Bürgersteige.



    Eine Stadt wie jede andere



    eine Governance wie jede andere. Mit etwas Duftstoff.



    Soziale Bewegungen würden was ändern, wenn sie massiv und dauerhaft kämpfen.

    • @Land of plenty:

      Na ja, wenn eine Partei fast ein Drittel der Stimmen verliert würde ich nicht über eine minimale Veränderung sprechen.

  • "Allein diese Aktion hat massiv für böses Blut und etliche Aufmacher der Lokalzeitung gesorgt. Plus Leser*innenpost." - Das "lustige" daran ist ja, dass die TAZ zu glauben scheint, dass die Leute in Bremen mehrheitlich eine Tageszeitung haben oder Radio Bremen gucken (ja, theoretisch kann man in Bremen Radio gucken). Oder anders formuliert: DIe können doch schreiben, was sie wollen, wenns kaum jemand liest. Von dem "Brötchentastenproblem" habe ich heute zum ersten mal gehört, obwohl ich schon länger in Bremen lebe.

  • Die grümnen Probleme in Brtemen sind hausgemacht und wenig auf die Bundeebene zurückzuführen. Hier hat insbesondere das ungeschickte Agieren der Verkehrssenatorin (nicht nur bei der Brötchentaste) viel Porzellan zerschlagen.Ähnliches würde ihnen aktuell in Hamburg widerfahren (causa NSU). Letztlich war Bremen eine Kommunalwahl. Die zeitgleiche Kommunalwahl in Schleswig-Holstein hat die Grünen dort gestärkt, Kiel haben sie geholt. Auch hier kommunal erklärbar.

  • > Ja, das klingt unerwachsen.



    Tut es auf den ersten Blick vielleicht. Wo die Grünen doch so viel lieber an ihrer Energie-, Umwelt-, Außen- und Zuwanderungspolitik gemessen werden wollen.



    Vielleicht aber wissen die Wähler einfach nur besser als manche Journalisten, was in die Zuständigkeit der Kommunal- und Landespolitik hineinfällt und was nicht.

  • Rot rot grün würde bestätigt. SPD gestärkt, das der Bürgermeister gezogen hat. Deshalb Verluste für grüne. Relativ einfach.

  • Nicht die Brötchentaste war der Grund für für die Schlappe der Grünen.Hier hat die Bundespolitik einen großen Anteil. Die Menschen in Deutschland mögen nun mal keine Verbotspolitik und Vetternwirtschaft. Die Mehrheit ist vielleicht nicht laut und agressiv, zeigen bei der Wahl aber was sie von solchen Politikern halten.



    Es wird Zeit Menschen mit Ihren Sorgen ernst zu nehmen und nicht nur Minderheiten die laut sind.

    • @Filou:

      Natürlich mag der Bürger planloses Däumchendrehen lieber als konkrete Maßnahmen. Wie sonst erklärt sich die Beliebtheit von Merkel?

    • 6G
      675670 (Profil gelöscht)
      @Filou:

      Vetternwirtschaft? Naja, die ganze Sache mit Graichen ist doch sogar sachlich bedingt. So viele Leute, die sich mit ökologischer Transformation beschäftigen, gibt es ja nicht. Wenn Vetternwirtschaft ein Kriterium wäre, dürfte die CDU ja schon seit vielen Jahren nicht mehr regieren, von der CSU ganz zu schweigen.

      Und Verbotspolitik? Inzwischen bin ich auch der Meinung, dass die Leute sich ruhig Gas- und Ölheizungen kaufen sollen, wenn sie den Stoff brauchen. Sollen sie doch mit steigendem CO2-Preis auf die Fresse fallen. Freiheit hat ja ihren Preis ;-)

      • @675670 (Profil gelöscht):

        Das Problem ist nicht das Heizungsverbot, sondern der massive Umbau, der für die Wärmepumpe nötig ist. Verbote gab es schon immer; nie war es erlaubt, nach 30 Jahren die gleiche Heizung wieder einzubauen, immer waren strengere Vorschriften einzuhalten. Nur bietet die Wärmepumpe so schwache Leistung, dass Fußbodenheizung und Dämmung nötig sind, das ist das Problem. Vielleicht schaffen es die Ingenieure noch, Wärmepumpen zu bauen, die einfach nur den Heizkessel ersetzen und den Rest des Hauses in Ruhe lassen.

    • @Filou:

      Vetternpolitik gibt es aber auch in - wahrscheinlich allen - anderen Parteien.

      Es geht doch eh fast immer nur ein wenig hin und her. Grünen haben von der SPD geknabbert, BIW/AfD von der CDU. Beide bleiben aber so bei 10, manchmal 15%, manchmal unter 10. Die Linken oder FDP spielen halt mit der 5% Hürde (in Bremen die Linke etwas stärker - Ausnahmen bestätigen die Regel).



      Und diese Fluktuationen, die durchaus von Brötchentasten beeinflusst werden können, führen dann auch mal zu Regierungswechseln. Aber die Gesellschaft als Ganzes ist irgendwie immer gleich, was einerseits beruhigend ist, anderseits aber großen Veränderungen im Weg steht.

  • Herr Habeck: "Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu regieren."

    • @Rudi Hamm:

      Sehr guter Spruch!

  • Die SPD hat Glück, dass es die biw gibt.

    • @Okti:

      Nee, die CDU hat Pech, das kaum jemand ihren Kandidaten kennt und erst recht nicht weiß, wofür der steht. Bei Tagessschau stand, der CDU sei des nicht gelungen, den Leuten klar zu machen, welche Probleme es in der Stadt gibt, es liegt wohl aber eher daran, dass die Leute in Bremen der CDU die Lösung nicht zutrauen. Gab ja lang genug CDU-Regierungen im Bund. Hinzu kommt, das Bovenschulte zu den wenigen Sozialdemokraten in der SPD gehört.

    • @Okti:

      Ich bin sicher, auch die AfD hätte der SPD hier kaum den Sieg genommen, so wie's aussieht, können sie eher froh sein, dass es die Grünen gibt, bzw. jetzt (so) nicht mehr gibt. Wenn wir korrekt bleiben wollen, fließt da auch nur zurück, was mal abgegangen ist, ich kann's halt inzwischen verstehen und verdient haben sie's wohl auch. Wenn es eine Partei gibt, die zu geringen Teilen vermutlich wirklich davon profitierte, dass manche partout ankreuzen, was sich maximal von Populismus und rechten Rand abhebt, oder so beworben wird, dann sind es ja wohl die Grünen. Die nicht zuletzt seit dem Aufkommen der AfD doch auch kräftig zulegten (nicht nur den Wählern), respektive beide sich auch (erst) gegenseitig etwas in die Höhe ziehen konnten, würden sie natürlich nie zugeben. So oder so ist auch das jetz wohl vorbei und bin ganz froh drüber. Über dafür mehr Stimmen für linke Politik, oder überhaupt wieder linke Wahlsiege, aber das muss auch hier nicht jeder sein.