Verteidigungsausgaben im Wahlkampf: Parteien im Überbietungswettkampf
Dass die deutschen Militärausgaben weiter gesteigert werden müssen, da sind sich SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und AfD einig. Nur über die Höhe nicht.
Seitdem sind die deutschen Verteidigungsausgaben massiv erhöht worden. Nach Nato-Kriterien beliefen sie sich im vergangenen Jahr auf rund 90,6 Milliarden Euro. Das sind mehr als 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Geht es nach einer ganz großen Koalition im Bundestag, soll in den kommenden Jahren kräftig ins deutsche Militär investiert werden. Fast macht es den Anschein, als befänden sich SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und AfD in einem Wettstreit, wer am meisten dafür ausgeben will.
Dabei bleiben SPD und Union allerdings auffällig vage. So formuliert die Nochkanzlerpartei in ihrem Bundestagswahlprogramm, sie setze sich „auch zukünftig für eine nachhaltige Verteidigungsfinanzierung von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein“. Bei der Merz-Truppe heißt es, sie verstehe „das aktuelle Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze unserer Verteidigungsausgaben“.
Auf konkrete Zahlen, wie weit sie über die zwei Prozent des BIP hinausgehen wollen, legen sich beide nicht fest. „Ob es nun zwei 2,5 oder 5 Prozent sind, ehrlich gesagt, das hat für mich nur eine zweitrangige Bedeutung“, sagte unlängst Friedrich Merz bei einer Veranstaltung des Clubs Hamburger Wirtschaftsjournalisten. Das Entscheidende sei, „dass wir das notwendige Geld haben, um die Bundeswehr wieder in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag zu erfüllen“.
Geld spielt für die FDP keine Rolle
Die FDP setzt sich demgegenüber dafür ein, „dass Deutschland mindestens das 2%-Ziel der Nato, perspektivisch sogar 3%, erfüllt“. Und nicht nur das: „Wenn die Nato höhere Ziele vereinbart, werden wir auch diese erfüllen und noch mehr in unsere Sicherheit investieren.“ Geld spielt für die Partei von Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner offenbar keine Rolle.
Geht es nach dem Grünen-Programmentwurf, soll „dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit investiert“ werden. Konkret hält der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck „etwa dreieinhalb Prozent“ für nötig. Das orientiert sich an den derzeitigen Diskussionen in der Nato.
Die AfD benennt zwar keinen Prozentsatz. Allerdings bekundete deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel Sympathien mit der vollmundigen Forderung Donald Trumps, die Nato-Staaten sollten fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft fürs Militär ausgeben. Dem ZDF sagte Weidel, sie halte es für „sehr wahrscheinlich“, dass sogar mehr als fünf Prozent erforderlich seien, wenn man es „wirklich ernst“ meine mit der Landesverteidigung und „der Ertüchtigung der Bundeswehr“.
Keine Antworten, woher das zusätzliche Geld kommen soll
Für zukünftige Bundeshaushalte würde selbst die bloße Erhaltung des Status Quo bereits eine deutliche Mehrbelastung bedeuten. Das resultiert daraus, dass das derzeitige 2-Prozentziel der Nato aktuell nur durch spezielle Effekte erreicht wird. Denn der reguläre Verteidigungsetat ist 51,95 Milliarden Euro hoch.
Nach Nato-Kriterien können darüber hinaus auch noch verteidigungsrelevante Ausgaben aus anderen Haushaltsposten, etwa des Auswärtigen Amtes, mitgezählt werden. Ebenfalls eingerechnet werden können beispielsweise Pensionsverpflichtungen für ehemalige Soldat:innen oder das Kindergeld für Bundeswehrbeschäftigte.
Vor allem jedoch hat die verblichene rot-grün-gelbe Bundesregierung noch gut 7,5 Milliarden Euro an militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine und 19,8 Milliarden aus einem „Sondervermögen“ dazugerechnet. Das addiert sich zusammen dann auf jene 90,6 Milliarden Euro, die der Nato gemeldet wurden. Wobei es sich bei dem insgesamt 100 Milliarden schweren „Sondervermögen“ um außerordentliche Kredite handelt, die von der Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgenommen sind. Nur noch 2025 und 2026 kann es in Anschlag gebracht werden. Dann wird es aufgebraucht sein.
Das deutsche BIP lag im vergangenen Jahr bei 4.306,4 Milliarden Euro. Das als Ausgangsbasis genommen, würden drei Prozent davon, wie sie die FDP anstrebt, Verteidigungsausgaben von rund 129,2 Milliarden Euro bedeuten. Die 3,5 Prozent, die die Grünen fordern, beliefen sich auf rund 150,7 Milliarden Euro. Fünf Prozent wären etwa 215,3 Milliarden Euro – bei einem Bundeshaushalt, der 2024 insgesamt ein Volumen von rund 488,9 Milliarden Euro hatte. Das wären also mehr als 44 Prozent des Gesamtetats.
Ohne eine starke Lockerung der Schuldenbremse wären schon die bekannten Vorstellungen von FDP und Grünen nicht ohne dramatische Einschnitte in anderen Haushaltsbereichen umsetzbar. Da verwundert es nicht, dass SPD und Union ihre Pläne lieber im Vagen lassen. Eine ehrliche Antwort, woher das zusätzliche Geld fürs Militär kommen soll, bleiben jedenfalls alle Wahlprogramme bzw. Programmentwürfe schuldig. Bei den Grünen heißt es dazu nur lapidar, das werde „nicht allein aus laufenden Einnahmen finanzierbar sein, sondern wird mittelfristig auch über eine höhere Kreditaufnahme finanziert werden müssen“.
Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie
Aus gutem Grund hatten die Grünen noch in ihrem Bundestagswahlprogramm 2021 das 2-Prozent-Ziel der Nato als willkürlich bezeichnet und für eine „neue Zielbestimmung“ plädiert, „die nicht abstrakt und statisch ist, sondern von den Aufgaben ausgeht“. Auch in Bezug auf das im Juni 2022 vom Bundestag mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossene „Sondervermögen“ wäre es sicherlich effektiver gewesen, erst den realen Bedarf zu ermitteln und sich dann auf eine entsprechende Summe zu verständigen. So jedoch erscheint der Geldregen für die Bundeswehr vor allem als Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie im In- und Ausland, die sich über Rekordgewinne freuen kann.
Das Bruttoinlandsprodukt ist ein recht fragwürdiger Maßstab zur Bestimmung der als notwendig erachteten Militärausgaben. So plant Polen für dieses Jahr, 4,7 Prozent seines BIP für die Verteidigung auszugeben – womit Deutschlands Nachbarland Rekordhalter mit großem Abstand vor allen anderen Nato-Staaten wäre. Aber in der Summe wären das trotzdem „nur“ etwa 41 Milliarden Euro – also nicht einmal die Hälfte der deutschen Militärausgaben.
Aber was ist überhaupt erforderlich, um die Sicherheit Deutschlands und der EU zu gewährleisten? Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken verweist auf eine kürzlich von Greenpeace veröffentlichte Studie. Trotz des Aufrüstungskurses Putins übertreffen danach die militärischen Kapazitäten der Nato weiterhin die Russlands in nahezu allen Aspekten – mit Ausnahme der Atomwaffen, deren Einsatz von welcher Seite auch immer allerdings ohnehin die Weltvernichtung bedeuten würde.
Besonders bemerkenswert: Schon die europäischen Nato-Staaten alleine geben bereits jetzt deutlich mehr Geld fürs Militär aus als Russland. Selbst kaufkraftbereinigt würden 430 Milliarden Euro der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden Euro Russlands gegenüberstehen. „So aggressiv Russland auch ist – noch mehr Aufrüstung lässt sich aus diesen Zahlen nicht ableiten“, schlussfolgert van Aken.
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