Verfahren gegen Polizisten eingestellt: Szenetypische Hautfarbe?
Der Hamburger Altenpfleger John H. wurde 2020 von Polizisten überfallen, die ihn für einen Dealer hielten. Nun gehen sie straffrei aus.
Sie sagten, sie hätten einen Tipp erhalten, dass H. mit Drogen handle. Sie zogen ihn zu dritt an der Bushaltestelle Veilchenweg vom Fahrrad, fixierten ihn am Boden und durchsuchten seine Taschen. Dabei wurden Johns Fahrrad, seine Uhr und sein Handy beschädigt. Er selbst trug neben ein paar Kratzern vor allem psychische Schäden davon.
John H. teilte seine Erfahrung auf Instagram. In den vielen Reaktionen darauf wurde der Polizei Rassismus und unverhältnismäßige Gewaltanwendung vorgeworfen. Auch H. ist sich nach wie vor sicher, dass sich dieser Eingriff nur deshalb wie beschrieben abgespielt hat, weil er Schwarz ist.
Doch „mangels hinreichenden Tatverdachts“ ist das Verfahren gegen die Beamten nun eingestellt worden, bestätigt die Staatsanwaltschaft. Da jedoch noch die Möglichkeit einer Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft bestehe, gebe die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz keine weiteren Auskünfte zur Begründung.
Polizei weist Rassismus-Vorwurf zurück
John H.s Anwältin Petra Dervishaj liegt die Einstellungsverfügung allerdings vor. Darin stehe, dass die Staatsanwaltschaft durch sein Verhalten einen Anfangsverdacht für den Handel mit Drogen als gesetzt sehe, da er sich „szenetypisch“ verhalten habe: H. fuhr zu mehreren Wohnungen und telefonierte zwischendurch mit seinem Chef. Im mobilen Pflegedienst besucht er manchmal bis zu 25 Patient:innen am Tag. Doch welche Rolle spielt bei diesem „szenetypischen“ Verhalten John H.s Hautfarbe?
Es sei eine „pauschale Behauptung“, heiße es in der Einstellungsverfügung, sagt Dervishaj, dass die polizeilichen Maßnahmen auf einem rassistischen Klischee fußten. Außerdem stehe dort, es sei nicht erkennbar, dass die Beamten aufgrund der Hautfarbe von H. gehandelt hätten.
Dies deckt sich mit der Stellungnahme der Polizei: Ein solcher Eingriff orientiere sich „nicht am Aussehen einer Person, sondern an deren Verhalten“. Man habe ihn während der Fahrt gestellt, „um einen möglichen Fluchtversuch unmöglich zu machen“.
Dass der Fall eingestellt werden soll, zeige „wie fest verankert struktureller Rassismus auch bei den Strafverfolgungsbehörden“ sei, sagt Dervishaj. „Es liegt auf der Hand, dass ein weißer Mensch ziemlich sicher gar nicht erst in das Blickfeld der Zivilbeamten gerückt wäre“, sagt sie.
John H. sei „wie in einem Schockzustand“ gewesen, als er erfahren habe, dass es mit seinem Fall nicht weitergehen werde. Er habe gewusst, dass seine Chancen nicht gut ständen. „Aber ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben“, sagt er. Die Begründung der Staatsanwaltschaft könne er nicht nachvollziehen: „Es ist eine Sache, jemanden zu kontrollieren, aber eine andere, jemanden mit Gewalt zu überfallen“.
Die Erfahrung habe ihm „die Augen geöffnet“, sagt der 32-Jährige. „Im deutschen Rechtssystem kommt man nicht gegen die Polizei an.“ Deshalb wolle er auch keine Beschwerde einlegen, um ein weiteres Verfahren zu erwirken. „Ich kämpfe gegen eine Wand“, sagt John H. Er habe keine Kraft mehr dafür. Und er wisse, dass sich dadurch nichts ändern werde.
Vertrauen in den Rechtsstaat verloren
Er möchte sich nun auf sich selbst konzentrieren. Vor drei Wochen habe er eine Traumatherapie begonnen, weil er gemerkt habe, dass ihn all dies sehr belaste. „Solche Vorfälle mit der Polizei machen einen kaputt“, sagt er. Er schlafe schlecht und müsse oft an den Tag zurückdenken.
John H. ist noch immer als Altenpfleger in Eimsbüttel tätig. Noch immer fährt er mit dem Fahrrad von Patient:in zu Patient:in. Und noch immer sieht er dabei ab und zu einen der Polizeibeamten, der an dem 18. April auf ihm kniete. H.s Wohnung, die Pflegedienststelle, seine Patient:innen und das Polizeikommissariat 17 liegen nur wenige Fahrradminuten voneinander entfernt – was es für ihn erschwert, mit dem Fall abzuschließen.
Die Polizeipressestelle teilte vergangenes Jahr mit, dass über „etwaige disziplinarische Folgen“ erst nach Abschluss der Ermittlungen entschieden werde. Somit dürfte es nun keine Konsequenzen für die beteiligten Zivilfahnder geben. Eine entsprechende Anfrage blieb bis Redaktionsschluss allerdings unbeantwortet.
John H. hingegen muss mit den Konsequenzen leben: Für die anstehenden Anwaltskosten aufzukommen, sich auf der Arbeit nicht mehr sicher zu fühlen, eine Therapie zu machen, um das Geschehene zu verarbeiten und das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren zu haben.
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