piwik no script img

Verdrängung in BerlinGeduldeter Horror

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Ein Vermieter schikaniert seine Mie­te­r*in­nen in Berlin-Mitte mit illegalen Methoden und die Politik schaut tatenlos zu. Ein fatales Signal.

100 Wohnungen in bester Innenstadtlage in Berlin. Doch der Investor will abreißen Foto: Christoph Soeder/dpa

E s ist der Horror aller Mieter*innen: Dein Vermieter will dich los werden, um noch mehr Rendite aus dem Haus, in dem du wohnst, rauszuschlagen. Weil du aber einen gültigen unbefristeten Mietvertrag hast, geht das nicht so einfach. Also schickt er regelmäßig ein paar dubiose Hand­wer­ke­r*in­nen vorbei, die das Haus unbewohnbar machen, um dich rauszuekeln.

Nach Monaten ohne Strom und warmes Wasser gibst du angesichts der eisigen Temperaturen schließlich auf und suchst dir etwas Neues. Sehr viel teurer natürlich und nicht mehr in der Innenstadt, sondern weit außerhalb. Der Vermieter reißt das Haus, das für viele Jahre dein Zuhause war, kurzerhand ab und baut Luxusappartements in bester City Lage für reiche Leute.

Klingt unrealistisch, schließlich ist das in Deutschland verboten? Ist es, trotzdem passiert genau das zurzeit in Berlin-Mitte. Bis auf das Ende. Denn die kämpferischen Mie­te­r*in­nen des Plattenbaus in der Habersaathstraße 40-48 lassen sich nicht so einfach vertreiben. Schließlich sind sie im Recht, auch vor Gericht wurde ihnen bislang bestätigt, dass Mieterschutz vor Profitgier geht.

Das juckt den Eigentümer, Andreas Pichotta, Geschäftsführer von Arcadia Estates, wenig. Immer kurz vor den Gerichtsterminen versucht er es mit kalten Räumungsversuchen bei den Mieter*innen. Mal schickt er Bauarbeiter und eine private Sicherheitsfirma, die die Fenster ausbauen und Stromzähler rausreißen, mal lässt er die Schlösser austauschen oder, wie in dieser Woche, mauert eine Brandschutztür zu und versperrt damit den Be­woh­ne­r*in­nen nicht nur den Zugang zu ihren Sachen, sondern auch den im Falle eines Feuers überlebensnotwendigen Fluchtweg.

Spekulanten haben keine Konsequenzen zu befürchten

Das alles, man kann es nicht oft genug sagen, ist illegal. Weder hat die Arcadia einen Räumungstitel – im Gegenteil, die Räumungsklage gegen einen Mieter wurde bereits abgewiesen und mit den anderen wird er voraussichtlich ebenfalls nicht durchkommen. Noch ist es erlaubt, bauliche Maßnahmen vorzunehmen, die dazu dienen, die Mie­te­r*in­nen zum Auszug zu bewegen. Doch die bis zu 100.000 Euro Strafe, die hierfür drohen, scheint Pichotta in Kauf zu nehmen in der Hoffnung, am Ende doch noch das ganz große Geld zu machen.

Denn bislang kommt er damit durch. Und das ist der eigentliche Skandal. Dass die Politik in Berlin nichts dagegen unternimmt, dass ein Investor, der aus Spekulationsgründen ein erst in den 1980er Jahren mit öffentlichen Geldern errichtetes Gebäude mit 100 Wohnungen in bewohnbarem Zustand jahrelang leer stehen lässt, um es verfallen zu lassen und dann mit illegalen Methoden die verbliebenen Mie­te­r*in­nen skupellos zu vertreiben versucht.

Das alles geschieht in einer Stadt, in der Wohnraum dringend gebraucht wird. Doch statt sich auf höchster Ebene dafür einzusetzen, dass solche rechtswidrigen und menschenfeindlichen Praktiken keine Schule machen, und die Mie­te­r*in­nen zu schützen, ist vom Berliner Senat nichts zu hören. In den zuständigen Senatsverwaltungen verweist man auf den Bezirk Mitte, der ist augenscheinlich überfordert oder nicht willens, dem ein Ende zu setzen.

Die Politik muss Wohnraum erhalten und Mieter schützen

Dabei gäbe es durchaus Mittel. Die Stadt könnte das Gebäude beschlagnahmen und wieder bewohnbar machen – und jetzt, kurz vor Wintereinbruch, die Strom- und Warmwasserversorgung wiederherstellen. Sie könnte das Haus, das eigentlich ein Housing-First-Vorzeigeprojekt ist, weil dort 60 ehemals obdachlose Menschen selbstverwaltet wohnen, rekommunalisieren. Sie könnte den Abriss von intaktem Wohnraum verbieten. Sie könnte den Besitzer wegen Zweckentfremdung belangen und damit anderen windigen Spekulanten zeigen, dass sie in Berlin nicht machen können was sie wollen und Mie­te­r*in­nen­schutz oberste Priorität hat.

Doch stattdessen wird lieber symbolträchtig über die per Volksentscheid verbotene Bebauung des Tempelhofer Felds geredet – wodurch vermutlich weniger bezahlbarer Wohnraum entstehen würde, als hier gerade mutwillig zerstört wird. Wenn der schwarz-rote Senat seinen Auftrag ernst nehmen würde, Mieter zu schützen, Wohnraum zu erhalten und Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, dürfte er Zustände wie in der Haberaathstraße nicht hinnehmen.

Doch bislang sind Mie­te­r*in­nen in Berlin im Kampf gegen skupellose Investoren auf sich allein gestellt. Und die Hauptstadt des Mietenwahnsinns sendet damit allen Spekulanten auf der Welt das Signal: Die Stadt gehört euch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Ganz toller und engagierter Artikel von Marie Frank, der die Scheinheiligkeit und Verlogenheit der schwarz-roten Regierung in Sachen Wohnungspolitik präzise zur Schau stellt. Make no mistake: Mieter*innen haben unter Wegner, Evers, Giffey und Co. nichts zu erwarten, ausser Hohn und Verachtung

  • Hier steht von Seiten des Eigentümers erhebliche kriminelle Energie im Raum, weil bewusst Gesundheit und Leben der Mieter bedroht werden.



    Die verantwortlichen Behörden schauen tatenlos zu, ohne von der Politik zur Verantwortung gezogen zu werden.



    Ampelpolitiker aller Parteien versagen, weil sie es nicht fertig gebracht haben, ein Gesetz gegen Spekulation mit Wohnraum im Bundestag durchzubringen.



    Besonders die FDP verhindert, ein solches Gesetz und macht sich damit zum Handlanger von Vermietern und Eigentümern, die mit purer Zerstörung ihres Eigentums und mit juristischen Tricks vesuchen, Menschen aus ihren Wohnungen zu verdrängen.

    In Berlin Moabit, Jagowstraße 35, wo einst die Urwählerschaft der SPD zuhause war, gibt es ein weiteres Beispiel für massive Spekulation mit Wohnraum.



    Die SPD, die einst hier einst für de Rechte der Arbeiter kämpfte, schaut tatenlos zu.



    Allein die Grünen versuchen, etwas zu unternehmen, scheitern aber, weil die Rechtslage Spekulation so begünstigt.



    Die Behörden erteilten Leerstandsgenehmigungen.



    Das Bezirksamt bleibt untätig, obwohl der Vermieter mit Leerstand auf eine Abrissgenehmigung spekuliert und der Wohnungsbestand durch staatliches Eingreifen erhalten werden könnte.

    www.bmgev.de/miete...n-und-vertreibung/

    Der Rio Reiser-Sonng "Macht kaputt, was euch kaputt macht" hat nichts von seiner Aktualität verloren.

  • Wie sehen denn die Argumente der Gegenseite, also des Investors aus? Das ist doch ein recht einseitiger Bericht.

    • @Dirk Osygus:

      "Mal schickt er Bauarbeiter und eine private Sicherheitsfirma, die die Fenster ausbauen und Stromzähler rausreißen, mal lässt er die Schlösser austauschen oder, wie in dieser Woche, mauert eine Brandschutztür zu und versperrt damit den Be­woh­ne­r*in­nen nicht nur den Zugang zu ihren Sachen, sondern auch den im Falle eines Feuers überlebensnotwendigen Fluchtweg."

      Wie sollen die Argumente für so etwas aussehen? Mit was begründet man das Zumauern eines Fluchtweges?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Womit! Nicht mit was!

        • @Chris Güse:

          Das ist bestimmt entscheidend.

    • @Dirk Osygus:

      Die sind doch vorgeschoben. Der Typ will möglichst viel Kohle machen. Soviel ist klar.

      • @schnarchnase:

        Aber mit dieser Aussage käme er auch im Vermieterfreundlichsten Gericht nicht weit.



        Eine Geschichte, die gut klingt, muss er sich mindestens ausgedacht haben.

  • Warum sollte das die Berliner Stadtregierung stören? Also der Protest der Mieter ist sicher unerwünscht. Das stimmt.

  • Geduldeter Horror



    Super, wie engagiert sie auf diesen Missstand hinweisen!



    Es geht um viele Wohnungen, viele mit Mieterinnen, die auf dem normalen Wohnungsmarkt in Berlin überhaupt keine Chance haben, woanderst wahrscheinlich auch kaum. Diese gewachsene Bewohnerschaft zu verdrängen aus einem öffentlich geförderten relativ neuen Wohnbau darf nichts passieren!



    Leben wir in einem Sozialstaat? Dann muss die Politik hier aber zackig eingreifen, Vorschläge wurden ja viele im Artikel genannt!



    Wir Leser könnten zu Unterstützern der Bewohner werden, indemwir Mails an den Berliner Senat schicken, Vielleicht ist auch eine kritische Fernsehsendung -Böhmermann,Ehlert,HeuteShow bereit darüber zu berichten.



    Eigentlich könnte die Politik hier einmal ein gutes Signal setzen für Ihr Engagement für die Bürger!

  • Grundgesetz und Baugesetzbuch ermöglichen in solchen Fällen die Enteignung.

    Strafrechtlich ist es Nötigung.

    Alles aber nur, wenn die zuständigen Behörden nicht zu feige sind die entsprechenden Verfahren einzuleiten und durchzuziehen.

  • Petition gegen das Unternehmen und seine Eigentümer. Strafanzeige, soweit möglich, obendrauf.

    • @Gerhard Krause:

      Strafanzeige und Berufsverbot.

  • Hier wäre doch eine "kalte" Enteignung angesagt.

    • @Thomas Derrek:

      Enteignen kann man Einfamilienhausbesitzer in Lützerath, aber nicht Wohnkonzerne in Berlin.

      • @Perkele:

        Man müsste das Wort Enteignung vermeiden und kreativ arbeiten. Rückführung aufgrund von Gemeinwohl Gefährdung. Unabwendbarkeit einer Schutzmaßnahme für die Zivilbevölkerung. AFD Vermeidungsmaßnahmen