Unterstützung für US-Proteste: Selbstbezogene Solidarität
Konzerne und weiße Stars solidarisieren sich mit den antirassistischen Protesten in den USA – meist aus Eigennutz. Es ist Zeit für Taten statt Worte.

Im Zuge der Proteste gegen den Polizeimord an George Floyd gehen nicht nur Zehntausende in den USA auf die Straße – auch die sozialen Netzwerke brummen: Twitter, Facebook, Instagram fließen über vor Solidaritätsbekundungen, sie kommen von Privatleuten, aber auch von Stars und von Konzernen. Weiße Promis lassen sich von ihren Fans für diese Solidarität feiern.
Klar, es ist schön zu sehen, dass endlich mal Zeichen gegen den Alltagsrassismus gesetzt werden. Dass sich Bürgermeister und Gouverneure solidarisch äußern, Polizist_innen hinknien, Nike und Adidas solidarisch twittern.
Wobei spätestens hier Fragen aufkommen sollten: Wenn sich genau die Leute äußern, die jahrelang den Mund nicht aufbekommen haben, wenn es um Alltagsrassismus ging. Wenn die Polizisten sich medienträchtig hinknien, um danach trotzdem Pfefferspray gegen Demonstrierende zu sprühen. Wenn Modekonzerne aufspringen, deren Verbundenheit zur Schwarzen Community Teil des Geschäftsmodells ist, weil sie ihre Kultur kopieren und damit Kasse machen. Wie kann ihre Solidarität dann noch ernst genommen und beklatscht werden?
Es stehen gewiss nicht nur eigennützige oder gar niederträchtige Beweggründe dahinter. Der Tod von George Floyd ist so offensichtlich ein Verbrechen, dass sich jeder halbwegs normal denkende Mensch mit den Protestierenden solidarisieren müsste. Sich dafür feiern zu lassen, ist wohlfeil und feige. Es ist Vermarktung und Selbstüberhöhung, wenn es nicht mehr um die Schwarzen Menschen geht, sondern um die Weißen. Ach wie solidarisch sie doch sind, denn sie stehen ein für Menschenrechte. Es kostet nichts, bringt aber PR und das Gefühl, auf der guten Seite zu sein.
Worte, die keinen Mut erfordern
„Action speaks louder than words“ ist ein beliebter Slogan im US-amerikanischen Aktivismus, und hier stimmt der Spruch: Solidarität per Wort erfordert keinen Mut und kein Risiko. Sie droht folgenlos zu bleiben, wenn es bei der bloßen Bekundung bleibt und danach doch alles so weitergeht wie vorher. Zum Beispiel, wenn L’Oreal sich per Twitter solidarisch erklärt, aber in der Folge trotzdem ein weißes Schönheitsbild verbreitet.
Gerade jetzt wäre es für Weiße an der Zeit, sich mal aus der ersten Reihe zurückzuziehen. Wenn es darum geht, wie Weiße Schwarze Menschen besser unterstützen können, ist meist der erste Wunsch: Hör mir zu, anstatt selbst die Welt erklären zu wollen. Halt dich mal zurück, anstatt immer vorneweg zu gehen. Noch mehr Tipps, wie Weiße im Kampf gegen Rassismus bessere Verbündete sein können, stehen zuhauf im Netz, sucht mal nach „white ally“.
Im Grunde geht es darum, sich seiner weißen Privilegien bewusst zu werden und diese möglichst konstruktiv einzusetzen. Es ist ein Dilemma dieses Textes, denn diese Zeilen wurden von einem Weißen geschrieben, und der Text dreht sich um Reaktionen von Weißen. Aber genau das ist der Punkt: Weiße müssen sich auch mal an die eigene Nase fassen und reflektieren: Was geht da eigentlich gerade ab?
Zuhören, weiterbilden, handeln
Die nun stattfindenden Proteste offenbaren aber ein Problem, das über die USA hinausgeht: Rassismus ist auch in Europa, auch hier in Deutschland im Alltag präsent. Solidarische Tweets freuen zwar die Verbündeten in den USA, aber viel wichtiger wäre es, sich der Alltäglichkeit von Rassismus bewusst zu werden und hier zu handeln.
Wie? Zuhören, sich weiterbilden, nicht alles besser wissen (wollen). Mal die Website der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland besuchen, ihren Accounts in den sozialen Netzwerken folgen. Und Geld spenden, denn die Initiative ist gerade dabei, mit dem Slogan „Empower Activism!“ ihre Strukturen auszubauen, um sich noch stärker in die Diskussionen in Deutschland einmischen zu können. Und am wichtigsten ist: Im konkreten Fall Schwarze Menschen zu unterstützen – und das nicht nur mit Worten.
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