Unteilbar-Aktivistin zu Sachsen-Anhalt: „Zivilgesellschaft ist in Gefahr“
Das Bündnis Unteilbar mobilisiert zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Initiatorin Susanne Wiedemeyer über mögliche Folgen, sollte die AfD stärkste Kraft werden.
taz: Frau Wiedemeyer, zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat das Unteilbar-Bündnis eine Kampagne gestartet. In Ihrem Aufruf sprechen Sie von einer „drohenden Regierungsbeeinflussung durch die extreme Rechte.“ Wie sieht denn die politische Lage in Sachsen-Anhalt kurz vor der Wahl aus?
Susanne Wiedemeyer: Untersuchungen belegen, dass es eine bestimmte Klientel gibt, das rechtspopulistische, extreme, menschenfeindliche Einstellungen hat. Wir gehen aktuell davon aus, dass die AfD bei den Wahlen etwa 25 Prozent haben wird. Insgesamt ist unsere Einschätzung, dass die extreme Rechte keinen vermehrten Zulauf hat, aber da die CDU Rückgänge verzeichnen muss, verschieben sich die Kräfteverhältnisse, und die AfD könnte die stärkste Fraktion im Landtag stellen. Was wir auch nicht einschätzen können, ist, wie viele Leute zusätzlich noch aus Protest wählen, weil sie die Nase voll haben.
Die Nase voll wovon?
Von den Coronamaßnahmen. Der Wind dagegen ist zwar nicht so groß wie in anderen ostdeutschen Bundesländern, aber es könnte dennoch sein, dass die Protestwähler in diese Richtung kippen. Unsere große Angst ist, dass die AfD stärkste Partei wird, auch, weil die CDU schwächelt.
In einer neuen Umfrage liegt die AfD tatsächlich vorn. Was würde ein solches Ergebnis bei der Wahl bedeuten?
Die AfD könnte die Gelder für wichtige Demokratiearbeit streichen. Insbesondere für kleine Vereine, die die Basis unserer Zivilgesellschaft bilden, ist diese Lage bedrohlich. Ohne die Gelder gibt es weniger Vielfalt, und zahlreiche wichtige Projekte und Vorhaben könnten nicht umgesetzt werden. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht gegeneinander ausgespielt werden und uns gemeinsam dagegen wehren. Die mühsam aufgebaute und sehr aktive Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt ist damit in Gefahr.
Schon 2017 stimmte die CDU gemeinsam mit der AfD für die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Thema „Linksextremismus“. Welche Probleme für die Vereine gab es da?
Es gab immer wieder Anfragen bei Vereinen, denen unwahre Dinge unterstellt wurden, was die Arbeit erschwert und blockiert hat. Die Drohung der AfD ist, Anträge im Landtag zu stellen, damit die Gelder für die Vereine gestrichen werden. Um dagegen gemeinsam handeln zu können und sich gegenseitig den Rücken zu stärken, haben wir das Bündnis aufgebaut.
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Um welche Arbeit geht es da konkret?
Zum Beispiel der Verein „Miteinander“. Das ist eine der Strukturen, die sich seit Jahren mit Rechtsextremismus im Land beschäftigen und sehr wichtige Arbeit für Demokratiebildung leisten. Unter anderem gewährleistet der Verein eine Beratung für Opfer rassistischer Angriffe. Außerdem gibt es unterschiedliche Beratungsstellen, zum Beispiel für kleine Bündnisse, die auf die Vielfalt in ihrem Dorf aufmerksam machen wollen.
Sachsen-Anhalt ist als Land der Nicht-Wähler:innen bekannt. Bei der letzten Landtagswahl lag die Wahlbeteiligung gerade mal bei 55,8 Prozent. Eine aktuelle Statistik besagt außerdem, dass vor allem von den jungen Menschen sehr wenige wählen gehen. Wie wollen Sie die Nicht-Wähler:innen mobilisieren?
Unsere Aktionen stehen unter dem Titel „Solidarität statt Ausgrenzung.“ Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass es in Sachsen-Anhalt eine solidarische Zivilgesellschaft gibt, die sich aktiv einbringt und in ihrer Vielfalt zusammensteht. Im besten Fall wollen wir verhindern, dass mehr Menschen die extreme Rechte wählen.
Weiterhin muss klar sein, dass auf keinen Fall irgendeine Partei mit der extremen Rechten Sondierungen oder Verhandlungen aufnehmen darf. Ich kann nur immer wieder betonen, dass man wählen gehen soll – und demokratisch wählen muss. Wir können zwar keine Großveranstaltungen durchführen, haben im Rahmen der Kampagne aber pandemiekonforme Veranstaltungen geplant.
ist stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt. Außerdem leitet sie das Landesbüro in Sachsen-Anhalt. Sie ist eine der Initiator:innen des „Unteilbar“-Bündnisses in Sachsen-Anhalt.
Zum Beispiel?
Wir haben bereits im April unsere Auftaktveranstaltung durchgeführt. Am 29.5. wollen wir dann in Halle ein „Band der Solidarität“ knüpfen. Verschiedene Aktionsorte werden im Rahmen einer Menschenkette verbunden. Es wird ebenso ein Gesamtbühnenprogramm geben, welches über ein freies Radio ausgestrahlt und punktuell im Internet gestreamt wird.
Außerdem machen wir viel in den einzelnen Organisationen vor Ort, damit erreichen wir auch viele Menschen. Aktuell haben bereits 150 Organisationen und Einzelpersonen unterschrieben, von „Omas gegen Rechts“ über Gewerkschaften bis hin zu Pro Asyl und der AWO.
Halten Sie es denn auch für möglich, dass die CDU trotz ihrer betonten Abgrenzung zur AfD kippen kann und womöglich doch ein Bündnis mit den Rechten eingeht?
Ich hoffe ganz fest, dass das nicht passieren wird und die CDU weiterhin zu ihren klaren Beschlüssen steht. Aber je stärker die AfD wird, desto größer ist das Restrisiko, dass andere Regierungsszenarien in der Diskussion aufkommen.
Was braucht Sachsen-Anhalt für die Zukunft?
Eine offene und solidarische Gesellschaft, die andere Menschen aus anderen Ländern Willkommen heißt. Außerdem gute Arbeitsplätze, die gut bezahlt werden und bei denen es keinen Ost-West-Unterschied gibt – sonst hat man das Gefühl, dass man Bürger zweiter Klasse ist.
Und es muss uns gelingen, die Transformation für den Strukturwandel gut hinzubekommen. Wir müssen neue Industriearbeitsplätze in den Regionen schaffen, wo andere wegfallen. Natürlich geht es auch schon mit der Jugendarbeit los – wir brauchen ebenso auch gut ausgestattete Schulen. Insgesamt müssen alle Angebote der Daseinsvorsorge gestärkt werden, gerade auch um die Pandemiefolgen abzumildern. Es muss ein lebenswertes Land bleiben.
Ist es das denn?
Ich finde schon. Ich bin da positiv gestimmt und sage: Wir kriegen das hin. Wenn ich das nicht tun würde, müsste ich meine Koffer packen.
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