Umstrittene Kunst-Gastprofs in Hamburg: Dialog und Verbrechen
Ein Jahr lang lehren zwei Mitglieder des umstrittenen Kollektivs Ruangrupa an der Hamburger Kunsthochschule. Dagegen kam es nun zu (etwas) Protest.
„An der HFBK“, versicherte deren Präsident Martin Köttering am späten Mittwochnachmittag, „gibt es keinen Platz für Antisemitismus.“ Das sei eine Selbstverständlichkeit, die auszusprechen er bisher für unnötig gehalten habe. Gerichtet war das gerade auch an die diesmal vermehrt anwesenden nicht Hochschulangehörigen.
Formal als Gastprofessoren an die Hochschule aufgenommen wurden bei der Veranstaltung die Ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono – neben ihnen noch Gilly Karjevsky und Tom Holert, ferner die beiden regulären Professor*innen Adina Pintilie und Tobias Zielony.
Die Ruangrupa-Connection machte daraus einen mehr als sonst beachteten Termin. Im Gespräch mit der taz berichtete Köttering am Donnerstag etwa von einem merklichen Anschwellen der Medienanfragen. Aber natürlich war nach der teils heftig umstrittenen Documenta auch mit Protest zu rechnen gegen die temporäre Berufung der zwei Kuratoren.
Vorwurf: BDS-Nähe
Und ja, es wurde protestiert gegen die Personalie, es wurde Widerspruch laut in der mit rund 300 Menschen mehr als gut gefüllten Aula des 1920er-Jahre-Baus. Noch während Kötterings einführenden Worten wurden erste Zwischenrufe laut, auch Schilder waren im Publikum zu sehen: „Fight BDS“ und „Ruangrupa Ca$h from Anti-Semitism“. Eine Aktivistin verteilte Flugblätter, überschrieben mit: „Antisemitism is not art“.
Dem da verbreiteten Text zufolge handelt es sich bei Afisinas und Hartonos Gastprofessuren um eine „Belohnung“ für die antisemitische Documenta; was allerdings schon vom zeitlichen Ablauf her keinen Sinn ergibt. Gleichwohl wurde nun die Forderung erhoben, das lange vor der Kasseler Ausstellung eingegangene Arrangement aufzukündigen – oder, wie es ein Protestierender, mutmaßlich biodeutscher Täternachfahre, irgendwann rief: „Schmeißt die Nazis raus!“
An Köttering richteten einzelne Aktivist*innen den Vorwurf, auch er unterstütze die israelfeindliche Boykottbewegung BDS, ebenso sei der Gastprofessor Holert deren Sympathisant. Der Kulturwissenschaftler aus Berlin hätte eigentlich den Festvortrag sollen über das Thema „Kunst und Governance“.
Schon vor der Eröffnung Mitte Juni gab es Bedenken, ob die Einladung von mehr als 50 Künstler*innenkollektiven – etlichen davon aus dem globalen Süden – nicht zu antisemitischen Äußerungen bei der Documenta führen werde.
Was sich konkretisierte anhand von „People’s Justice“ vom indonesischen Kollektiv Taring Padi: Das „mit antisemitischen Figuren gespickte“ Riesen-Bild, so die taz, wurde nach Protesten wieder abgebaut.
Hochproblematisch war auch die Reihe „Tokyo Reels“ des Kollektivs „Subversive Film“: Dabei handelte es sich um Archivfilme des bewaffneten palästinensischen Widerstands aus den 1960er- bis 1980er-Jahren. Im eigens hinzugefügten Kommentar der Künstler*innen war dann u.a. von einer „zionistischen Verschwörung“ die Rede.
Über konkrete Arbeiten hinaus kritisierte ein eigens berufenes Expert*innengremium im September noch eine „einem kuratorisches und organisationsstrukturelles Umfeld, das eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen hat“.
Die Kurator*innen von Ruangrupa haben das wiederholt von sich gewiesen. Auch andere Vertreter*innen der Ausstellung bezeichneten Kritik teils als „rassistisch“ motiviert.
Als sich aber der etwas andere Charakter der Veranstaltung abgezeichnet habe, sagte Köttering, habe man sich darauf geeinigt, den Vortrag zu kürzen. Am Ende hielt Holert ihn dann gar nicht mehr, Köttering überließ Pult und Mikrofon den Aktivist*innen.
War das der ganz große Eklat, die Protestaktion also ein Erfolg? Ansichtssache. Die beiden umstrittenen Gastprofessoren bleiben ja; aus Sicht der Protestierenden bietet die Hochschule also ein Jahr lang zwei Antisemit*innen die sprichwörtliche Bühne. Bemerkenswert war in dem Zusammenhang der kurze Auftritt Gilly Karjevskys: Die temporäre Professorin für soziales Design ist selbst Israelin.
Ganz wider ihre Natur, so erklärte sie, wolle sie sich nun doch positionieren zu dem Ganzen – und tat das in sehr viel entschiedeneren Worten als etwa Köttering. Statt etwa vom „Nahost-Konflikt“ sprach sie wiederholt von der „Besetzung Palästinas“. Das Thema werde im globalen Nordwesten sehr uninformiert und voreingenommen diskutiert. Auch die beiden Ruangrupa-Mitglieder würden „verfolgt“, so Karjevsky, als „angebliche Antisemiten“.
Die Gegner*innen focht das nicht an – ebenso wenig wie Kötterings Hinweis auf den späten November: Dann will die HFBK auf Initiative des Hamburger Instituts für Sozialforschung und in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr einen Workshop sowie eine Podiumsdiskussion zur jüngsten Documenta „als politisches und kulturelles Ereignis“ ausrichten.
Überhaupt sei das ja die Chance der Gastprofessuren, sagt Köttering: Wo sollte sich aufarbeiten lassen, was da in Kassel schief gegangen sei, wenn nicht im geschützten Raum einer Hochschule? Aus Sicht der Protestierenden freilich ist schon die Diskussion über Antisemitismus Teil des Problems – weil sie zum vertretbaren Teil des Meinungsspektrums mache, was einfach bloß Verbrechen sei.
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