Antisemitismus auf der documenta15: „Glorifizierung von Terror“

Das Kuratorenteam Ruangrupa verweigert kritische Kommentare zu antisemitischen Filmen, die in Kassel zu sehen sind.

Filmausschnitt aus „Tokyo Reels“ Foto: Peter Hartenfelser/imago

Keine zwei Wochen wird sie noch andauern, diese so unglücklich verlaufene documenta, doch ein ruhiges Ende ist der Kasseler Weltausstellung, die in den Medien schon zur „aktivista“ oder „antisemita“ verballhornt wurde, nicht vergönnt.

In einer Pressemitteilung fordert nun das von den documenta-Gesellschaftern eingesetzte Expertengremium – eigens einberufen, um die Antisemitismusvorwürfe in Kassel aufzuarbeiten – propalästinensische Filme aus den 1960er bis 1980er Jahren des Kollektivs „Subversive Film“ nicht mehr zu zeigen. Zeugen sollen die Filme unter dem Namen „Tokyo Reels“ von einer weitestgehend übersehenen „antiimperialistischen Solidarität zwischen Japan und Palästina“.

Dabei offenbaren sie vor allem antisemitische Haltungen, wie wir in dieser Zeitung bereits vor vier Wochen beschrieben haben: Israelische Soldaten hätten angeblich Leichen auf einem christlichen Friedhof geschändet, heißt es, zudem wird die Falschbehauptung verbreitet, dass die israelische Armee das Massaker von Sabra und Schatila im Libanon begangen hätte.

Nicht unerheblich ist auch, dass das Projekt von Masao Adachi, einem ehemaligen Mitglied der Japanischen Rote Armee Fraktion, mit initiiert worden war. Im Mai 1972 hatte die antisemitische Terrorgruppe im israelischen Flughafen bei Tel Aviv 26 Menschen ermordet.

„Potenziell aufhetzende Wirkung“

Problematisch seien nicht nur die historischen Filmdokumente selbst, sondern „die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler:innen, in denen sie Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren“, teilte das Gremium auf der Internetseite der documenta GmbH mit.

Eine eventuelle Wiederaufnahme der Vorführungen der Filme sei nur denkbar, „wenn diese in einer Form kontextualisiert würden, die ihren Propagandacharakter verdeutlicht, ihre antisemitischen Elemente klar benennt und historische Fehldarstellungen korrigiert“. Das historische Propagandamaterial werde nicht kritisch reflektiert, sondern „als vermeintlich objektiver Tatsachenbericht affirmiert“.

Dadurch stellten die Filme in ihrer „potentiell aufhetzenden Wirkung eine größere Gefahr dar als das bereits entfernte Werk ‚People’s Justice‘“. Auf Letzterem, einem Wandbild der Gruppe Taring Padi, war unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht abgebildet, der mit Davidstern und „Mossad“-Aufschrift gekennzeichnet war.

Im Kollektiv beleidigt

Das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa weist die Vorwürfe indes von sich. „Wir sind wütend, wir sind traurig, wir sind müde, wir sind vereint“, heißt es in einem von der „Lumbung-Community“ verfassten und von zahlreichen Kollektiven und Künst­le­r:in­nen unterzeichneten offenen Brief. Die Mitteilung des Gremiums überschreite eine rote Linie.

Dabei lässt sich ahnen, dass nicht bloß die Forderung nach einem Stopp der Filmvorführung für Empörung sorgte, sondern vor allem der Rundumschlag, zu dem ein Teil des Gremiums in einer zweiten Erklärung ausholt: Nahezu alle Werke, die sich mit dem arabisch-israelischen Konflikt beschäftigten, brächten „einseitig kritische bis hin zu dezidiert israelfeindlichen Haltungen“ zum Ausdruck, heißt es darin.

Tatsächlich ist der Israel-Palästina-Konflikt überaus präsent auf der diesjährigen documenta, weit präsenter jedenfalls als andere Konflikte, etwa der seit der Annexion der Krim 2014 eskalierende Krieg zwischen Russland und der Ukraine. So widmet sich beispielsweise das palästinensische Kollektiv „The Question of Funding“ in seiner schon im Vorfeld der Kunstausstellung kritisierten Bildserie „Guernica Gaza“ auf einer ganzen Etage im Kasseler WH22 den Kämpfen in und um den Gazastreifen. Während die Dämonisierung der israelischen Sol­da­t:in­nen schon im Namen anklingt, findet die islamistische und im Gazastreifen die Regierung stellende Terrororganisation Hamas keine Erwähnung.

Probleme der Organisation

Kuratorische Unausgewogenheit lautet ein weiterer Kritikpunkt, der in der von fünf der sieben Mitglieder des Gremiums unterschriebenen Erklärung am indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa vorgebracht wird. Die „gravierenden Probleme der documenta“ würden nicht nur in der Präsentation „vereinzelter Werke mit antisemitischer Bildsprache und antisemitischen Aussagen bestehen, sondern auch in einem kuratorischen und organisations­strukturellen Umfeld, das eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen hat“.

Ruangrupa und die „Lumbung-Community“ bezeichnen die Vorwürfe als rassistisch, verstehen die Beschäftigung mit Antisemitismus auf der Kunstausstellung als Art und Weise, „deutsche Schuld und Geschichte auf den palästinensischen und andere antikolo­niale Kämpfe zu projizieren und zu übertragen“. Dieser Konflikt wird mittlerweile auch direkt vor Ort ausgetragen: So wurden erst vor wenigen Tagen an zentralen Orten in Kassel Plakate mit unzweideutigen Botschaften angebracht.

„Free Palestine from German guilt“, steht darauf oder auch, in Anlehnung an die Boykott-Bewegung gegen den Staat Israel „Boycott, Divestment and Sanctions“: „BDS: Being in Documenta is a Struggle“. Es scheint, als sei die Aktion recht spontan geplant und ausgeführt worden zu sein. Als am Samstag eine Aktivistin eines dieser Plakate im Fridericianum neben ein großes Gemälde von Richard Bell klebte, eilte die Museumsaufsicht sofort hinzu, konnte von der Richtigkeit des Vorgehens jedoch anscheinend überzeugt werden.

Vorwurf der Zensur

Die Anschuldigungen im Lumbung-Brief wiegen schwer. Kritiker seien von vornherein dazu entschlossen gewesen, Hinweise auf Antisemitismus zu finden und „jedes kritische Detail“ hin zu einer vereinfachten antisemitischen Lesart zu drehen. Mainstream-Medien würden sich an „Cyberbullies“ und rassistischen Bloggern orientieren, Politik und Wissenschaft würden deren Narrativ unreflektiert aufnehmen.

Zusätzlich zum Antisemitismus solle sich die deutsche Gesellschaft doch auch mit antimuslimischen, antipalästinensischen und antiqueeren Ressentiments auseinandersetzen. Die Forderung, „Subversive Films“-Videos nicht mehr zu zeigen, sei ein bösartiger Zensurversuch.

Während die Geschäftsleitung der documenta, seit dem Rücktritt von Sabine Schormann unter Führung von Alexander Farenholtz, die Forderungen des Gremiums lediglich „zur Kenntnis nimmt“, wie es das Kunstmagazin Monopol vermeldet, schließen sich die Gesellschafter der documenta dem Expertengremium an. Die Filme sollten nicht mehr gezeigt werden, „mindestens bis eine angemessene Kontextualisierung vorgenommen wurde“, teilten die Stadt Kassel und das Land Hessen am Dienstag mit.

Deutliche Kritik kam vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. „Die Ausstrahlung der Propagandafilme ‚Tokyo Reels‘ muss sofort beendet werden. Mit ihrer Tirade zeigen die Kuratoren und Künstler, dass sie wissenschaftliche Befunde nur respektieren, wenn sie in ihr Weltbild passen“, teilte er mit. Es sei Aufgabe der Gesellschafter und der politisch Verantwortlichen, deutliche Konsequenzen aus den Ergebnissen des Experten­gremiums zu ziehen.

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