documenta fifteen endlich beendet: Die Party in Kassel ist over

Wenig Kunst, viel Krampf und ein hoffnungslos überfordertes Kuratorenteam auf der Weltkunstschau. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen.

Fäuste aus Pappe werden in die Höhe gereckt

Eine der harmloseren Installationen des indonesischen Agit-Prop-Kollektivs Taring Padi in Kassel Foto: Stefan Boness/Ipon

Sie hatten mit ihrer Ernennung, die künstlerische Leitung der documenta fifteen zu übernehmen, einen vielleicht zu großen Auftrag erhalten. Das Kuratorenkollektiv ruangrupa sollte ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, und das in unserer Gegenwart der Konflikte. Ihre Partys im Jakarta der Nullerjahre seien legendär gewesen. Dort, im gerade von der brutalen Suharto-Diktator geprägten Land, hätten sie unterschiedlichste Menschen unter dem Dach einer freudvollen Kunst zusammengebracht.

So etwas sollte auch in Kassel geschehen, wie beim letzten Meydan-Wochenende der documenta. Eine Lichtprojektion bespielte die Fassade eines verödeten Industriebaus, DJs legten Chansons aus dem Indonesien der 1960er Jahre auf, ein paar Meter weiter führten die Tän­ze­r:in­nen des Sa-Sa-Art Project aus Kambodscha ein queeres Ballett auf. Man meinte, etwas zu spüren von den kollektiven Prozessen, die diese documenta anregen wollte. Von einer Kunst, die auf gemeinschaftliches Erleben setzt, die unmittelbar funktionieren soll.

Doch nur ein paar Meter weiter kippte dies in eine moralische Beliebigkeit. Im Hübner Areal lief eine Filmreihe ab, die mit harten Kriegsbildern klare Feindbilder inszenierte. Die Reihe „Tok­yo Reels“ des Kollektivs Subversive Film zeigte Archivfilme des bewaffneten palästinensischen Widerstands während des Bürgerkriegs im Libanon. Unterlegt mit zeitgenössischen Kommentaren, von einer „zionistischen Verschwörung“ war darin die Rede, historische Fakten wurden verzerrt.

Empörung statt Erklärung

Für die letzten Tage der Kunstschau solle diese Filmreihe abgeschaltet oder zumindest kontextualisiert werden, empfahl ein Expertengremium, das von der documenta gGmbH beauftragt wurde, die Kunstschau auf antisemitische Inhalte zu überprüfen. Denn genauso unmittelbar, wie in die grazile Performance der Ballettgruppe, wurde das documenta-Publikum auch hier hineingeworfen in diese Filmprojektion, umspült von antisemitischer Agitation. Ruangrupa reagierte empört auf die Empfehlung, sah sich rassistisch angegriffen.

Auch die Findungskommission der documenta, die das Kuratorenkollektiv nach Kassel geholt hat, wehrte sich gegen die Empfehlung: „Wir verteidigen das Recht der Künstler*innen, politische Formeln und festgefahrene Denkmuster zu untersuchen, bloßzulegen und zu kritisieren.“

Mit dieser Aussage scheint die Findungskommission den Kunstbegriff ihrer eigenen documenta missverstanden zu haben. Es wirkt, als beriefen sie sich auf eine Kunst, die sich auf Abstand hält, deren ästhetische Übersetzung ethischer Fragestellungen in ein Kunstwerk auch durch einen kritischen Filter läuft.

Doch dieser kritische Filter existierte oftmals auf der documenta nicht, weder auf der Ebene der Kunstwerke noch auf der ihrer Vermittlung. Das wurde allen schmerzhaft bewusst, als das Protestbanner von Taring Padi am Friedrichsplatz entrollt wurde und seine antisemitischen Zerrbilder zutage kamen. Da war der Skandal schon geschaffen.

Fehlender ästhetischer Filter

Ruangrupa wollten keine Bildwerke, sondern Kunstkollektive nach Kassel holen. Sie wollten Gruppierungen sichtbar machen, die oftmals in ihren Herkunftsländern eine freie kulturelle Arbeit überhaupt ermöglichen. Mit einem Hang zur einseitigen Kapitalismuskritik, die sich mit einer Israelkritik vermengt, hat ruangrupa nach vorgeblich ethischen Kriterien gewählt.

Doch sie ließen das Ästhetische außer Acht, ignorierten, welche Bilder auf einer so großen Kunstschau zu sehen waren und welche Botschaften diese vor einem hunderttausendfachen Publikum verbreiteten. Auf die Frage, ob sie sich jemals die „Tokyo Reels“ angeschaut hätten, antwortete ruangrupa in Interviews, man müsse ja vertrauen können.

Vielleicht sollte auf der documenta fifteen ein neues Kunstverständnis gefeiert werden, aber aus diesem entstand oftmals eine ungehobelte Kunst, engagiert für die eigene Sache und häufig blind gegenüber der politischen Komplexität, in der wir leben.

Eine Komplexität, die durch das Prisma der Vernunft, des aufmerksamen ­Schauens und des gegenseitigen Aufklärens hätte aufgefangen werden können, noch bevor all die Verletzungen entstehen, mit der sich die documenta nun plagt. Ein solch kritischer Filter im Vorfeld der Ausstellung wäre nicht bevormundend gewesen, oder aus einem „westlichen, weißen“ Überlegenheitsgefühl herausgekommen, sondern hätte vielleicht eine gute und nötige Diskussion ergeben.

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