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Ukrainer lehnen Russisch abZur eigenen Sprache überwechseln

Der Krieg entfremdet Ukrainer und Russen sehr schnell voneinander. Immer mehr russischsprachige Ukrainer wollen jetzt kein Russisch mehr sprechen.

Odessa, 17. Juni: Kon­zert­be­su­che­r:in­nen singen die ukrainische Nationalhymne Foto: NurPhoto/imago

I n Lwiw konnte man immer viel Russisch hören. Viele Touristen aus der Zentral- und Ost­ukraine, die nicht zum Ukrainischen übergegangen waren, verständigten sich auf Russisch mit den Einheimischen. Doch jetzt haben sich die Dinge geändert. Zehntausende Menschen aus den überwiegend russischsprachigen Städten Charkiw, Mariupol, Cherson und dem Donbass haben im ukrainischsprachigen Lwiw Zuflucht gefunden, viele von ihnen gehen jetzt zum Ukrainischen über und besuchen ukrainische Sprachkurse und -klubs.

Einer dieser Klubs kommt im Lwiwer Museum für Volksarchitektur zusammen, einem Freilichtmuseum. Geflüchtete singen hier mit Einheimischen ukrainische Volkslieder, um ihre Aussprache zu verbessern und ihren Wortschatz zu erweitern. Wenn man sie singen hört, ist es schwer zu glauben, dass für einige von ihnen Ukrainisch nur die Zweitsprache ist.

Tatjana, die gleich am ersten Tag des Krieges aus Charkiw gekommen ist und bis dahin Russisch gesprochen hatte, erzählt mir, dass der Übergang zum Ukrainischen – die „Rückkehr zur Muttersprache“ – für sie eine Frage des Prinzips sei. „Ich kann und möchte nichts mehr mit denen gemein haben, die mein Volk töten.“

Eine andere Tatjana, die bereits nach der Annexion der Krim 2014 von dort nach Lwiw gekommen war, ist in einer russischsprachigen Familie ukrainischer Patrioten aufgewachsen. Die Menschen in Lwiw haben am Anfang noch mit ihr Russisch gesprochen oder sie gebeten, sie selbst solle doch lieber Russisch sprechen, sobald sie bemerkten, wie schwer sich Tatjana mit der ukrainischen Sprache tat.

Bild: privat
Rostyslav Averchuk

ist 33 Jahre alt, Journalist, Dolmetscher sowie Experte für Politik und Wirtschaft. Er lebt und arbeitet in Lwiw.

Konnte man früher, selbst nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine vor acht Jahren, im Stadtzentrum von Lwiw noch Straßenmusiker auf Russisch singen hören, ist jetzt alles anders. An den Türen einiger Läden hängen Zettel mit der Aufschrift: „Wir sprechen nicht in der Sprache der Besatzer.“ Für Tatjana ist das kein Problem. Außer dem Singkreis im Museum besucht sie jetzt auch schon ihren zweiten richtigen Ukrainisch-Sprachkurs. Vor Aufregung wechselt sie ins Russische und erzählt, dass sie sich sehr wünscht, dass ihre Enkel Ukrainisch sprechen.

Nicht nur in Lwiw ändert sich die Situation. Ein Bekannter von mir aus Odessa ist zwar in einem ukrainischsprachigen Dorf aufgewachsen, spricht aber im überwiegend russischsprachigen Odessa selber nur Russisch. Sogar im Gespräch mit mir ist er früher nicht zum Ukrainischen gewechselt.

Krieg und Frieden – ein Tagebuch

Die taz glaubt an das Recht auf Information. Damit möglichst viele Menschen von den Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine lesen können, veröffentlich sie die Texte der Kolumne „Krieg und Frieden“ auch auf Russisch. Hier finden sie die Kolumne auf Deutsch.

Nachdem Ostern in Odessa eine russische Rakete ein Wohnhaus getroffen und acht Menschen getötet hatte, schrieb ich ihm, um zu fragen, ob mit ihm alles in Ordnung sei. Er schrieb mir auf Ukrainisch zurück und unterhält sich, zumindest mit mir, nur noch in dieser Sprache. Russland entfremdet jetzt selber die Ukrainer von allem, was sie früher mit ihren östlichen Nachbarn verband.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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37 Kommentare

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  • Wahrscheinlich wurde die Ukraine noch nie so ukrainisiert wie durch die Terroristen in Moskau. Vielleicht ist "Spezialoperation" so zu verstehen.

  • Nur so am Rande:



    "Das Gesetz verpflichtet die Bürger der Ukraine in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens die ukrainische Sprache zu verwenden. Auch die Veröffentlichung von Medien in anderen Sprachen ist eingeschränkt. Für viele Sprachen ethnischer Minderheiten wurden Ausnahmen erlassen - nicht aber für das Russische. Im privaten und religiösen Bereich ist der Gebrauch der Sprache aber weiterhin uneingeschränkt erlaubt."

    dpa-factchecking.c.../220701-99-876250/

  • Alle Russen sind Mörder , klar doch. Ist irgendwie wie in Kreuzberg und Mitte, wo nur noch Englisch gesprochen wird und die Bürger sich darüber beschweren. Nach 1945 war die Deutsche Sprache, über Jahre, in der Öffentlichkeit in in allen Ostblockländern verboten, Inschriften und Grabsteine wurden zerstört. Wenn dieser Irrsinn jetzt auch in der Ukraine Schule macht, sollte man weder zustimmen noch Verständnis dafür haben. Es erzeugt nur Hass und befördert den Rassismus und leistet dem Nationalismus Vorschub. Nicht falsch verstehen, aber meine Eltern wackelten mit einer Armbinde ‚N‘ durch die Gassen, da half auch nicht dass mein Vater in der Tschechoslowakischen Armee gedient hatte. Nein und ich habe kein Verständnis dafür wenn Russisch sprechend Frauen,Kinder, Männer angespuckt werden und sich ängstlich weggucken.

    • @Pepi:

      "Nein und ich habe kein Verständnis dafür wenn Russisch sprechend Frauen,Kinder, Männer angespuckt werden und sich ängstlich weggucken."



      Haben sie den Artikel überhaupt gelesen?

      • @Barbara Falk:

        Klar doch, auch wenn ich im falschen Artikel gelandet bin.

  • Auch wenn es dem Vergleich nicht standhält: Es gab viele deutsche Juden, die nach dem Holocaust ihre Muttersprache nicht mehr sprechen wollten.



    Ich kann diese Ukrainer verstehen, hoffe dabei aber auch sehr, dass die Russischsprachigen dies nicht aus einem ängstlichem Anpassungsdruck heraus tun.



    Außerdem hoffe ich, sie wecken ihre russ. Muttersprache für Zeiten eines evtl. geläuterten Russland ein. Russisch war die Sprache Tschechows, Dostojewskis ect.

  • Die Überschrift stößt mir auf. "Zur eigenen Sprache überwechseln": das stimmt eben nicht, die eigene Sprache wäre russisch. Und ich würde die Menschen eher dazu animieren, ihre eigene Sprache nicht von "den Russen" (dem russischen Staat) wegnehmen lassen. Andere Länder haben ja auch mehrere Nationalsprachen (Schweiz 4, Kanada 2, Belgien 2....)

    • @resto:

      Belgien hat sogar drei Amtssprachen:



      Niederländisch, Französisch und Deutsch

    • @resto:

      Ich denken, mündige Bürger können ganz gut selber entscheiden, wie und was sie aktuell sprechen wollen. Sie müssen nicht darauf warten, dass jemand aus Deutschland sie zu irgendetwas animiert.

      • @Assistenz Auslandsredaktion:

        Natürlich, aber nur wenn man die Freiheit hat und nicht unter Druck gesetzt wird. Und das ist nicht von der Hand zu weisen.

    • @resto:

      Die Ukraine ist ein post-kolonialer Staat, genauso wie die eigentliche Sprache der Iren das Gaelische ist, auch wenn die meisten Englisch sprechen. Aber die eigentliche Sprache wenn der Kolonialismus überwunden ist ist das ukrainische.

      • @Machiavelli:

        Hola - Sie san doch sonst ganz helle - wa!



        Welche Teile von was - meinens denn?!



        de.wikipedia.org/w...krainische_Sprache - wider Ahnungslosigkeit -



        servíce & Gern&Dannnichfür -



        (& ich laß mal offen - inwieweit es sojet purgistisches bei Sprachen überhaupt gibt - hier aber: Ganz sicher nicht • )

    • @resto:

      Nach dem Artikel nimmt keiner irgendwem die russische Sprache weg.

      Die Leute wollen sie nicht mehr sprechen.

      „Ich kann und möchte nichts mehr mit denen gemein haben, die mein Volk töten.“

      • @rero:

        Haben Sie eine repräsentative Befragung dazu auf Lager?

        • @resto:

          Welche repräsentativen Befragungen haben Sie denn auf Lager. Auf Social Media kann man gut verfolgen, wie Menschen in diesem Jahr die Sprache gewechselt haben. Wenn man denn beide auseinanderhalten kann. Gegen wen argumentieren Sie hier eigentlich an? Gegen die ukrainische Sprachpolizei, die den Menschen verbietet, Russisch zu sprechen?

  • ja ja, "Serbien muss sterbien", skandierte der nationale Mob 1914 - mal Karl Kraus lesen: "Die letzten Tage der Menschheit." Und im Deutsch besetzten Elsass war die Welsche Sprache bis 1918 verboten - danach das Deutsche. Nix gelernt aus zwei Weltkriegen allüberall.

    • @Philippe Ressing:

      Das Elsass war bis 1918 nicht „deutsch besetzt“, sondern seit 1871 als Reichsland Elsass-Lothringen offiziell und völkerrechtlich anerkannt Teil des Deutschen Kaiserreichs…und die französische Sprache war dort auch keineswegs offiziell verboten.

  • Ja wie?

    “Ukrainer lehnen Russisch ab: Zur eigenen Sprache überwechseln“???



    Wenn ich meinen “glühenden“ ukrainischen Bass-Mitmusiker nehme:



    “Und was wird in der Familie gesprochen?“ “…russisch klar…“

    kurz - “eigene Sprache“? Sich von einem aus der Spur geratenem Despoten & ex lupenreinem Demokraten - in einen vollverklempten nationalen Sprachdiskurs manövrieren lassen!



    Kann doch nun wirklich nicht der Weisheit letzter Schluß sein! Woll.



    Selenskyj tickt da ja nationalbesoffen auch nicht sauber.

    • @Lowandorder:

      "Selenskyj tickt da ja nationalbesoffen auch nicht sauber."



      Der russische Muttersprachler Selenskyj ist diesbezüglich genauso entspannt und pragmatisch wie "ihr" ukrainischer Bassmusiker und der Rest der Ukrainer, und hat deshalb z.B. sein aktuelles Interview mit den ZDF-Heute-Nachrichten auf Russisch gegeben. Wahrscheinlich weil die Journalistin kein Ukrainisch spricht.



      Sprechen Sie Ihren Bekannten doch einfach mal auf diesen Artikel an, und berichten Sie, was er dazu meint. Das geschilderte Phänomen (freiwilliger Sprachwechsel) wird ihm ja in seinem heimischen Umfeld nicht fremd sein.

    • @Lowandorder:

      Ja, es ist verrückt, sich jetzt auch noch seine eigene Muttersprache abspenstig machen zu lassen.



      Wenn jede Sprache tabu wäre, die schon von Kriegsverbrechern benutzt wurde, wäre wohl kaum noch eine übrig, die man guten Gewissens sprechen könnte.

      • @NoMeansNo:

        Es geht nicht um Tabuisierungen.

        Es handelt sich um persönliche Entschlüsse.

        Gab es im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg übrigens auch.

    • @Lowandorder:

      Es geht hier nicht um einen angeblich nationalbesoffenen Selenski sondern um russischsprachige Ukrainer die freiwillig auf den Gebrauch der Sprache des russischen Aggressors verzichten und sich dem Ukrainischen zuwenden. Das mag vielleicht nicht in Ihr betoniertes Weltbild passen; ich finde es auf persönlicher Ebene sehr nachvollziehbar.

      • @Fran Zose:

        auf persönlicher Ebene - sach ich - ja - schon als Schüler hab ich auf Hochbau mit Schamotthohlsteinen und Betonbombe gearbeitet. Ziemlich fies war - hier gut passend - mit Stemmeisen & Fäustel - den Betonsabber achteran wegzukloppen!



        ps wennse mal meinen link oben lesen wollen - könnte eine jahrhundertelange Auseinandersetzung Gelegenheit zum Nachdenken geben! - servíce & Gern&Dannnichfür -

        • @Lowandorder:

          Es ist absolut irrelevant, was Sie als Schüler getan haben. Blödsinn bleibt Blödsinn, in welcher Pseudosprache auch immer Sie sich auszudrücken belieben.

      • @Fran Zose:

        Die Frage ist, ob das alles so freiwillig geschieht. Ich kann mir vorstellen, dass da auch ziemlicher Druck von der Umwelt aufgebaut wurde. Dann wäre das gar nicht gut. Das sollte man noch näher recherchieren.

        • @resto:

          Schön, dass Sie sich viel vorstellen können. Ich habe mich lediglich auf obigen Artikel bezogen und dort wird eindeutig auf Freiwilligkeit referiert.

    • @Lowandorder:

      Den ultimativen Schub fürs Schwyzerdütsch hat das dritte Reich ausgelöst.



      Seit dem dritten Reich gibt es auch kaum noch international bedeutsame naturwissenschaftliche Zeitschriften. Das war vor dem Krieg auch anders.



      Es gibt ein natürliches Abgrenzungsbedürfnis gegen Verbrechertum. Ich würde das jetzt nicht zum Nationalismus hochjazzen.

      • @Carsten S.:

        Ihr Wort in wessen Gehörgang auch immer.

        • @Lowandorder:

          Wo er recht hat, hat er recht.

  • Die Beobachtung kann ich mehr als bestätigen. Ukrainischsprachig war bisher der Westen bis ungefähr Kiew: Czernowitz, Ternopil,. Lwiw, Iwano-Frankiwsk. In meinem ukrainischen Freundeskreis sprach bisher die Hälfte Russisch. Verteilt ungefähr von Kiew, Sumy, Dnipro bis Odessa. Das ist vorbei. Besonders bei Kiewern, die eingentlich immer beide Sprachen beherrschen, fällt das auf.

  • Frage eines absolut Unwissenden: wie sehr unterscheiden sich russisch und ukrainisch eigentlich wirklich? Ist das eher eine dialektale Verschiebung, oder eine komplett andere Sprache? Kann mir jemand Vergleiche nennen wie plattdeutsch-niederländisch oder französisch-deutsch?

    • @Encantado:

      Ziemlich genau die Fallhöhe zwischen Niederländisch und Deutsch.

    • @Encantado:

      Ich lerne gerade Ukrainisch und hatte früher Russisch in der Schule. Ich denke mal, so Plattdeutsch - Hochdeutsch. Die Sprachen sind schon sehr ähnlich. Aber es gibt halt auch deutliche Unterschiede.

      • @Vasco Schultz:

        Ich schlage alternativ vor: Niederländisch und Deutsch

    • @Encantado:

      Have a look at - bei Ruthenisch klickte es bei mir (Vereinigte Kalkwerke;)



      de.wikipedia.org/w...krainische_Sprache

      • @Lowandorder:

        Mein Dank an alle Antwortenden, dann kann ich das jetzt so ungefähr einordnen.

  • Wen wundert es? Von so einem Russland kann man sich nur abwenden. Am Ende dieses Krieges wird die Ukraine sich gesellschaftlich so weit von Russland gelöst haben wie es wohl kaum jemand für möglich hielt. Hier wie auf anderen Gebieten erreicht Russland nicht, was es sich versprochen hat. Müsste jetzt nur noch das Volk auch endlich merken und dem Treiben seiner Verbrecherbande im Kreml Einhalt Gebieten. Allein es fehlt der Glaube, dass es so weit kommt.