Trump holt Vance als Vizekandidaten: Volksnah, skrupellos und eloquent
Mit J. D. Vance holt Trump die Working-Class-Version seiner selbst ins Boot. Er soll den Trumpismus weitertragen – ist aber auch eine Chance für die Demokraten.
J etzt also J. D. Vance. Der 39-Jährige, der gerade erst 2022 mit seiner Wahl zum Senator in Ohio in die Politik eingestiegen ist, soll Vizepräsident der USA werden – jedenfalls wenn es nach Donald Trump geht. Dass Trump ihn und nicht einen der gestandeneren republikanischen Politiker, die auf der Shortlist waren, zum „Running Mate“ macht, zeigt vor allem eins: Trump ist sich ganz sicher, dass er innerhalb der Republikanischen Partei keine Kompromisse mehr machen muss. Der nichttrumpistische Flügel der Partei ist tot, sagt diese Nominierung – und vermutlich hat Trump damit recht.
Mehr noch: Auch nach außen bringt J. D. Vance, abgesehen von seinem jungen Alter, nichts zum Präsidentschaftsticket dazu, was Trump nicht selbst hätte. Vance spricht genau jene Wähler*innengruppen an, die Trump schon 2016 in den heruntergekommenen Staaten des früheren Industriegürtels, dem sogenannten Rust Belt, den Sieg beschert haben. Jene, die einst unerschütterlich zum Demokratischen Lager zählten, heute aber zum Kern der MAGA-Bewegung zählen, also Trumps Make-America-Great-Again-Bewegung, die die alte Republikanische Partei übernommen hat.
Im Unterschied zu Trump spricht Vance diese Wähler*innen authentisch an: Denn wie er 2016 in seinem viel beachteten Erinnerungsbuch „Hillbilly Elegy“ überaus eloquent erzählte, kommt er aus genau jenen Verhältnissen. Vance erzählt auf der Bühne von der Drogensucht seiner Mutter und von seiner robusten Großmutter, die ihm als Erstem aus seiner Working-Class-Familie das Studium ermöglichte. Wenn der Milliardär Trump nur behauptet, für die einfachen Leute zu stehen, kann Vance überzeugend sagen: Ich bin einer von euch, ich kenne eure Lage, eure Sorgen, eure Nöte.
Die Republikaner setzen alles auf MAGA-Rot
Nur: Normalerweise soll die Besetzung des Running Mates Schwächen des Präsidentschaftskandidaten ausgleichen. Etwa bei Biden: Deutlich jüngere Schwarze Frau ergänzt alten weißen Mann. Oder bei Trump 2016: Evangelikaler Traditionsrepublikaner Mike Pence ergänzt unorthodoxen New Yorker Quereinsteiger Trump.
Aber Trump braucht Vance nicht, um die Wahl zu gewinnen. Vance’ Ernennung hat andere Gründe: Der unumstrittene Anführer ergänzt sein Ticket durch einen Protegé, der seine politische Karriere durch 200-prozentige Trump-Loyalität in Fahrt gebracht hat.
Trump hat nur eine offenkundige Vulnerabilität: Wählerinnen, die über die Abschaffung des Abtreibungsrechts wütend sind. Aber dafür hätte er keine Kandidatinnen gehabt. Bekannte Republikanerinnen wie Liz Cheney oder Lisa Murkowski sind Trump-Gegnerinnen; Nikki Haley, die ihm nach ihrer Vorwahlniederlage inzwischen die Loyalität schwört, bleibt ihm suspekt und ist in der wichtigen Abtreibungsfrage konservativer als er selbst. Und die vollkommen durchgeknallte Verschwörungstheoretikerin Marjorie Taylor Greene wäre sogar für Trump als Running Mate toxisch.
Und so geht es bei der Auswahl von J. D. Vance eigentlich um etwas anderes, wie die meisten US-Medien wohl zu Recht analysieren: Es geht um den nächsten Fackelträger der MAGA-Bewegung, wenn Trump 2028 nicht mehr kandidieren kann und dann auch schon 82 Jahre alt ist.
Vance ist eine dornige Chance für die Demokraten
Für die Demokrat*innen ist Vance eine Gefahr, wenn sie für einen erneuten Wahlsieg auf Staaten wie Wisconsin, Michigan, Pennsylvania bauen und die Idee haben, die working class zurückzuholen. Da ist Vance biografisch und rhetorisch stark – und dass er 2016/17 eine Fake-Charity in Ohio aufbaute, die sich auf die Fahne schrieb, Drogensüchtigen zu helfen, aber letztlich keinen Cent für diesen Zweck ausgab, sondern lediglich Vance’ Image aufpolierte, hat als Argument schon bei der Senatswahl nicht funktioniert. Auch das hat Vance mit Trump gemein: ungestrafte Skrupellosigkeit, wenn auch mit höherem intellektuellen Niveau.
Dennoch ist Vance für die Demokrat*innen ein Geschenk – wenn sie ihren Wahlkampf auf die Message konzentrieren, der autoritäre Durchmarsch antidemokratischer Kräfte müsse verhindert werden. Vance ist ein Produkt des Trumpismus, und er selbst hat erklärt, dass er 2021 als Vizepräsident getan hätte, was Mike Pence verweigerte: Trumps Wahlfälschung im Kongress durchsetzen. Wenn die Demokrat*innen diese Gefahr in die Köpfe hämmern, haben sie Chancen. Vance' Nominierung könnte in diesem Fall sogar helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen