Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr: Totgeleugnet

Impfgegner hatten die Österreicherin monatelang bedroht. Von den Behörden fühlte sie sich alleingelassen. Am Freitag hat sie sich das Leben genommen.

Die Ärztin in einem weißenn Kittel

Die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr Foto: Hermann Wakolbinger/apa/picture alliance

WIEN taz | Ein digitaler Lynchmob hat sein Ziel erreicht. Am Freitag wurde die Allgemeinmedizinerin Lisa-Maria Kellermayr in ihrer Ordination im oberösterreichischen Seewalchen tot aufgefunden. Sie hinterließ drei Abschiedsbriefe. Betroffenheitsadressen aus Politik, Polizei und Standesvertretung hinterlassen angesichts der allgemein bekannten Vorgeschichte einen schalen Beigeschmack. Denn die liest sich wie die Chronik einer angekündigten Verzweiflungstat.

Die Hetzjagd auf die alleinstehende 36-jährige Ärztin hatte im vergangenen November nach einem entrüsteten Tweet von ihr begonnen: „Heute in Wels: Eine Demo der Verschwörungstheoretiker verlässt den Pfad unter den Augen von Behörden und blockiert sowohl den Haupteingang zum Klinikum als auch die Rettungsausfahrt des Roten Kreuzes.“

Die Polizei von Wels schaltete sich daraufhin ein und erklärte, die Rettung hätte auf einem anderen Weg ausfahren können. Im Netz sah sich die junge Frau, die sich monatelang in der Betreuung von Corona-Patienten engagiert hatte, plötzlich als „Lügnerin“ entlarvt. Erste Hasspostings voller Häme bombardierten ihre Accounts. Viele waren von einem Account namens „Claas“ geschrieben, der in den grellsten Farben ausführte, wie er die Ärztin und ihre Mitarbeiterinnen foltern und ermorden wolle. Die Wände der Ordination würde er mit der Gehirnmasse der Mitarbeiterinnen beschmieren.

Polizei spielte Bedrohung runter

Kellermayr wandte sich an die oberösterreichische Polizei, die die Bedrohung herunterspielte und schließlich eine tägliche Streife an der Praxis der Ärztin vorbeifahren ließ. Die Einrichtung eines Panikraums und die Beschäftigung von Security-Mitarbeitern musste sie selber tragen. Über 100.000 Euro hat sie das nach eigenen Angaben gekostet.

Die Bedrohung beschränkte sich nicht auf das Netz: Vorgebliche Patienten kamen in die Praxis, nur um den Betrieb zu stören und Kellermayr zu fotografieren – die Bilder wurden dann im Netz veröffentlicht. Andere wollten Befreiungen von der Impfpflicht oder vom Maskentragen erpressen. Die Sicherheitsleute nahmen solchen „Patienten“ im Laufe der Wochen immerhin vier Butterfly-Messer ab.

Als die Hetzkampagne nicht nachließ, wandte sich Kellermayr im vergangenen Mai an die Öffentlichkeit. Die Medien griffen den Fall bereitwillig auf, konnten dem Eifer der Behörden aber auch nur bedingt auf die Sprünge helfen. Da sie die Spur der digitalen Hetzer im Netz nicht finden konnten, erklärten sich die Ermittler für unzuständig. Sie hätten keine Möglichkeit, die Identität der Hass-Poster festzustellen.

Hackerin ermittelt binnen weniger Stunden

Eine deutsche Hackerin zeigte sich da weit effizienter. Binnen weniger Stunden hatte sie „Claas“ in Deutschland ausgeforscht und dessen Klarnamen gemeldet. Da er einer Ladung zu einer Befragung aber keine Folge leistete, sahen auch die deutschen Behörden keinen weiteren Handlungsbedarf.

Die Polizei im ÖVP-FPÖ-regierten Oberösterreich stellte die Verfolgte gar als geltungsbedürftige Querulantin dar. Im Polizeiakt hieß es: „Insgesamt wurde zunehmend der Eindruck gewonnen, dass Frau Dr. Kellermayr sich über verschiedene Schienen bemüht, die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person zu erweitern, indem sie Druck auf die Ermittlungsbehörden ausübt.“ Im Interview mit dem Ö1-Mittagsjournal legte ein oberösterreichischer Polizeisprecher nach: Die Frau würde sich „in die Öffentlichkeit drängen, um ihr Fortkommen zu fördern“. Im Übrigen solle sie psychologische Hilfe suchen und in den sozialen Medien weniger aktiv sein.

Von Fortkommen konnte keine Rede sein. Kellermayr sah sich Ende Juni gezwungen, ihre erst 2020 eingerichtete Praxis am Attersee zu schließen. Um den Privatkonkurs spätestens Ende September abzuwenden, sah die Ärztin nur zwei Möglichkeiten: „Entweder Polizeischutz während der Öffnungszeiten oder die Kosten für den Sicherheitsdienst werden vom Staat übernommen.“

Wenig hilfreich zeigte sich auch die Standesvertretung, als der Vizekurienobmann der Ärztekammer, Wolfgang Ziegler, sich in einer Lokalzeitung fragte, „ob man sich bei jedem Thema auf Twitter exzessiv zu Wort melden muss?“ Manchmal sei es besser, man ziehe sich zurück. Und sollte Kellermayr ihre Kassenstelle in Seewalchen aufgeben, werde man sie schnell nachbesetzen können.

Erst als sich der Staatsschutz DSN unter Omar Haijawi-Pirchner einschaltete, fühlte sie sich ernst genommen. Das würdigte die in den Tod Getriebene auch in einem ihrer drei Abschiedsbriefe.

Hilfsangebot kam zu spät

Ein Angebot der Ärztekammer, mit einem Rechtsanwalt das Weiterbestehen der Praxis zu besprechen, kam zu spät. Noch Anfang Juli hatte sich Keller­mayr optimistisch gezeigt, bald wieder aufmachen zu können. Sie plante einen Aufenthalt in Costa Rica, um sich zu sammeln und Abstand zu gewinnen. Dann folgte die bittere Erkenntnis, dass es doch nicht ging – wie ein Tweet vom 13. Juli belegt: „Nach einem langen Gespräch des ganzen Teams ist klar geworden, dass ein Teil davon nicht wieder zurückkommen wird. Es war alles zu viel. Ich habe die Reißleine zu spät gezogen.“

Einer von Kellermayrs Abschiedsbriefen war an eine Mitarbeiterin gerichtet, der sie dankte. In den anderen beiden machte sie der Ärztekammer und der Landespolizeidirektion schwere Vorwürfe. Laut Kronenzeitung beklagt sie darin, „dass sehr viel geredet wurde, aber keiner etwas getan hat“. „Ich kann nicht mehr“, schrieb Kellermayr außerdem.

„Beenden wir dieses Einschüchtern und Angstmachen. Hass und Intoleranz haben in unserem Österreich keinen Platz“, schrieb Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Freitag nach der Nachricht vom Tod der Ärztin. „Sie vertrat einfach ihren ärztlichen Standpunkt u. wurde Opfer von Hass. ÄrztInnen, wie sie es war, brauchen Schutz u. Unterstützung“, postete Oppositionschefin Pamela Rendi-­Wagner von der SPÖ. „Zutiefst schockiert“ zeigt sich auch die Österreichische Ärztekammer.

Die Plattform #YesWeCare hat für Montag um 20 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung am Wiener Stephansplatz aufgerufen.

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