Abschiebung eines Mädchens in Österreich: Das Kindeswohl hat Vorrang

Die Abschiebung einer 12-jährigen Georgierin war rechtswidrig. Laut Urteil geht das Wohl Minderjähriger vor, auch wenn Eltern falsch handeln.

Portrait

Irmgard Griss, Vorsitzende der österreichischen Kindeswohlkommission Foto: Martin Juen/imago

WIEN taz | Die Abschiebung einer jugendlichen Georgierin war rechtswidrig. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) am Dienstag in Wien letzt­instanzlich entschieden. Gegen ein gleichlautendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts war das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Revision gegangen. Der Spruch könnte Auswirkungen auf künftige Abschiebungen gut integrierter Minderjähriger haben.

Der Fall der damals zwölfjährigen Tina, die wie ihre jüngere Schwester in Österreich geboren wurde, hatte Anfang letzten Jahres Schlagzeilen gemacht und die ÖVP-Grünen-Koalition auf eine Belastungsprobe gestellt. Unter Einsatz von Spezialtruppen und Kampfhunden waren Tina, ihre Schwester und ihre Mutter in einer frostigen Nacht zum Flughafen verfrachtet und nach Georgien abgeschoben worden.

Das Mädchen, das weder die georgische Sprache beherrschte noch über ein soziales Netz in Tiflis verfügte, verbrachte die folgenden Monate am Laptop in Kommunikation mit seiner österreichischen Wahlheimat. Monate später konnte Anwalt Wilfried Embacher ein Schülervisum erwirken und sie legal zurückbringen.

Bei der Nacht-und-Nebel-Aktion, die von Protesten empörter Mitschülerinnen und Menschenrechtsaktivisten begleitet war, konnte man auch Abgeordnete der Grünen beobachten, die den Koalitionsfrieden mit der ÖVP aufs Spiel setzten. Karl Nehammer, damals Innenminister, beteuerte, der Fall gehe ihm menschlich nahe, doch das Gesetz hätte ihm keine andere Wahl gelassen. Sämtliche Asylanträge der Mutter seien abschlägig beschieden worden. Mit aussichtslosen Neuanträgen habe sie das Verfahren in die Länge gezogen.

Innenministerium sieht keinen Handlungsbedarf

Nicht zuletzt, um die eigene Basis zu beschwichtigen, setzte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Gründung einer Kindeswohlkommission unter dem Vorsitz der pensionierten Höchstrichterin Irmgard Griss durch. Die anfangs als Alibigremium belächelte Kommission meldete sich immer wieder zu Wort und machte der Politik klar, dass das Kindeswohl immer vorrangig zu berücksichtigen sei. Wenn ein Kind aus seinem sozialen und schulischen Umfeld herausgerissen wird, würden die Kinderrechte verletzt.

Griss fühlte sich am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal durch den VwGH bestätigt: „Das Kindeswohl ist stärker als das Fehlverhalten dieser Eltern.“ Man müsse künftig vor jeder Abschiebung prüfen, ob das Kindeswohl gewahrt sei: „Eine rein formelhafte Prüfung, es bestehe keine Gefahr im Land, wohin abgeschoben wird, genügt nicht.“ Anwalt Embacher strebt nun eine Amtshaftungsklage gegen die Republik an und fordert, dass auch Mutter und Schwester eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollen.

In einer knappen Presseaussendung des Innenministeriums, nun von Gerhard ­Karner (ÖVP) geleitet, ist nur zu lesen, dass der Spruch „keine unmittelbaren Auswirkungen“ habe. Der VwGH habe zur Rückkehrentscheidung „eine rein verfahrensrechtliche, keine inhaltliche Entscheidung getroffen“.

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