Tipp an Senioren in Bad Bramstedt: Impfpässe im Darknet kaufen
In der schleswig-holsteinischen Gemeinde gibt es mehr Coronafälle als anderswo. Der Seniorenbeirat empfiehlt gefälschte Impfausweise.
An die „lieben Theaterfreunde“ richtet sich ein Schreiben des Seniorenbeirats von Bad Bramstedt, einer Kleinstadt mit rund 15.000 Einwohner*innen nahe Neumünster. Mit dem Rundschreiben, das der taz vorliegt, weist der Beiratsvorsitzende Hartmut H. auf geltende Corona-Schutzmaßnahmen beim Besuch des Stücks „Charlys Tante“ hin.
Im zweiten Absatz steht allerdings ein Satz, der trotz Rechtschreib- und Grammatikfehlern die Alarmglocken klingeln lässt: „Für denjenigen, die sich nicht Impfen lassen wollen, gibt es im Darknet, ein spezieller Bereich im Internet, Angebote gegen Geld für gefälschte Impfausweise mit personenbezogenen Daten“, schreibt der Beiratsvorsitzende.
H. selbst war gestern telefonisch für Nachfragen nicht zu erreichen, ebenso wenig die Bürgermeisterin Verena Jeske (parteilos). Ihr liegt das Schreiben nach taz-Informationen seit zwei Wochen vor, ohne dass sie öffentlich reagiert hätte. Auch bei der Polizei des Kreises war bis zum Anruf der taz von dem Fall noch nichts bekannt. „Wir werden aber nun Ermittlungen aufnehmen“, sagt die Sprecherin der Polizeidirektion in der Kreisstadt Bad Segeberg. Der Anfangsverdacht auf eine Straftat liege vor, Näheres müssten die Ermittlungen zeigen.
Ungeimpft im Pflegeheim
Bad Bramstedt, das unter anderem vom Kurbetrieb und seinen großen Kliniken lebt, ist ein Coronahotspot: Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt laut der Homepage des Kreises bei 231 und damit deutlich höher als in den umliegenden Orten sowie über dem Landesschnitt von 160. Schuld an diesen hohen Zahlen ist auch ein Ausbruch in einem Pflegeheim, das zur Argentum-Gruppe gehört. Eine 93-jährige Frau und ein 95-jähriger Mann sind inzwischen verstorben, weitere befinden sich im Krankenhaus.
Wie die Segeberger Zeitung berichtet, waren im Demenzbereich des Hauses zehn von 22 Personen nicht geimpft. Der Grund: Ihre Betreuer*innen sollen die Spritze verweigert haben. Die Leiterin des Hauses, in dem 180 Bewohner*innen leben, will sich dazu am Telefon nicht äußern, sondern verweist auf die Pressestelle der Argentum-Gruppe – eine schriftliche Anfrage der taz blieb bis Redaktionsschluss ohne Antwort.
Generell gilt, dass es – zumindest bis zur Einführung einer Impfpflicht – Menschen jeden Alters selbst überlassen bleibt, ob sie der schützenden Spritze zustimmen: „Es kann nicht pauschal eine allgemeingültige Entscheidung für oder gegen eine Impfung getroffen werden“, heißt es in einem Schreiben des Berufsverbandes der Berufsbetreuer/innen (BdB).
Es sei eine „Unsitte“, wenn Heime mit einem pauschalen Vordruck die Zustimmung zur Impfung einforderten, denn „solange die Patient*in einwilligungsfähig ist, gilt nur, was er*sie selbst sagt“, heißt es weiter. „Betreuer*innen können nicht stellvertretend einwilligen und haben auch kein Vetorecht.“
Berufsverband der Berufsbetreuer/innen
Dieses Wahlrecht haben auch Menschen mit Demenz. Wenn die Betroffenen nicht mehr selbst entscheiden können, gilt der „mutmaßliche“ Wille. Dabei sei es „nicht die Aufgabe eines Betreuers/einer Betreuerin, sich stellvertretend für die von ihm betreute Person an der allgemeinen Diskussion um die Corona-Impfung zu beteiligen“, teilt der Betreuungsgerichtstag in einer Stellungnahme mit.
Auch Gerichte haben sich schon mit Impfungen für Demenzkranke befasst: In einem Fall hatte ein Berufsbetreuer entschieden, dass eine 93-Jährige nicht geimpft werden sollte, weil er die Spritze für gefährlicher hielt als eine Covid-Erkrankung. Ihm wurde die Betreuung entzogen. Im Mai bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung.
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