Tarifverträge für Pflegekräfte: Unerwünschte Folgen besserer Löhne
Die Gehälter in der Altenpflege steigen, daher müssen viele Senior:innen mehr fürs Heim zahlen. Der Pflegerat fordert mehr staatliche Hilfen.
Die Preise erhöhen sich auch weil Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste ab dem 1.September nach Tarifverträgen oder ähnlich der Tarifverträge entlohnen müssen, um die Gehälter weiterhin mit den Pflegekassen abrechnen zu können. Die gesetzliche Vorgabe dieser sogenannten Tariftreueregelung war noch von der alten schwarz-roten Bundesregierung auf den Weg gebracht worden, auch um dringend gesuchte Pflegekräfte im Beruf zu halten und zu gewinnen.
Bei den Preiserhöhungen gehe es nicht nur um die höheren Löhne für die Pfleger:innen. „Es steigen auch die Entgelte für die Servicemitarbeiter in Küche und Haustechnik. Die Mindestlöhne erhöhen sich. Außerdem kommen die steigenden Preise für Energie, für Lebensmittel dazu“, schildert Kurz. Die Entgelte für die Pflege, die Unterkunft und Verpflegung und die Investitionskosten in Heimen werden zumeist nur einmal jährlich zwischen dem Betreiber, den Landesverbänden der Pflegekassen und dem Sozialhilfeträger vereinbart. Auf Preissteigerungen wird daher auch rückwirkend reagiert.
Das Problem: Die Pflegeversicherung federt die Kostensteigerungen kaum ab. „Tariftreue ist eine gute Nachricht für die Beschäftigten in der Pflege. Die Kosten dafür jetzt den Pflegebedürftigen und ihren Familien anzulasten, ist aber ein Skandal“, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Empfohlener externer Inhalt
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wies aber daraufhin, dass Pflegebedürftige in Heimen seit Januar 2022 einen Zuschuss zu ihren pflegebedingten Eigenanteilen bekommen. Durchschnittlich ergeben sich zum Stichtag 1. Juli 2022 Entlastungen von 368 Euro im Monat, so Lauterbach. „Die Löhne der Pflegekräfte in den Heimen steigen erheblich und das ist gewollt. Endlich wird ihre wichtige Arbeit besser entlohnt“, sagte der Minister.
„Die Politik hat es versäumt, die tarifliche Bezahlung von Pflegekräften, die wir natürlich begrüßen, auch vernünftig gegenzufinanzieren“, kritisierte die Präsidentin des Sozialverbandes VDK, Verena Bentele. Der 1. September mit der ab dann geltenden Tariftreueregelung drohe zum „Doomsday“ für Pflegebedürftige zu werden. Die Preissteigerungen für Pflegeleistungen seien immens, sie lägen bei 30 bis 40 Prozent, so Bentele.
Können Bewohner:innen die Kosten für den Heimaufenthalt nicht mehr aus ihrer Rente oder ihrem Vermögen aufbringen, greift das Sozialamt mit der sogenannten Hilfe zur Pflege ein und finanziert den Eigenanteil mit. Allerdings müssen die Pflegebedürftigen zuvor ihr Vermögen bis auf bestimmte Freibeträge aufbrauchen.
Bislang bezögen bis zu 40 Prozent der Pflegebedürftigen in den Heimen die Hilfe vom Sozialamt, teilt Korian mit. „Wir gehen davon aus, dass dieser Anteil steigen wird“, so Korian-Sprecherin Kurz.
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, erklärte am Donnerstag im rbb-Inforadio, „wir haben ein Riesenproblem, weil dieses Gesetz nicht zu Ende gedacht ist“. In Zukunft werde man an einer Steuerfinanzierung der pflegerischen Versorgung nicht mehr vorbeikommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja