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Fachkräftemangel in der Pflege80.000 Pfle­ge­r:in­nen fehlen

Den Krankenhäusern in Deutschland fehlen Zehntausende Pflegekräfte. Die Ampelregierung will das ändern. Aber wo bleibt der Gesetzentwurf?

Auf den Intensivstationen fehlten Pfle­ge­r:in­nen während der Pandemie Foto: Boris Roessler/dpa

Berlin taz | Während die Coronapandemie allmählich verebbt, steigt der Druck auf die Bundesregierung, grundsätzliche Konsequenzen aus den beiden vergangenen Jahren zu ziehen. Ein zentraler Punkt ist, die Zahl der Kranken­pfle­ger:in­nen unter anderem auf den Intensivstationen der Krankenhäuser zu erhöhen. „Wir erwarten, dass bis zur Sommerpause ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt“, sagt Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dieser Zeitung.

Die Lage in der stationären Versorgung ist immer noch schwierig. Der Organisation zufolge sind augenblicklich „mindestens 25.000 Stellen“ nicht besetzt – etwa sieben Prozent aller Vollzeitarbeitsplätze in der Krankenpflege, eine stark steigende Tendenz gegenüber 2021. Das Personal ist nach zwei Pandemiejahren erschöpft. Wenn jemand kündigt, dauert es meist viele Monate, bis eine neue Pflegekraft gefunden ist. Wer weiterarbeitet, muss zusätzliche Aufgaben erledigen.

Hinzu kommt, dass der wirkliche Pflegebedarf nicht einmal dann gedeckt wäre, wenn die Krankenhäuser alle vorhandenen Stellen besetzen könnten. Viele Fachleute gehen davon aus, dass für eine vernünftige Betreuung der Kranken bis zu 80.000 zusätzliche Pfle­ge­r:in­nen nötig sind.

Die Überlastung der Krankenhäuser war während der Pandemie eine wichtige Begründung für die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. Schlechte Personalausstattung und Arbeitsbedingungen sind zweifellos Ursachen dieser Überlastung. Wie ließe sich also die Situation verbessern? Immerhin ist die Coronapandemie keineswegs vorbei. Und irgendwann in der Zukunft dürften weitere Seuchen drohen.

Noch tut sich nichts

In ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten SPD, Grüne und FDP Ende 2021 Verbesserungen. Der Schlüsselbegriff lautet „Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0)“. Diese Methode haben die Gewerkschaft Verdi, der Pflegerat und die Krankenhausgesellschaft ausgearbeitet, um den tatsächlichen Personalbedarf auf einzelnen Stationen der Krankenhäuser zu ermitteln.

Die Umsetzung „würde zu einem Mehrbedarf von 40.000 bis 80.000 Vollzeit-Pflegekräften führen“, sagt Michaela Evans vom Institut Arbeit und Technik der Hochschule Gelsenkirchen. Statt etwa 360.000 Vollzeitbeschäftigten müssten bis zu 440.000 am Start sein.

Augenblicklich passiert allerdings nicht viel. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an seiner Planung für dieses Jahr. „Die Umsetzung der PPR 2.0 wird aktuell geprüft“, erklärt das Ministerium. Ob ein Gesetzentwurf zur Pflege dabei herauskommt, scheint unklar. „Die Pflegepersonalregelung 2.0 muss zügig umgesetzt werden“, mahnt dagegen Krankenhaus-Chef Gaß. Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sieht es ähnlich: „Der Personalmangel ist so eklatant, dass das Problem keinen Aufschub duldet.“

Aber lässt sich das Problem überhaupt auf diesem Weg lösen? Ist der Arbeitsmarkt nicht leergefegt, sodass der Versuch scheitern muss? Nein, schreiben Evans und weitere Au­to­r:in­nen der neuen Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Die Umfrage unter aktiven und ausgestiegenen Pflegekräften ergab, dass mindestens 172.000 zusätzliche Vollzeitbeschäftigte zur Verfügung stünden, wenn die Arbeitsbedingungen akzeptabel wären.

Woher mit dem Geld?

Das heißt, die Pfle­ge­r:in­nen verlangen mehr Zeit pro Patient:in, eine bessere Bezahlung und verlässliche beziehungsweise familienfreundliche Arbeitszeiten. „In der Krankenpflege haben wir kein Arbeitsmarktproblem“, sagt Evans. „Die Politik müsste aber die Bedingungen verbessern, damit die Leute ihre Arbeitszeit verlängern oder eine Stelle neu antreten.“

Das würde Geld kosten. 80.000 zusätzliche Stellen schlagen in der Größenordnung von einer halben Milliarde Euro pro Jahr bei den Krankenhäusern zu Buche. Wie soll das finanziert werden?

Eine Variante wäre ein höherer Zuschuss vom Staat, der angesichts sowieso steigender Anforderungen an den Bundeshaushalt jedoch problematisch erscheint. Höhere Sozialbeiträge belasten Ar­beit­neh­me­r:in­nen und Firmen. „Allein zusätzliches Geld ins System zu geben, wird nicht reichen“, sagt Grünen-Politiker Dahmen. „Wir brauchen Strukturreformen und sollten auch Aufgaben wie Ausgaben umverteilen“ – weniger teure Apparatemedizin und Diagnostik, mehr Pflege.

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3 Kommentare

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  • Die beiden Zauberwörter, um Pflegekräfte aus dem Zylinder zu ziehen, heißen bessere 'Arbeitsbedingungen' und höhere 'Löhne'. Das geht natürlich nicht, denn dann würden ja die smarten BWL-Typen, die schon sämtliche Krankenhäuser mit dem "spitzen Bleistift" leiten, nicht mehr mit dem dicken Portemonnaie in der Gesäßtasche herumlaufen können.

    In unserem Land bekommen Manager Jahresgehälter, wofür eine Krankenschwester zwischen 50 und 300 Jahre arbeiten müsste. Wer aber einmal in einem Krankenhaus war, der weiß, dass die Krankenschwester für unsere Gesellschaft wichtiger ist als der überbezahlte und oftmals nutzlose Manager. Trotzdem wird selbst jetzt in der Corona-Zeit immer noch an den wirklich wichtigen Leuten gespart, während die Schmarotzer sich weiterhin dumm und dusselig verdienen. Dass sich keiner mehr findet, der sich für ein Ei und ein Butterbrot im Pflegedienst ausbeuten lassen will, ist sehr verständlich - nur wird das irgendwann für unsere Gesellschaft zum großen Problem werden, wenn wir keine Krankenschwestern und Pfleger mehr haben.

    *Trotz des grassierenden Coronavirus hat die Bertelsmann-Stiftung ihre Studie zu einer weitgehenden Verringerung der Anzahl deutscher Krankenhäuser verteidigt. Gerade in Zeiten von Corona sollten die Krankenhäuser "von ambulant erbringbaren Leistungen entlastet werden", sagte ein Sprecher der Bertelsmann-Stiftung der "Neuen Westfälischen. "Wäre NRW dem Vorschlag der Bertelsmann-Stiftung gefolgt, wären die Kliniken jetzt überrannt worden", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD im Landtag, Josef Neumann. Der Bertelsmann-Stiftung gehe es "in erster Linie um Effizienzsteigerung und eine Ökonomisierung des Gesundheitswesens".*

    Vielleicht sollte die Politik der Bertelsmann-"Stiftung" endlich mal auf die Finger hauen.

  • 1. Denkt wirklich jemand, da stehen 80.000 Pflegekräfte in den Startlöchern und warten nur drauf, dass sich die Rahmenbedingungen verbessern um unmittelbar loszulegen?

    2. Könnte mir jemand erklären, warum es diesmal anders laufen sollte und staatliche Mittel plötzlich im System und nicht als Rendite verwendet werden?

    • @Thomas L.:

      1. Ich kenne persönlich einige die zurückkehren würden. Sie wären ja auch nicht in die Pflege gegangen, wenn sie nicht helfen wollen würden. Dieser Antrieb ist ja nicht weg.

      2. da stimme ich ihnen voll und ganz zu.