Strom für E-Autos: Ignorante Ladesäulen
Der Wert von Strom schwankt durch Wind und Sonne erheblich. Die Preise bleiben trotzdem gleich und damit auch das Verbraucherverhalten.
O rtstermin am Autobahnkreuz Hilden in Nordrhein-Westfalen, an einem der europaweit größten Ladeparks für Elektroautos. Es ist ein ambitioniertes Projekt, das – nette Anekdote am Rande – von einem regionalen Biobäcker realisiert wurde. Aber um das Projekt selbst soll es hier gar nicht gehen, sondern vielmehr darum, wie sich in Hilden exemplarisch die vielleicht größte Fehlsteuerung der Energiewende offenbart.
Der Wert einer Kilowattstunde Strom schwankt in Deutschland inzwischen erheblich, was sich logisch aus dem steigenden Anteil von Solar- und Windstrom ergibt. Mal ist Strom im Überfluss im Netz, weil gerade eine Sturmfront übers Land zieht oder weil flächendeckend die Sonne auf die Dächer brennt. Wenn dann noch Wochenende ist und die Stromnachfrage gering, kann Strom für Stunden zu einem wertlosen Produkt verkommen.
Zu anderen Zeiten hingegen, wenn Sonne und Wind gleichermaßen fehlen und es zudem auch noch kalt ist in Mitteleuropa, wird die Kilowattstunde Strom sehr wertvoll – schlichte Ökonomie; Angebot und Nachfrage eben. Der Spotmarkt der Strombörse macht diese Wertschwankungen zeitlich hochaufgelöst transparent: Im 15-Minuten-Takt des Intraday-Markts bekommt der Strom jeweils sein aktuelles Preisschild aufgedrückt.
Betreiber flexibler Kraftwerke reagieren darauf. Sie erhöhen oder drosseln ihre Produktion entsprechend der Marktsignale und liefern so den Ausgleich, den das Netz für seine physische Stabilität dringend benötigt. So weit, so gut, so eingespielt. Zugleich aber herrscht im Land eine Praxis, die zu diesem ausgeklügelten System der Stromerzeugung so gar nicht passt. Sie könnte im weiteren Verlauf der Energiewende zu einem handfesten Problem werden.
arbeitet als freier Journalist für Energie- und Umweltthemen in Freiburg. In mehreren Büchern hat er verschiedene Facetten der Historie der Stromwirtschaft aufgearbeitet. Sein Buch „Vision für die Tonne. Wie die Atomkraft scheitert“ erschien 2016 (Picea Verlag).
Womit wir wieder in Hilden sind. Betreiber haben hier Dutzende von Ladesäulen für Elektroautos installiert. An manchen können die Fahrzeuge mit einer Leistung von bis zu 250 Kilowatt tanken. Befremdlich jedoch: Für die Kunden ist der Preis zu allen Zeiten gleich – egal, ob die Kilowattstunde im Großhandel gerade 70 Cent kostet, wie schon der Fall, oder ob der Strom zu einem negativen Preis gehandelt wird, was ebenfalls immer wieder vorkommt.
Keine passenden Messgeräte
Würden die Verkaufspreise an die Preise der Strombörse gekoppelt, könnte bei hohem Anteil erneuerbarer Energien das Tanken billiger werden. Nur ist das bislang nicht praktikabel. Zwar erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage, zeitvariable Tarife seien durchaus zulässig – sofern „entsprechend geeignete und konformitätsbewertete Messgeräte“ zur Verfügung stünden. Daran aber hapert es offenbar – an eichrechtlichen Fragen.
Damit wird eine Absurdität der Energiewende-Wirtschaft deutlich: Während die Stromwirtschaft mit ihren Kraftwerken viel Aufwand betreibt, um die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren auszugleichen, bleiben Anreize für Verbraucher, sich im Sinne des Stromnetzes zu verhalten, auf der Strecke. Die Chance, durch Verlagerungen von Nachfrage Extrembelastungen des Stromsystems zu entschärfen, wird damit verspielt.
Unverständlich, bei diesen Mengen: Alljährlich könnten durch zeitvariables Laden von Autos 70 Milliarden Kilowattstunden auf solche Termine verschoben werden, zu denen ausreichend Strom vorhanden ist, analysierte jüngst das Öko-Institut. Das klingt plausibel. Denn wer beobachtet, wie sehr Autofahrer ihr Tankverhalten mitunter danach ausrichten, ob das Benzin gerade ein paar Cent mehr oder weniger kostet, kann sich ausmalen, welche Effekte durch variable Strompreise an der Ladesäule zu erzielen sind.
Zumal bei Strom noch weitaus höhere Einsparungen möglich sind als bei Benzin: Faktor fünf zwischen Tiefstpreis und Höchstpreis an der Ladesäule ist durchaus mal drin, wenn man die Preissignale der Börse eins zu eins durchreicht. Ähnliche Potenziale der Verbrauchsverlagerung ermittelte das Öko-Institut im Wärmesektor. Auch dieser wird das Stromsystem erheblich fordern, wenn die elektrische Wärmepumpe – aktuell als die große Alternative zum Erdgas hochgejubelt – mit Macht in die Häuser einzieht.
Ungenutzte Einsparungsmöglichkeiten
Die Folgen sind absehbar: Die Spitzenlast im Stromnetz wird an kalten Tagen beachtlich zulegen. Deshalb wird man auch bei der Wärmepumpe nicht umhinkommen, den Strompreis für die Verbraucher eng an den jeweils aktuellen Börsenpreis zu koppeln – auch wieder mit dem Ziel, dass Wärmepumpen bevorzugt dann laufen, wenn der Strom billig ist. Das setzt freilich Wärmespeicher voraus, damit die Wärme nicht exakt dann erzeugt werden muss, wenn man sie benötigt, sondern dann, wenn der Strommarkt dies attraktiv macht.
Besser noch als mit Wärmepumpen im einzelnen Haus lässt sich das mit Großwärmepumpen realisieren, wie sie gerade in Mannheim oder Berlin im Rahmen von Forschungsprojekten aufgebaut werden. Diese erzeugen Wärme in Megawatt-Dimensionen, die per Wärmeleitung in die Häuser gebracht wird. Aufgrund ihrer Größe und weil Speicher in den Wärmenetzen ohnehin vorhanden sind, können Großwärmepumpen ihre Betriebszeiten perfekt am Strommarkt ausrichten.
Energiewirtschaftlich ist dieser Ansatz charmant, weil die ökonomische Logik des Konzepts sich perfekt mit den Erfordernissen der Energiewende deckt. Denn immer, wenn ausreichend erneuerbar erzeugter Strom im Netz ist, machen niedrige Preise Wärmeerzeugung und Tanken attraktiv. Fallen die Erneuerbaren hingegen aus und das Netz ist vorwiegend fossil gespeist, sind die Preise entsprechend hoch.
Für Großverbraucher, die zweistellige oder gar dreistellige Kilowatt-Leistungen beziehen, wird die Einführung flexibler Strompreise, die präzise durch Angebot und Nachfrage im Netz definiert sind, in Zukunft unumgänglich sein. Ohne die Einbindung der Verbraucher wird ein Stromsystem mit hohem Anteil von Solar und Wind kaum vernünftig und zu volkswirtschaftlich angemessenen Kosten zu managen sein.
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