Streit um neues Transplantationsgesetz: Spenden im Tod geht nicht

Organmangel wird durch das neue Transplantationsgesetz nicht behoben. Die Gleichsetzung der Diagnose „hirntot“ mit dem Tod rührt an die Verfassung.

Ein Intensivkrankenpfleger legt einen Venezugang

Versorgung eines Intensivpatienten Foto: Jochen Tack/Imago Images

Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Tagen das Transplanta­tionsgesetz ändern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mit der Widerspruchslösung einen weitreichenden Vorschlag unterbreitet. Er will, dass künftig mehr menschliche Organe entnommen werden können und damit mehr Kranken geholfen werden kann. Zu diesem Zweck soll von der freiwilligen Organspende abgesehen werden. Aber lässt sich so das Problem der Organgewinnung tatsächlich beheben?

Der Grund für den Organmangel liegt nämlich weniger in der geltenden Selbstbestimmungsregelung. Vielmehr herrscht eine stetig wachsende Organnachfrage – und ein prinzipieller Mangel an explantationsgeeigneten Patienten. Wer bereits verstorben ist, wessen Lebensfunktionen erloschen sind, kommt für eine Organentnahme nicht infrage. Eine Spende nach dem Tod entspricht nicht der Wirklichkeit. Es muss vielmehr der irreversible Verlust aller messbaren Hirnfunkionen eingetreten sein und der Körper noch künstlich in einem durchbluteten Zustand gehalten werden. Nur so kann die Explantation eingeleitet werden. Das ist eine außergewöhnliche und sehr seltene Art zu sterben.

Der neurologische Befund „hirntot“ markiert nur die Diagnose, die normalerweise dazu führt, dass alle intensivmedizinischen Maßnahmen beendet werden müssen. Die Gleichsetzung dieses Zustands mit dem Tod ist nach wie vor umstritten, sie wurde vor 25 Jahren bei der ersten Gesetzgebung im Interesse der Transplantationsmedizin vorgenommen. So existieren seither zwei Arten des Todes. Der sogenannte Hirntod und der traditionelle Tod. „Man wird eher zum Empfänger als zum Spender“ sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Transplantationen haben ein systemimmanentes Dilemma hervorgebracht. Den Organmangel.

Um einen optimierten Zugriff auf die wenigen explantationsgeeigneten Intensivpatienten zu bekommen, will Spahn ausnahmslos alle Bürgerinnen zur Organabgabe verpflichten. Lediglich soll den Einzelnen noch zugebilligt werden, vorbeugend aktiv widersprechen zu können. Will man im Zweifel nicht gegen den eigenen Willen an Apparaten gehalten werden, muss man frühzeitig handeln. Schließlich kann man nicht wissen, wie und wann man stirbt.

Dieser Eingriff in die individuelle Autonomie sei statthaft, so das Argument für die Widerspruchslösung, weil der Staat damit ein legitimes Interesse zum Wohle Einzelner – nicht des Allgemeinwohls – verfolge. Dies sei nicht als Zwang zu verstehen, sondern als eine andere Art der Selbstbestimmung. Die BefürworterInnen sehen ihren Vorschlag als ethisch gleichwertig zu den bestehenden Schutzpflichten des Staates an, der bislang das Recht auf Unversehrtheit eines jeden Menschen in all seinen Zuständen zu verteidigen hat.

Anders als beim gültigen Transplantationsgesetz, das die freiwillige Spende als einzig vertretbare verfassungskonforme Möglichkeit festlegt, würden bei der Widerspruchslösung alle dazu gezwungen, sich mit dem eigenen Tod zu befassen. Damit bestünde lediglich noch ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen eine spezifische staatliche Leibeigenschaft im Dienst der Transplantationsmedizin. Es bleibt offen, woher der Staat dieses Sonderrecht ableiten will.

Nach unserem allgemeinen Rechtsverständnis erschließt sich nicht, dass es als Zustimmung gewertet werden soll, wenn man sich einer Antwort „zu den letzten Dingen des Lebens“ verweigert. Scheint hier ein autoritäres Staatsverständnis durch? Erstmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte würden so utilitaristische Interessen in menschenrechtliche Bestimmungen eingeführt. Fremdnützliche Zwecke erhielten einen höheren Stellenwert als die unantastbare Menschenwürde. Ist das so gewollt?

Außerdem würde die Widerspruchslösung zwei fundamental verschiedene Grundrechtsauslegungen je nach Sterbeart entstehen lassen. Die Organabgabeverpflichtung beträfe nur diejenigen, die eines „brauchbaren“ Todes sterben, wohingegen für Menschen, die eines natürlichen Todes gestorben sind, weiterhin die Totenruhe gesichert bliebe. Das zeigt, dass die zweckgeleitete Gleichsetzung der Hirntod-Diagnose mit dem Tod des Menschen bei einer Widerspruchslösung weitere verfassungsrechtliche Probleme nach sich ziehen würde.

Und schließlich muss die Frage beantwortet werden, ob der Mensch, der die Gemeinschaft der Menschen durch sein Sterben verlässt, ihr gegenüber einer Pflicht schuldig ist. Eine komplexe Frage, die in ethischer und grundrechtlicher Hinsicht bisher wenig erörtert wurde. Abgesehen von weltanschaulichen, individuellen Überzeugungen ist zu fragen, ob der Staat das Recht hat, das Lebensende Nützlichkeitserwägungen zu unterwerfen und daraus Rechtsnormen abzuleiten. Was ist Sache des Staates und was verbleibt unverrückbar das Eigene, Unveräußerliche eines jeden Menschen? Es geht bei diesem Interessenkonflikt um grundsätzliche Fragen des Staats- und Bürgerrechtsverständnisses. Nämlich ob zugunsten einer Sonderform der Medizin eine Form der Nützlichkeitsethik etabliert werden soll, die dem Prinzip folgt: Der Zweck heiligt die Mittel.

Sinnvoll wäre es, mehr über Forschungsansätze zu sprechen, die die Notwendigkeit zur Transplantation überwinden helfen können

In vergangenen Legislaturperioden hat sich der Bundestag große Verdienste damit erworben, das Verständnis der Menschenwürde im Angesicht neuer Forschung und biomedizinischer Praxis zeitgemäß fortzuentwickeln. Sinnvoll wäre es, die Fremdorganverpflanzung auf ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen und mehr über Forschungsansätze zu sprechen, die die Notwendigkeit zur Transplantation überwinden helfen können. Innovationen also, die als neue Therapiemethoden zur Regelversorgung für schwer Organerkrankte werden können. Denn gerade weil keine gesetzliche Maßnahme den Organmangel beheben kann, brauchen Patienten Alternativen. Die Widerspruchsregelung bietet dafür keine Lösung.

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ist 1954 in Karlsruhe geboren. Sie war Gewerkschaftssekretärin beim Bundesvorstand Verdi sowie von 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordnete der Grünen, von 2005 bis 2009 dann stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag.

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