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Historisches Werbeplakat für Karstadt am Hermannplatz Foto: AKG images

Streit um Wiederaufbau von KarstadtDer alte Glanz vom Hermannplatz​

In Berlin soll zwischen Kreuzberg und Neukölln das alte Karstadt-Gebäude rekonstruiert werden. Anwohner protestieren: Sie fürchten soziale Folgen.

M öchten Sie gegen den Abriss von Karstadt unterschreiben?“ Auf dem Gehweg zwischen der Schaufensterfassade des Kaufhauses am Hermannplatz und einer Kartoffelpufferbude haben Niloufar Tajeri und ihre Mitstreiter*innen von der Initiative Hermannplatz ihren Infostand aufgebaut. Jeden Donnerstagnachmittag stehen sie hier und sammeln Unterschriften gegen die Pläne des österreichischen Immobilienkonzern ­Signa.

Einige Passant*innen winken ab, doch ein älterer Mann mit Pferdeschwanz hat Interesse. Die Aktivist*innen brauchen keine Überzeugungsarbeit zu leisten, der Mann greift direkt nach dem Stift. „So ein Schwachsinn“, kommentiert er mit kratziger Stimme die Pläne des Investors, während er die Liste unterschreibt.

Ginge es nach dem österreichischen Milliardär René Benko und der von ihm gegründeten Signa-Group, würde das alte Karstadt-Gebäude hier an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln komplett abgerissen. Das funktionale Gebäude mit der Front aus Glas und grauem Beton soll einer Replik des historischen Art-déco-Monumentalbaus aus den 20er Jahren weichen. Berichten zufolge will Signa 450 Millionen Euro für den Neubau investieren.

Die Karstadt-Filiale soll erhalten, aber nicht vergrößert werden. Für die erweiterte Fläche, die mit dem Neubau gewonnen würde, plant Signa eine bisher nicht festgelegte Mischnutzung. Noch gibt es weder Bebauungsplan noch Bauantrag. Doch Signa ist beharrlich – und will zunächst vor allem politische Widerstände aus dem Weg räumen.

Die Ankündigung der Pläne Anfang 2019 hatten zunächst für Entzücken bei Politik und Medien gesorgt. Von „architektonischem Glanz“ war die Rede, der am Hermannplatz wieder erstehen solle. Die Konzeptzeichnungen des von Signa beauftragten Star-Architekturbüros David Chipperfield Architects zeigen die hochstrebende Fassade mitsamt Türmen, auf der Dachterrasse tanzen Pärchen im Abendlicht.

Glanzvoll ist am Hermannplatz derzeit nur wenig. Mehrere große Verkehrsadern laufen hier zusammen, die rechteckige Fläche dazwischen wirkt, von mehrspurigen Straßen umringt, eher wie eine verbreiterte Mittelinsel mit U-Bahn-Ausgang. Und tanzende Pärchen gibt es nur in Form von Joachim Schmettaus Bronzeskulptur, die etwas verloren in der Mitte des Platzes steht. Drumherum sorgen Marktbuden für geschäftiges Treiben, auch Trinker*innen und Drogensüchtige finden hier Zuflucht. Die Polizei stuft den Platz als kriminalitätsbelasteten Ort ein, an dem sie auch ohne Begründung Kontrollen durchführen darf.

Neuköllns Bürgermeister sieht Chance für den Bezirk

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht deshalb in Signas Engagement eine Chance für den Bezirk: „Grundsätzlich begrüßen wir die Pläne“, sagt er der taz, „Karstadt kann langfristig erhalten werden und der Hermannplatz wird belebt.“ Der spektakuläre Neubau hätte eine Magnetwirkung für viele Berliner*innen außerhalb des Bezirks, gleichzeitig könne in Abstimmung mit Signa in dem Gebäude „etwas für die umliegenden Quartiere erreicht werden“. Außerdem sei das eine willkommene Gelegenheit, den Hermannplatz umzugestalten. „Wenn nicht gerade Markt ist, bietet der Platz wenig Aufenthaltsqualität“, so Hikel, man sei „umringt von Blech“.

Gegenüber von Karstadt auf der anderen Seite des Platzes betreibt Arno Finkelmann ein Geschäft für Damenmode, seit über fünfzig Jahren. Eine ältere Frau mit Mundschutz guckt sich im Geschäft um, ansonsten ist es ruhig. Auch Finkelmann sieht Signas Umbaupläne positiv. Er hofft, dass der Neubau neue Kundschaft für seinen Laden bringt: „Karstadt war nie Konkurrent“, so der Ladeninhaber, „wichtig ist, dass das, was da hinkommt, funktioniert.“

Das alte Karstadt-Haus um 1930, Postkarte Foto: akg-images

Doch das geplante Zwanziger-Jahre-Revival sorgt im migrantisch geprägten Neuköllner Norden auch für Unbehagen. „Diese Rekonstruktion ist eine konservative und nostalgische Art, in die Vergangenheit zurückzuschauen, da schwingen viele Dinge mit, die mir nicht gefallen“, erinnert sich Niloufar Tajeri an ihre erste Reaktion auf Signas Pläne. „Gerade in diesem Kiez hat das eine besondere Tragweite.“

Tajeri ist Architektin und beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit Architektur und Gentrifizierung. „Neukölln ist extrem von Verdrängung und Aufwertung betroffen“, sagt sie. Zwischen 2007 und 2018 stiegen die Mieten im Norden des Bezirks laut einer Erhebung des Portals Immobilienscout24 um 146 Prozent: der höchste Anstieg in ganz Berlin, und das, obwohl die Bewohner*innen hier überdurchschnittlich oft arm sind.

„Die Angst ist, dass mit dem Neubau eine weitere Welle in Gang gesetzt wird, die auch noch die letzten Verbliebenen verdrängt“, fasst Tajeri die Sorgen vieler Anwohner*innen zusammen. Gefährdet sind nicht nur sie: Wenn die vergrößerte Geschossfläche des Neubaus dafür genutzt wird, noch mehr Einzelhandel anzusiedeln, könnte das die Konkurrenz für die umliegenden Geschäfte verstärken. „Eine weitere Mall können wir dort nicht gebrauchen“, sagt auch Bürgermeister Hikel, „entscheidend ist, was innen umgesetzt wird.“

Ein „Landmark-Building“

Doch selbst wenn Signa keinen einzigen zusätzlichen Quadratmeter Gewerbefläche schaffen würde, würde der Neubau die Aufwertungsspirale befeuern. Denn bei einer Rekonstruktion des alten Monumentalbaus würde am Hermannplatz nicht nur ein Einkaufszentrum, sondern ein neues Wahrzeichen entstehen. Solche Wahrzeichen, in Immobilienkreisen auch „Landmark-Buildings“ genannt, erhöhen die Attraktivität weit über die Grenzen eines Quartiers hinaus. Die Folge sind steigende Boden- und Immobilienpreise, da die Nähe zur Landmarke wertsteigernd ist.

Ikonische Landmarken sind das Kerngeschäft der Signa Prime Selection AG, die auch den Neubau am Hermannplatz plant. Die Prime Selection AG ist das Aushängeschild von Benkos Firmengeflecht, in ihrem Portfolio finden sich das KaDeWe in Schöneberg, der geplante Elbtower in Hamburg und sogar das Chrysler Building in New York.

Niloufar Tajeri (rechts) und Mitstreiter*innen von der Initiative Hermannplatz Foto: Tina Eichner

Durch den „Landmark“-Status kann Signa nicht nur höhere Mieten verlangen, sondern erzielt vor allem Gewinne durch steigende Immobilienwerte. Sig­na selbst wirbt online mit der „großen Strahlkraft“ seiner Immobilien. Auch deshalb dürfte eine bloße Sanierung des alten Gebäudes wenig attraktiv für den Investor sein. Interviewanfragen der taz dazu ließ Signa unbeantwortet.

Verheerend kann diese Strahlkraft vor allem für das mietrechtlich kaum geschützte und rund um den Hermannplatz vor allem migrantische Kleingewerbe sein: „Wir brauchen uns nur den Kottbusser Damm anzuschauen, da hat ein Laden nach dem anderen zugemacht, weil damit spekuliert wird, dass die nächsten Mieter das Dreifache zahlen“, sagt Tajeri. „Ein so großes Projekt kann diese Entwicklung auf einen Schlag auch für die Karl-Marx-Straße und die Sonnenallee in Gang setzen.“ Noch sind dort Afro- und Asia-Shops, Modegeschäfte, die Hidschabs und Brautmode anbieten, Shishabars und arabische Supermärkte ein allgegenwärtiger Anblick.

Seit über zehn Jahren wohnt die Aktivistin selbst in Neukölln. „Ich bin hier bewusst hergezogen, hier gibt es eine migrantische Community, in der ich mich wohl fühle“, sagt sie. Doch mit dem Verlust des Kleingewerbes drohe diese wichtige Bezugspunkte zu verlieren. Die Bewohner*innen entfremden sich von ihrem eigenen Viertel. „Verdrängung hat viele Dimensionen“, erklärt Tajeri.

Die Möglichkeit, dass ein rechts-sympathisierender Investor in einem migrantisch geprägten Stadteil tätig wird, ist für die Aktivist*innen der Initiative Hermannplatz eine Provokation

Einen weiteren Reizpunkt für die Aktivist*innen stellt die skandalumwitterte Person René Benkos selbst dar. Der Signa-Gründer und Selfmade-Milliardär soll nach eigener Erzählung seine ersten Millionen Ende der Neunziger mit dem Ausbau von Dachböden zu Luxuswohnungen in Wien gemacht haben. Seitdem vergrößerte er sein Imperium fortwährend und kaufte unter anderem angeschlagene Einzelhandelsunternehmen auf, darunter schrittweise auch Karstadt.

Trotz seiner Medienscheu machte Benko immer wieder negative Schlagzeilen. 2014 wurde er vom Obersten Gerichtshof in Wien wegen Korruption verurteilt – und versuchte daraufhin, Medienberichte darüber juristisch zu unterbinden. Die österreichische Rechercheplattform Addendum berichtet von einem undurchsichtigen Geflecht von Firmen und Stiftungen, hinter den Benko seine Geschäfte verbirgt. Der 43-Jährige sei auch bestens in der Politik vernetzt.

Der wohl schwerwiegendste Skandal ereignete sich vor knapp einem Jahr, als die Veröffentlichung des sogenannten Ibiza-Videos die Regierungskoalition in Österreich in eine schwere Krise stürzte. Zu sehen war darin Heinz-Christian Strache, der ehemalige Vizekanzler und Vorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ, wie er in einer Villa auf Ibiza offen über Korruptionsversuche plauderte. Beiläufig erwähnte Strache, dass Benko der FPÖ illegale Partei­spenden zukommen ließe.

Zwar bestreiten sowohl Benko als auch Strache vehement, dass die Aussage im Video der Wahrheit entspräche, doch allein die Möglichkeit, dass ein rechts-sympathisierender Investor so maßgeblich in einem migrantisch geprägten Stadteil wie Neukölln tätig wird, ist für die Aktivist*innen der Initiative Hermannplatz eine Provokation. „Der Name Benko hat das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Viele aus der Initiative, so Tajeri, habe das Ibiza-Video motiviert, sich gegen Signas Pläne zu engagieren: „So einen wollen wir hier nicht.“

Ein paar Meter von der Kartoffelpufferbude entfernt, vor der die Aktivist*innen Unterschriften sammeln, ist auf dem Hermannplatz ein kleiner Markt aufgebaut. Trotz Corona ist er gut besucht, die Händler*innen profitieren vor allem vom Fußverkehr vor der U-Bahn-Station. Auch hier sind die Meinungen zu Signas Plänen gespalten: „Das passt nicht zu uns. Die Menschen, die hier wohnen, sind arm“, sagt Aburakba Fawzi.

Der Hermannplatz, von Neukölln aus fotografiert, das Karstadt-Gebäude liegt in Kreuzberg Foto: Tina Eichner

Der ältere Herr betreibt seit 30 Jahren einen Kaffeestand auf dem Hermannplatz, „einen Ku’damm gibt es in Berlin schon“, scherzt er. Ein anderer Händler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, befürwortet zumindest die optische Neugestaltung des Gebäudes: „Ich gucke seit zehn Jahren auf dieses Haus und kann nichts Schönes daran erkennen.“

„Ein Neubau würde einen kompletten Existenzverlust für mich bedeuten“, sagt auch George Wojatzis, der Inhaber des Puffer-Imbisses. Seit 35 Jahren betreibt er die kleine Bude auf dem breiten Gehweg der Hasenheide an der Seite von Karstadt. Sie müsste wohl als erstes der Baustelle weichen. Etwas Neues finden? „Bei den Mieten in der Umgebung, schwierig“, sagt Wojatzis. Signa veranschlagte die Bauzeit in den ersten Ankündigen mit drei bis vier Jahren, die Auswirkungen an so einem zentralen Platz wären gewaltig.

Während der Hermannplatz zu Neukölln gehört, ist das Grundstück, auf dem das Karstadt-Gebäude steht, Teil des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Dessen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) teilt die Befürchtungen der Kritiker*innen und erteilte dem Projekt vergangenen August eine krachende Absage: „Es handelt sich um eine ‚Mixed-Use-Immobilie‘, zum Teil mit dem Charakter eines Shoppingcenters“, heißt es in der damaligen Presseerklärung des Bezirks. „Die geplante Fassadenrekonstruktion ist nur noch eine Hülle für ansonsten austauschbare Nutzungen.“ Schmidt sieht keinen Bedarf für den Bezirk, den für ein solches Projekt notwendigen Bebauungsplan aufzustellen.

Benko ist bekannt für seinen langen Atem

Doch Benko ist bekannt für seinen langen Atem. „Wir können unsere Projekte mit sehr viel Geduld und guten Argumenten angehen. Bisher sind wir so immer ans Ziel gekommen“, erklärte er im vergangenen November bei einem Vortrag in der Industrie- und Handelskammer Berlin.

Wie Signa bei den Anwohner*innen um Unterstützung für das Neubauvorhaben wirbt, zeigt ein Besuch im Hof des Karstadt-Gebäudes. Wo ehemals Parkplätze waren, führt nun eine rote Fahrradstraße über den Innenhof und verbindet die Urbanstraße mit der Hasenheide. Auf einer Betonauffahrt thront ein zu einem Café ausgebauter Container – die „HRMNNBOX“. Der Ort wirkt, als hätte man ein hippes Kreuzberger Café in den Innenhof von Karstadt verpflanzt, mitsamt Holzpaletten-Möbeln und Dachterrasse. An diesem Donnerstagnachmittag legt ein DJ Old-School-HipHop auf. Ein Sprayer verschönert die Betonauffahrt, während ein Kamerateam von Signa ihn für ein Promovideo filmt.

Beraten wird ­Signa dabei von der PR-Firma des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer

Die HRMNNBOX soll laut Signa „ein Ort des Austausches über die Zukunft des Hermannplatzes sein“. Man kann dort nicht nur Kaffee trinken, sondern auch Wünsche für das zukünftige Karstadtgebäude auf eine Steckwand schreiben. „Sauna“, „Bienenstöcke“ und „Meditationsecke“ haben Besucher bereits auf die Wand gepinnt.

Die Botschaft, die Signa damit senden will, lautet: Unsere Projekte sind keine Gefahr für den Kiez, sondern bieten einen Mehrwert. Wenn schon auf einem Parkplatz ein hippes Café, Urban Gardening und eine Fahrradwerkstatt entstehen kann, welche Möglichkeiten bietet dann ein ganzer Neubau?

Die HRMNNBOX ist Teil des „Dialogs Hermannplatz“, einer Kampagne, mit der Signa die Argumente der Kritiker*innen entkräften will. Beraten wird ­Signa dabei von der PR-Firma des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer.

Signa betont in Presseberichten und Gesprächen mit Politiker*innen, man wolle das Gebäude zusammen mit den Anwohnenden entwickeln. Entsprechend flexibel reagiert der Immobilienkonzern auf Kritik: Karstadt solle auf jeden Fall erhalten und nicht verkleinert werden, statt weiterer Einzelhandelsflächen solle Raum für Arztpraxen und Vereine geschaffen werden, statt eines Hotels war zeitweilig von Sozialwohnungen die Rede, für die der Neubau Platz böte. „Neben einer neuen Filiale soll eine breite Angebotsvielfalt entstehen und die alltäglichen Bedarfe der Menschen widerspiegeln“, erklärte Signa-Sprecher Sebastian Schmidt der taz.

„Signa fährt eine großangelegte Kampagne, die nicht mit Fakten, sondern mit Emotionen spielt“, schätzt Tajeri die Taktik des Immobilienkonzerns ein. „Dabei werden aber ganz grundlegende Dinge verschwiegen.“ So werde die Frage, ob ein aufwendiger Abriss und Neubau überhaupt notwendig sei, von Signa gar nicht erst diskutiert. Ein Dialogverfahren „auf Augenhöhe“ wäre bei einer so ungleichen Ausgangslage nicht möglich, so Tajeri.

Auch Baustadtrat Schmidt zeigt sich gegenüber dem von ­Signa gewünschten Beteiligungsprozess skeptisch: „Natürlich wäre ein Dialogverfahren mit der Signa möglich“, so Schmidt gegenüber der taz, „allerdings gibt es mittlerweile erhebliche Zweifel an der Möglichkeit, dies ergebnisoffen zu führen.“

Keine endgültige Absage

Aber eine endgültige Absage an Signa erteilt selbst der vom Tagesspiegel als „Investorenschreck“ betitelte Schmidt nicht. Der Baustadtrat betont, dass der Bezirk nicht die notwendigen Kapazitäten habe, das sehr aufwendige Dialogverfahren selbst durchzuführen. Tätig werden würde er nur, wenn ihm die Bezirksverordnetenversammlung den Auftrag dazu erteilt: „Der einzige Weg wäre aktuell, dass die Signa ihren Wunsch nach einem Dialogverfahren in der BVV zur Diskussion stellt.“

Expert*innen vermuten schon lange, dass Signa vor allem wegen der Immobilien bei Karstadt eingestiegen ist

Der längste Hebel, den Signa für die Durchsetzung ihres Vorhabens besitzt, dürfte aber der Fortbestand der Karstadt-Filiale selbst sein. Dass der Standort am Hermannplatz erhalten werden muss, betonen alle beteiligten Akteure – auch die Initiative und die Händler am Hermannplatz. Obwohl er zu den umsatzstärkeren Filialen gehört und schwarze Zahlen schreibt, gehen nach Angaben Signas die Gewinne seit Jahren zurück.

Nach der Übernahme durch Signa schaffte es Benko zwar, den Warenhauskonzern wieder kurzzeitig in die Gewinnzone zu führen, doch erkauft wurde dies vor allem durch Lohnverzicht der Beschäftigten. Und mit der Coronakrise geriet der frisch fusionierte Konzern Galeria Kaufhof Karstadt abermals ins Straucheln. Die Umsatzeinbußen durch den Lockdown gehen in die Milliarden.

Um den Konzern zu sanieren, leitete Signa schon Anfang April ein Schutzschirmverfahren ein, eine mildere Form des Insolvenzverfahren in Eigenregie. Medienberichten zufolge könnten bis zu die Hälfte der Filialen von Schließung betroffen sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stellt sich auf harte Verhandlungen ein.

„Für den langfristigen Fortbestand von Karstadt am Hermannplatz ist die Umsetzung eines nachhaltigen Konzepts zwingend notwendig“, so Signa-Sprecher Sebastian Schmidt. Die indirekte Botschaft lautet: Nur durch einen Neubau kann der Standort erhalten werden. ­Signa wirbt damit, dass am Hermannplatz eine Karstadt-Filiale der Zukunft entstehen werde, die das Kaufhauskonzept wieder neu beleben soll. „Wichtig ist, dass wir wieder mehr Emotion, mehr Erlebnis in die Innenstädte bringen. Das gelingt nur durch Nutzungsvielfalt“, erklärt Signa-Manager Timo Herzberg in einem Interview mit der Morgenpost.

Doch Expert*innen vermuten schon lange, dass Signa vor allem wegen der Immobilien bei Karstadt eingestiegen ist. Die Coronakrise ist demnach eine willkommene Gelegenheit, sich unprofitabler Filialen zu entledigen und sie für eine gewinnbringendere gemischte Nutzung freizumachen. An eine erst im vergangenen Dezember von Verdi erstrittene Standortgarantie für alle Häuser bis 2025 ist Signa durch das Schutzschirmverfahren nicht mehr gebunden. Die Zukunft von Galeria Karstadt Kaufhof ist ungewiss. Dennoch versichert Signa: „Wir halten an unseren Plänen für das Projekt am Hermannplatz unverändert fest.“

Kaffeeverkäufer Aburakba hat wenig Hoffnung, was die Zukunft angeht: „Wenn die reichen Leute ein Ziel haben, werden sie das erreichen.“ Tajeri und ihre Mitstreiter*innen lassen sich trotz ihres mächtigen Gegners nicht entmutigen: „Wenn die Zivilgesellschaft zusammenhält, können wir das schaffen.“

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40 Kommentare

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  • Wenn das Gebäude durch den Wiederaufbau deutlich größer wird, ist dann nicht automatisch mehr Platz für Gewerbe und Kommerz, sodass es weniger Verdrängung gibt?

  • Nun ist das Problem von Neukölln wohl eher die erste Latte Machiatowelle, die über die nördliche Straßen schon drüber gerollt ist. Leider, so wie ich es in den letzten 20 Jahren bei Besuchen in der Hauptstadt mitbekommen hat ist eine Gegend erst geil, weil so unverfälscht, leicht bröckelig und migrantisch, dann kommt die community, die sie mit freier Szene soziokulturell aufwertet, dann die die genannte Latte Machiatofraktion, die die Soziokultur als Zitat noch mag, dann die jungen Mittelständler, die den Club , der an ihre Eigentumswohnung grenzt, rausklagen und am Ende werden Edelkinderwagen in skandinavische Kindemodefilialen geschoben und Hinweistafeln mit Fotos über das früher Leben im Kiez angebracht... Ob ein Karstadt dass befördert oder nicht, mag ich nicht zu sagen, auch ob die Stadtpolitik dies noch beeinflussen kann (In Kreuzberg und Friedrichshain gibt es ja noch Zuckungen), ich bin da wenig optimistisch...

    • @Hans aus Jena:

      Hans, wenn Sie sich mal einen guten Job haben, bei dem Sie früh aufstehen, werden Sie es zu schätzen lernen, nicht Tür an Tür mit dem X-Club der lauten Dichter zu wohnen. Wenn Sie sich verlieben und Ihre Partnerin ein Kind hat, werden Sie es zu schätzen wissen, den Kinderwagen abstellen zu können und wenn Sie es mal zu schätzen lernen, Ihr Alter mit einer Eigentumswohung abzusichern, um nicht bis zum Sanktnimmerleinstag Miete zahlen zu müssen, werden Sie es zu schätzen lernen, daß Ihr Eigentum nicht leicht bröckelig wird. Tolerieren Sie doch einfach die unterschiedlichen Milieus. Das Leben ändert sich ständig.

  • "Die Bewohner*innen entfremden sich von ihrem eigenen Viertel."

    Als es die Deutschen in der Sonnenallee waren, die entfremdet wurden, anschließend dann die Türken, hat das keinen interessiert? Die hippe Szene, die nach Kreuzberg nun auch immer mehr nach Neukölln vordringt, führt ebenfalls zur Entfremdung vieler Menschen. Kümmert auch keinen, weil progressiv. Aber wenn das böse Kapital loslegt und den häßlichen Klotz am häßlichen Hermannplatz verschönern möchte, dann startet man Initiativen. Benko ist immerhin ein greifbarer Gegner, der auch selbst Angriffsfläche bietet, im Gegensatz zur Gentrifizierung. Wer dadurch den Untergang Neuköllns befürchtet, hat dort scheinbar noch nicht viel mitbekommen.

  • Ich möchte einen anderen Aspekt ansprechen, der bei mir und Freunden mehr als Skepsis hervor ruft. Das ist die Renaissance optischer Symbolik. Das Schloss, Adlon usw. repräsentieren ja vordemokratische Zeiten oder stellen sich dar als Symbol einer Klassengesellschaft dar. Solche Symobole sind bewusst wieder nach der Zerstörung rekronstruiert worden. Und nicht zufällig schließt sich die Mode an. Z.B. der "moderne" Haarschnitt bei Männern, den ich stets mit Heinrich Himmler in Verbindung bringe.



    Ich unterstelle keineswegs, dass mit einem derartigen Haarschnitt nur annähernd eine Sympathie für H.H. oder dem vorherrschenden modischen Vorlieben der Nazis verbunden ist. Allerdings vermute ich, dass mit mehr historischem Bewusstsein die Renaissance optischer Symbole nicht möglich wäre.

    • @Rolf B.:

      "Optische Symbolik". Ich möchte Sie darauf aufmerksammachen, daß Form der Funktion folgt und ein Stadion auch optisch immer ein Stadion bleiben wird, egal ob nun die Römer da Leute von wilden Tieren haben auffressen lassen oder sich Kinder seit Jahzehnten an Geschichten von Karl May erfreuen in einem Stadion, welches der RAD erbaut hat oder ein Fußballteam gegen ein anderes spielt. Eine Frisur, die Sie an Himmler erinnert, ist für einen 12-Jährigen, der noch nie von der NS-Zeit gehört hat, einfach nur eine schicke Frisur. Ich würde das nicht überbewerten. Nur wenn Äußerlichkeiten wesentlich für eine Sache sind, kann man sie als solche einer Sache zuordnen. Natürlich wird sich jeder Nazi gern mit den Attributen äußerlicher Ähnlichkeit schmücken wollen, aber andersherum von einer Äußerlichkeit den Rückschluß ziehen wollen, ist zu gewagt und eben nicht zwingend.

    • @Rolf B.:

      Vergleicht man jedoch ein Gründerzeitviertel mit einem in den 60er oder 70er Jahren erbauten, stellt man fest, dass urbanes Leben viel eher im Gründerzeitviertel zu finden ist. Das Hansaviertel zB mag ja architekturhistorisch bedeutend sein, Tatsache ist aber, dass die damals formulierten Visionen der Architekten über das in diesem Viertel entstehende urbane Leben samt und sonders nicht eingetroffen sind. Es herrscht Stille und eine merkwürdige Leblosigkeit. Die Hinwendung zu Rekonstruktionen von Gebäuden hat meiner Meinung nach auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass die Versprechen der Architekten der Nachkriegszeit erwiesenermaßen so gut wie nie erfüllt wurden. Gleichzeitig bietet auch die zeitgenössische Architektur oft keine Alternative, zu oft muss sie sich dem Marktdiktat beugen oder ist im Falle einiger Stararchitekten immer noch auf einem selbstbezogenen, elitären Kunsttrip, der nach wie vor das Bedürfnis nach Kleinteiligkeit, regionalem und historischen Bezug, gefälligem Aussehen von Fassaden, Ornamentik usw ignoriert. Dagegen bietet die Rekonstruktion den Vorteil, dass man weiß, dass “es damals funktioniert hat”. Man hält sich sozusagen ans Bewährte. Das wäre seltener der Fall, wenn man der zeitgenössischen Architektur zutraute, etwas ähnliches zustandezubringen. Das tun die meisten Leute aber aus gutem Grund nicht.

      • @Suryo:

        Danke für Ihren Kommentar bzw. für den Aspekt bezüglich der modernen Architektur, die nicht selten eine Chimäre ist. Ich denke da z.B. an die Gehry Bauten in Düsseldorf. Außen -wie soll man sagen?- interessant. Innen blanke Ödnis, einfachste Büroarchitektur.

        Dennoch hat die Restitution bestimmter Gebäude wie z.B. das Schloss oder das Adlon m.E. andere Gründe als die von Ihnen genannten. Das hat auch etwas mit einem konservativ bürgerlichen Zeitgeist zu tun und einer Klassengesellschaft, die sich diese Provokationen leisten kann.

        • @Rolf B.:

          Durchaus auch. Andererseits bezöge sich die Jarstadtreplik ja immerhin nicht auf die Kaiserzeit, sondern die 1920er, die ja gerade als besonders aufregend und freizügig verklärt werden.

        • @Rolf B.:

          "... zu tun und einer Klassengesellschaft, die sich diese Provokationen leisten kann."

          Das Adlon und das Stadtschloss sehen Sie als Provokation?

  • Sie sollten den Karstadt woanders bauen, woanders gibt es auch mehr Leute der passenden "Zielgruppe".

    Oder nein. Sie sollten es ganz lassen. Es gibt schon genug Konsumtempel.

    • @Bunte Kuh:

      Zum Beispiel das Karstadtkaufhaus, das jetzt dort steht...?

    • @Bunte Kuh:

      Karstadt ist dort quasi historisch gewachsen und hat lokalen Zulauf.



      Karstadt zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass sie nicht nur eine elitäre Zielgruppe ansprechen wollen. Deshalb findet man Karstadt auch an anderen sozialen Brennpunkten, wie Leopoldplatz.

  • Komisch. Wird nicht gebaut und nicht investiert, beklagt man das als Venachlässigung usw., und wenn gebaut werden soll, ist es auch wieder nicht recht. Egal, ob oder ob nicht, Protest ist die Konstante. Man könnte vermuten, daß es der Protest an sich ist, auf den es denjenigen überhaupt ankommt.

    • @Thomas Schöffel:

      Es gibt immer auch Menschen, die von sozialen Brennpunkten profitieren und diesen Zustand erhalten haben wollen.

  • Stammkunde bei "Kackstadt" (frei nach Gerhard Seyfried) war ich am Hermannplatz fast 20 Jahre lang. Die längste Zeit meines Lebens war ich Stammkunde in Kaufhäusern, wie viele meiner Generation. Immer zuerst gefragt: Gibts' das bei Kackstadt? Denn das bedeutete ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis für den kleinen Geldbeutel. (War ausnahmsweise doch mal Ramsch dazwischen, durfte großzügig umgetauscht werden, und das Geld gab ich gleich für ein Nachfolgeprodukt wieder aus...).

    Und heute? -> Diese Kaufhäuser gibt es nicht mehr. Nur noch der Name ist übrig. Nach unzähligen Konzept-, Besitzer- und PR-Wechseln wissen die aktuellen Inhaber gar nicht mehr, was ein Kaufhaus überhaupt ist und was 100 Jahre lang seinen Erfolg ausgemacht hat. Die Immobilienwirtschaft wrackt gerade die besseren Seiten des Kapitalismus ab und lässt Wüsten übrig (ob Kaufhof, real,- oder Trump).

    Daher gibt es auch keinen Grund, der Tarnung der geplanten Monster-Gentrifizierung des Hermannplatzes als "Kaufhaus" zu glauben.

    Armer Hermannplatz! Wer Plätze vor Hochhäusern besichtigen möchte, tue es in Frankfurt am Main. In Wohngebieten geht das schon gar nicht. Kreuzberg und Neukölln haben Besseres verdient!

    • @Rosmarin:

      Das ist leider wahr. Der Unterschied zum Onlineeinkauf soll es ja gerade sein, daß man so freundlich und kompetent bedient wird, daß das Einkaufen ein nettes Erlebnis wird. Ich erinnere mich daran, daß es früher gang und gäbe war, daß der Verkäufer die passenden Kleidungsstücke bis an die Umkleidekabine brachte. heute hat sich das leider geändert. Immer weniger Verkäufer haben überhaupt irgendwas drauf. Tja, da kann ich natürlich auch Online bestellen. Die Kaufhäuser haben vergessen, was sie waren und wenn sie sich nicht schnellstens wieder daran erinnern, wird es sie bald nicht mehr geben.

    • @Rosmarin:

      "...Armer Hermannplatz! Wer Plätze vor Hochhäusern besichtigen möchte, tue es in Frankfurt am Main..."

      Frankfurt ist heute schöner denn je.



      Und ich kann das beurteilen, ich wohne in der Gegend schön ein halbes Jahrhundert.

      • @Stefan L.:

        Ich bin 94 in die Nähe von Frankfurt am Main gezogen und dachte zuerst, daß die Stadt wenigstens einen Hauch von New York versprühen würde. Weit gefehlt. In Frankfurt werden gefühlt abends um acht die Bürgersteige hochgeklappt und Ruhe ist im Karton. In New York gibt es in den Erdgeschoßzonen der Wolkenkratzer Geschäfte, Läden, Restaurants, Bars usw. In Frankfurt hingegen sind die Erdgeschoßzonen mausetot. Keine Läden, keine Bars, niente. Das hat man stadtplanerisch oder wer immer da auch zuständig ist, alles total falschgemacht. Und in der Klappergasse, einen Toristenweinlokalviertel, wurden da auch schon um Mitternacht die Ausflugslokale geschlossen. Tja, wer zu blöd ist oder Leben in der Bude nicht haben will, der macht das dann eben so. Traurig, aber wahr.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Eine Aufwertung, ein Ort mit Strahlkraft statt öffentlicher Trinkerarea? Gott bewahre!

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Architektin und vor ein paar Jahren nach Neukölln gezogen wegen der Community! Ich glaube, das nennt man Gendrifizierung!

    • @02854 (Profil gelöscht):

      "Community" ist nur der Begriff für die erste Gentrifizierungswelle.

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Ich möchte nicht "andere Gentrifizierer raushalten" - wo lesen sie das? Es geht nicht um andere Menschen, die nach Neukölln ziehen wollen. Es geht um die Verdrängungsmechanismen - durch Spekulanten und staatliche Sanierungsprogramme, die die Mieten in die Höhe schießen lassen! Ich werde nie - NIE - gegen neue Menschen im Bezirk sein, alleine schon weil das grotesk wäre z.B. Geflüchteten gegenüber oder anderen (Post)Migrant_innen! Waren meine Eltern auch Gentrifizierer, weil sie nach Deutschland gekommen sind?! Wie absurd, die Schuld auf einzelne schieben zu wollen und nicht auf die systemischen Probleme in den Fokus zu setzen.

      Wäre ich gebürtige Neuköllnerin - in dritter Generation (um es ihnen noch mehr recht zu machen) - und hätte ich einen anderen Beruf, wären dann die gleichen Argumente glaubwürdiger? Viele andere Menschen aus unserer Ini und zig Unterstützer_innen entsprechen dem Profil "Altberliner" - und haben die gleichen Argumente. Und: wir arbeiten zusammen, weil diese künstliche Front "Zugezogende vs. Altberliner" spätestens seitdem Migrant_innen präsenter und sichtbarer geworden sind sowas von überholt ist.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @02854 (Profil gelöscht):

      Sie sind also dafür das jeder dort bleiben sollte wo er her kommt!? Oder wie ist Ihr Statement zu verstehen?

      • 0G
        02854 (Profil gelöscht)
        @02881 (Profil gelöscht):

        Nö, aber Gentrifizierer die gerne ihr Biotop behalten und andere Gentrifizierer raushalten wollen sind unglaubwürdig.

        • @02854 (Profil gelöscht):

          Ich glaube, da schlägt doch mal wieder das alte Vorurteil durch, dass alle Architekt*innen automatisch mit dem Erlangen des Studienabschlusses stinkreich werden, oder?

  • Mehr Emotion in die Innenstädte also.

    Na denn.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Ein Fake Art-Deco-Klotz am Hermannplatz Das ist grotesk! Aber wir haben ja auch bald ein Bierzelt/Dänisches Bettenlager für die Moderne Kunst. Manchmal schämt man sich für diese Stadt...

    • @02881 (Profil gelöscht):

      Jetzt hab ich einen Moment gebraucht und musste dann sehr lachen über Ihre treffende Beschreibung...

  • Das Fragwürdige daran ist ganz klar, daß nicht etwa nur ein Karstadt-Haus neu gebaut bzw. umgestaltet werden soll, wie z.B. in Kiel, sondern daß hier eine verklärte Prä-Hitler-Vergangenheit mit zig Tonnen Beton wiederauferstehen soll, ähnlich wie beim Stadtschloß.

    Wieso ist das überhaupt erstrebenswert? Ist das 21. Jahrhundert nicht aufregend genug? Möchte Berlin ein klotziges, erstarrtes 1930-Cosplay werden?

    Ein trauriges Schicksal.

    • 2G
      2830 (Profil gelöscht)
      @kditd:

      Diese Ansicht teile ich durch aus. Viel erschreckender finde ich allerdings, dass der Neohistorismus als Baustil (lange, schmale, hohe Fenster zur Säulenausbildung) sich mittlerweile in Berlin bei Neubauten manifestiert hat. Da finde ich eine Reproduktion weniger verklärend. Das schlimmste ist aber, dass der Bau ansich, ob er nun gefällt oder nicht, nur als Instrument gilt um die Aufwertung des Quartiers voranzutreiben, damit dort die Preise steigen. Ist überprüft worden wo sich Benko bzw. Signa um den Hemannplatz herum Grundstücke angeeignet hat? Und wenn, warum dagegen nicht vorgegangen wurde?

    • @kditd:

      Ich kann da nichts trauriges sehen und finde den 20er Jahre Art Deco-Bausstil ziemlich elegant.



      Und es ist ja nicht so, dass man diesen Baustil just for fun wählt. Das Gebäude gab es in Berlin schon einmal und es wird nur wieder neu aufgebaut, genau wie das Stadtschloss. Ich finde es positiv, dass man Geld in die Hand nimmt, und interessante Bauwerke, die im 2. Weltkrieg zerstört wurden, wieder rekonstruiert. Gerade ein Mix aus alt, neu, modern und rekonstruiert macht doch den Reiz eines Stadtbildes aus.



      Und sorry, aber der Begriff "verklärte Prä-Hitler-Vergangenheit" ist doch Stuss. Dann ist doch jedes Gebäude , dass vor 1930 gebaut wurde, "verklärte Prä-Hitler-Vergangenheit".



      Und ob ein Gebäude gleich die Mietpreise eines ganzen Viertels beeinflussen wird, bleibt abzuwarten.



      Nach der Gegenargumentation im Artikel kann man eigentlich jede bauliche Stadtveränderung in den Orkus spülen.

  • Wieviel Miete zahlt eigentlich die vor zehn Jahren bewusst nach Neukölln gezogene Architektin? Nicht mehr als zB der Betreiber der Kartoffelpufferbude?

  • 2G
    2830 (Profil gelöscht)

    Ich finde es immer wieder spannend wie Orte, die die Meisten aus meinem linken Kreuzberger Umfeld meiden, wie der Kotti, Kottbusser-Damm, Sonnenallee und Karl-Marx-Straße als erhaltenswerten Kleinode beschrieben werden. Sicher für eine bestimmte Personengruppe wichtig und attraktiv um z.B. Fahrradwege zuzuparken; aber was genau habe ich davon? Der Hermannplatz ist für mich keine Alternative zum Winterfeldplatz oder Maibachufer. Wo ist da die Aufenthaltsqualität. Der Markt ist schrottig. Außenrum tobt der Verkehr. So sehr dieser Benko als Feindbild taugt sollte nicht deshalb verklärt werden, was nur einem begrenzten Teil der Berliner Bevölkerung entspricht. Der sogenannte kleine Mann ist wichtig, Lebensqualität bringt aber Vielfalt, die ich bei dem Einheitsbrei von Billigshops, Dönerbuden, Goldvertickern, Shishabars, Barbarshops und Brautmoden für eine abgewandte Orientierung nicht erkenne.



    Dennoch schaue ich mir das beim nächsten Besuch, z.B. im Heimathafen oder bei der BlutwurstManufaktur, noch genauer an was da so erhaltenswert sein soll.



    Die Bemerkung der Retrostyle wäre rückwärtsgewandt und konservativ zieht nicht: was ist an einem Kartoffelpuffer- oder Kaffeestand progressiver bzw. AvantGard? Vor allem wenn 35 jähriger Bestand ins Feld geführt wird. Oder gibt es die Puffer und Kaffee in den neuesten Trendfarben mit voll krassen Hipsterflavor?

    • @2830 (Profil gelöscht):

      Erhaltenswert deswegen, weil es unser Zuhause ist. Hat nichts mit Ästhetik zu tun, sondern mit Funktion...

      Und es ging nicht darum, dass der Stil nostalgist und konservativ ist, sondern das Rekonstruieren...

  • "das geplante Zwanziger-Jahre-Revival"?



    Laut Aussage eines Lokalhistorikers sollen sich kurz nach Fertigstellung des Karstadt-Hochhauses im Jahre 1929 wegen der großen Wirtschaftkrise damals mehre Personen von dem Gebäude gestürzt haben.

  • Hm, irgendwie klingen manche Argumente gegen Gentrifizierung so ähnlich wie das, was gegen Flüchtlingsunterkünfte etc. ins Feld geführt wird.

    • @Albrecht von Aschenfels:

      Selten so einen Blödsinn gehört.



      Ab mit dir.

      • @zzzap:

        Finde ich nicht.

        Sinngemäß:



        Gentrifizierung: "Die Reichen" verändern unsere Community/das Zusammenleben, beeinflußen unser Viertel und Grundstückspreise sowie sorgen für ein Gefühl der Ver/Entfremdung..



        Flüchtlingsunterkunft: "Die Ausländer verändern unsere Community/das Zusammenleben, beeinflußen unser Viertel und Grundstückspreise sowie sorgen für ein Gefühl der Ver/Entfremdung.

        Der Grundton, einer bereits ansässigen Gruppe behagen die Veränderungen durch Neuzugänge nicht, ist der gleiche. Der Unterschied liegt im Gesprächston und dem darauf folgenden Verhalten/dem Feindbild, sicher, aber die Ähnlichkeit ist halt da.



        Dazu zählt Frau Tajeri mit ihrem Beruf der Architektin auch eher zu besser Verdienenden als der Schnitt des Stadtviertels, würde ich behaupten, was sie zu einem Teil der von ihr angeprangerten Veränderung macht.



        Und etwas weiter gedacht sind beide Debatten/ihr gemeinsamer Grundton ohnehin Unfug. Die bestehenden "Afro- und Asia-Shops, Modegeschäfte, Shishabars und arabische Supermärkte", welche ungfähr ab den 60/70er Jahren und späteren Entwicklungsschüben aufgekommen sein dürften, sind das neuere Stadtbild, welches durch Gewöhnung die neue Normalität bildet. Der zurückkehrende Karstadt-Bau als insofern älteres Bauwerk aber ungewohnt und dadurch weniger legitimiert. Aus meiner Sicht halt Gezanke um Symbole ohne allgemeinen Mehrwert.

    • @Albrecht von Aschenfels:

      Das zugrundeliegende Muster ist auch das Prinzip des Revier-und Bestandsschutzes. Das Problem ist die unterschiedliche Wahrnehmung und Darstellung der geneigten Presse und Politik. Wenn die "richtige" Community das macht, ist sogar Randale bis zu einem gewissen Punkt akzeptabel, bei der "falschen" Community sind gleich Demokratie und Menschenrechte in Gefahr.