Streit um Antisemitismus-Definition: Holocaust-Forscher verteidigen die Linkspartei
55 vor allem jüdische Intellektuelle wehren sich in einem Aufruf gegen einen instrumentellen Antisemitismus-Begriff – und loben die Linkspartei.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Joseph Schuster, hatte der Linkspartei daraufhin vorgeworfen, „Hass auf Israel“ zu schüren. Massive Kritik kam von der Union, aber auch von einzelnen Linkspartei-Politikern wie Bodo Ramelow.
Die Erklärung, die der taz vorliegt, unterstützt die Linkspartei und deren Bekenntnis zu der JDA. „Dass die IHRA-Definition von Regierungen angenommen wurde, ist weitgehend Ergebnis politischer Kampagnen von Akteuren im Einklang mit der israelischen Regierung.“ heißt es. Die IHRA-Definition werde „von illiberalen Kräften instrumentalisiert, um bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte zu untergraben.“
Die JDA hingegen stelle ein „sorgfältiges Gleichgewicht zwischen dem Kampf gegen Antisemitismus einerseits und der Wahrung der Redefreiheit und anderer demokratischer Freiheiten andererseits her.“ Eine Definition von Antisemitismus dürfe „nicht als Regulierungs- und Disziplinierungsinstrumente dienen – diese Rolle sollte ausschließlich Recht und Gesetz zukommen.“
Die Erklärung der 55 Wissenschaftler, Historiker und Intellektuellen zur Unterstützung der Linkspartei und deren Bekenntnis zu der JDA finden Sie hier.
Die Autoren, die meisten jüdische Intellektuelle, fordern die Linkspartei auf, „selbstbewusst zu dieser Entscheidung zu stehen, die ein tieferes und breiteres Nachdenken in Deutschland darüber anregen sollte, wie Antisemitismus am besten bekämpft werden kann.“
Einige der Unterzeichner des Aufrufs haben die JDA 2021 mit verfasst, so der israelische Holocaust-Forscher Amos Goldberg, Stefanie Schüler-Springorum, die Leiterin des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung und der britische Philosoph Brian Klug.
Zu den Unterstützern gehören u.a. der Holocaust-Historiker Omer Bartov, Avraham Burg, der frühere Sprecher der Knesset, Dagmar Herzog, Historikerin in New York, Ralf Michaels, Direktor des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forum in Potsdam.
Beim Parteitag in Chemnitz hatte eine knappe Mehrheit gegen den Willen des Parteivorstands für den Antrag gestimmt, von nun an die JDA zu benutzen. Die Debatte um das Verhältnis der Linkspartei zu Antisemitismus und Kritik an Israel dürfte mit dem Chemnitzer Beschluss nicht beendet sein.
Die Intervention der 55 Wissenschaftler soll der Versachlichung der Diskussion dienen. Die Realität, heißt es in dem Aufruf, sei „immer viel komplexer ist als Definitionen es sein können.“ Zudem versuchen die Autoren, darunter international anerkannte Holocaust-Forscher, die JDA und die Linkspartei gegen den Vorwurf zu verteidigen, Antisemitismus zu bagatellisieren. Es gehe darum, „Antisemitismus zu bekämpfen und gleichzeitig die Grundfreiheiten zu schützen.“
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