Streit über Lebensmittelpreise: Lobbyisten fürs Essen

Die Kanzlerin weist Forderungen nach staatlicher Preisregulierung zurück. Ihre Landwirtschafts­ministerin droht mit Bußgeldern.

Julia Klöcker mit Demonstranten vorm Kanzeleramt

Protest vor dem Bundeskanzleramt: AbL-Geschäftsführer Georg Janßen mit Plakat und Julia Klöckner Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Zwei Traktoren der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und ein gutes Dutzend Greenpeace-Aktivisten protestierten vor dem Kanzleramt gegen die Preispolitik der Lebensmittelketten. „Handel muss Billigfleisch aus dem Sortiment nehmen“, stand auf einem Transparent der Umweltorganisation. In der Regierungszentrale stritten unterdessen Handelsverbände und Vertreter der vier größten Filialisten über faire Lieferbeziehungen zwischen den Konzernen, Erzeugern und Verarbeitern der Nahrungsmittel. Die anhaltenden Klagen der Landwirte über den Preisdruck des Handels zeigen Wirkung. Angela Merkel macht das Thema zu ihrer Sache.

Das Ergebnis des Spitzen­treffens, an dem auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) teilnahmen, ist allerdings dürftig. Merkel stellte klar, dass es keine von der Politik verordneten Mindestpreise für Lebensmittel geben wird. Das hatten Politiker der Linken gefordert. Stattdessen setzte die Kanzlerin auf „faire Beziehungen“ zwischen Lieferanten und Verkäufern. Das soll die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der ­Lebensmittelversorgungskette, die sogenannte UTP-Richtlinie, sicherstellen. Sie müsste zwar erst im kommenden Jahr in deutsches Recht umgesetzt werden, doch Klöckner drückt aufs Tempo. „Ich will das sehr schnell umsetzen“, kündigte sie an.

Die vier großen Handelsunternehmen Edeka, Lidl, Rewe und Aldi beherrschen 85 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland. Die Marktmacht nutzen sie nach Einschätzung Klöckners unredlich aus, um die Erzeuger unter Druck zu setzen. Zu den Praktiken gehört, Ladungen von Frischware kurzfristig zu stornieren, ohne die Landwirte dafür zu entschädigen. Auch mit der Bezahlung der Ware dauert es schon mal drei Monate. Erwartet wird von den Handelsketten auch, dass sich Erzeuger und Industrie an Werbeaktionen oder Sonderangeboten beteiligen. Wer nicht spurt, wird von den Einkäufern mitunter nicht mehr berücksichtigt. Derlei Praktiken werden mit der Umsetzung der UTP-Richtlinie verboten oder nur noch erlaubt, wenn dies die beiden Vertragsparteien vereinbaren.

Klöckner kündigte Sanktionen für Verstöße gegen die Regelung an. Dann gebe es Bußgelder für die Unternehmen. Damit den Behörden unlautere Methoden bekannt werden, will sie eine Beschwerdestelle für die Lieferanten einrichten, an die sich betroffene Lieferanten wenden können, ohne Angst vor einer Auslistung ihrer Produkte. Auch eine weitere Sektoruntersuchung über die Konzentration im Lebensmittelhandel sei geplant. „Wir machen keine Preise in der Politik“, sagte die CDU-Politikerin. Gleichwohl hält sie die gängigen Rabattaktionen für falsch. „Zwei Kilogramm Äpfel für 1,11 Euro“, fragte sie, „wie soll das funktionieren?“

Lockangebote für die Kunden

Die Debatte um den Preiswettbewerb im Handel kocht seit vielen Jahren immer wieder hoch, ohne dass sich an der Billigstrategie der Ketten etwas geändert hätte. Ein Grund dafür sind die Verbraucher, die bei Rabattaktionen kräftig zugreifen. Wer auf Sonderangebote verzichtet, verliert Kunden. So mahnt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentrale (vzbv), Klaus Müller, die Interessen der Verbraucher an preiswerten Lebensmitteln nicht außer Acht zu lassen. Viele Kunden seien bereit, für mehr Qualität mehr zu bezahlen. Doch laut Müller können sie die Qualität anhand des Preises gar nicht einschätzen.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch sieht es ähnlich. „Ein höheres Preisschild an Lebensmitteln ist eben kein verlässlicher Indikator für eine höhere Qualität, eine bessere Tierhaltung oder eine faire Bezahlung der Landwirtinnen und Landwirte“, sagt Geschäftsführer Martin Rücker. Foodwatch macht ein Versagen in der Agrar- und Kartellpolitik für die Missstände verantwortlich. Grünen-Chef Robert Habeck fordert derweil einen Fleisch-Cent Aufschlag, mit dessen Einnahmen Investitionen der Landwirte ins Tierwohl gefördert werden könnten. Das lehnte Klöckner prompt ab.

Auch mit der Bezahlung der Ware dauert es schon mal drei Monate

Rewe-Chef Lionel Souque verteidigte dagegen die Preisgestaltung des Handels. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze“, sagte er der dpa. „Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“

Die Debatte ist zwar in vollem Gange, tritt aber inhaltlich bisher auf der Stelle. „Es ist der Start eines Prozesses“, räumte Klöckner nach dem Spitzen­treffen auch ein. Im Dezember hatte sich Merkel bereits mit Vertretern der Landwirte getroffen. Die Bundesregierung bemüht sich sichtlich um eine Moderation des Konfliktes zwischen der konventionellen Nahrungsmittelwirtschaft und Klimaschützern nebst Biobranche sowie den Verbraucherinteressen. Sehr viel näher gekommen, das zeigte der neuerliche Gipfel, sind sich die Beteiligten bisher noch nicht.

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