Strafe bei Terminversäumnis: Wieder mehr Kürzungen bei Hartz IV
Der Arbeitsagenturchef ist gegen eine komplette Abschaffung von Sanktionen. Arbeitsminister Heil warnt vor Kriegsfolgen beim Jobmarkt.
Berlin taz | Die Zahl der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger:innen ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen, bleibt aber auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in der Zeit vor der Pandemie. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsagentur, Detlef Scheele, verteidigte am Montag Leistungskürzungen, die auch weiterhin bei Meldeversäumnissen ausgesprochen werden können. „Für eine sehr geringe Minderheit brauchen wir auch weiterhin eine Handhabe, wenn sie zum Beispiel Beratungsgespräche ohne Grund versäumen“, erklärte Scheele.
Im Jahr 2021 sprachen die Jobcenter fast 194.000 Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger:innen aus, knapp 23.000 mehr als im Jahr 2020. Laut Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden 2019 aber noch knapp 807.000 Leistungsminderungen verhängt.
Sanktionen sind mit Kürzungen beim Regelsatz verbunden, etwa weil ein:e Leistungsempfänger:in eine Arbeitsmaßnahme ablehnt oder – was am häufigsten vorkommt – zu einem Termin ohne wichtigen Grund nicht erscheint. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 dürfen die Leistungen dabei um nicht mehr als 30 Prozent des Regelsatzes gemindert werden.
Der auffällige Rückgang bei den Sanktionen von 2020 gegenüber dem Vorjahr 2019 resultierte unter anderem aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Umständen der Pandemie, hieß es bei der BA. Während der Pandemie wurden vor allem Beratungstermine am Telefon angeboten, wer die nicht wahrnahm, wurde aber nicht sanktioniert. Im vergangenen Jahr waren drei Prozent der Hartz-IV-Bezieher:innen in Deutschland von Sanktionen betroffen.
Ampelregierung plant „Bürgergeld“
Das Thema Sanktionen ist politisch brisant, denn die Ampel-Regierung hat Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen für Hartz-IV-Empfänger:innen laut einem neuen Gesetz bis Ende des Jahres 2022 weitgehend aufgehoben. Dabei bleiben aber – entgegen den Wünschen der Grünen – Sanktionen wegen Terminversäumnissen weiter bestehen.
Das neu geschaffene „Bürgergeld“ soll die Pflichten zur Mitwirkung ab 2023 neu regeln
Nach Ablauf des Jahres 2022 soll das neu geschaffene „Bürgergeld“ die „Mitwirkungspflichten und die Folgen der Verstöße neu regeln“, heißt es im Gesetz zum Sanktionsmoratorium. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagesfraktion, Stephan Stracke, hatte erklärt, ohne Sanktionsmöglichkeiten würde die Ampelkoalition ein „bedingungsloses Grundeinkommen schaffen“.
Nahezu „ausgewogen“
Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) warnte am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa vor den Folgen des Ukrainekrieges auch für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Man werde die Folgen des Ukrainekrieges noch „viele, viele Jahre“ zu spüren bekommen, sagte er. Er werde seinen Beitrag dazu leisten, dass die Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt gedämpft werden. Er glaube, dass „äußere Stärke und Sicherheit sowie innerer und sozialer Frieden zwei Seiten derselben Medaille“ sind.
Eine am Montag veröffentlichte Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam zu dem Schluss, dass die beiden milliardenteuren Energie-Entlastungspakete der Bundesregierung sozial „weitgehend ausgewogen“ seien. Eine Lücke gebe es allerdings bei Rentner:innen, bei denen der Staat nur wenig der Mehrausgaben kompensiere. Die Entlastungspakete sehen unter anderem Energiekostenzuschüsse für Erwerbstätige, Einmalzahlungen an Hartz-IV-Empfänger:innen und Kindergeldzulagen sowie verbilligte Tickets für den öffentlichen Nahverkehr vor.
Leser*innenkommentare
Moon
Hätte, hätte "Lieferkette"...
Genau, so geht das nicht.
Der Satz *Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.* als Steilvorlage:
Wenn die kath. Kirche die Worte des Wanderpredigers und seiner Apostel im Falle dieses Satzes ernsthafter betrachtet hätte, dann hätten ihre Vertreter den Satz nicht entstellend deutend von den Kanzeln gepredigt.
Wenn die Bolschewiken bei den Worten von Marx bezügl. des "Opiums für das Volk" besser aufgepasst hätten, also sich mehr Gedanken über Religion gemacht hätten, dann hätten sie den Eingangs genannten Satz nicht zur falsch gedeuteten Vorlage für eine Verfassung genommen.
Wenn die Herz-Jesu-Marxisten mehr auf ihr "Herz" und weniger auf die Prediger gehört hätten, dann hätten die diesen Satz nicht in falscher Deutung weiter verbreitet.
Und wenn die Sozialisten bis hin zu Münterfering/SPD nicht ebenfalls schlampig mit dem Satz umgegangen wären, dann hätte Müntefering u. a. den Satz nicht in dem Kontext gebraucht, in den er ihn stellte.
Und die Nazis waren so zynisch, dass sie den Satz "Arbeit macht frei" gerade deshalb über die Eingangstore ihrer KZ´s schrieben, weil sie dessen Bedeutung erfasst hatten und ihn in ihrer ganzen Unmenschlichkeit dafür verwandten, ihre totgeweihten Gefangenen damit zu verhöhnen.
Links- u. Rechtspopulismus? Ich sag mal so: Mir ist erst mal egal, welche Farben und Abzeichen die Westen tragen. Entscheiden ist für mich, was in deren Tasche, im Portfolio drin steckt. Das Autoritäre kann sich in jeder pol. Strömung entwickeln. Man sieht es an "Hartz IV". Da braucht mir keiner mehr damit kommen, dass er doch Sozialdemokrat, Christ...usw. usw. usw. ist. Was er dann nach der Rede aus dem Portfolio holt, das ist es dann.
Freiheitliche Verfassungen: Stimmt was Sie dazu sagen. Vor dem Hintergrund des Gesagten sage ich, dass es sehr darauf ankommt, auf die zu achten, die diesen Verfassungen Kuckuckseier ins Portfolio stecken wollen. Und schwupp ist Verfassung - ohne Freiheit.
Rudolf Fissner
@Moon Wollen Sie die stalinistische Sowjetunion, die die angebliche Asozialität nicht arbeitender Menschen prominent in der Verfassung verankerte ( taz.de/!5845131/#bb_message_4305973 ) immer noch "Herz-Jesu-Marxisten" wie Sie den liberal-sozialistischen Part bezeichnen, und den Kirchen in die Schuhe schienen?
Links- der rechtsextreme staatliche Strukturen sind mit Sicherheit nicht egal ("Links- u. Rechtspopulismus? Ich sag mal so: Mir ist erst mal egal, welche Farben und Abzeichen die Westen tragen."). Sie sind, wie die Geschichte gezeigt hat, tödlich, m Falle DE waren sie brutalst tödlich)
Moon
@Rudolf Fissner Ich fand Ihre Antwort leder erst heute, gerade eben. Sie wurde Freitag zur Einstellung aufgegeben. Nehme an, dass die Einstellung im Netz wg. Feiertage verspätet erfolgte.
Bin nun in der Zeit knapp. Hoffe, später ausführlicher zu antworten.
Hier: Ich meine es so: Der Satz "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" ist sowohl von Teilen der christlichen Kirche und ihrer Lehre falsch ausgelegt worden. Andere haben sich dieses Satzes ebenso in falscher Auslegung bedient. Natürlich ist die (stalinistische) Sovjetunion nicht etwa eine Folge kirchlichen Wirkens ("in die Schuhe schieben") So hahnebüchen ist es nicht. Vielleicht erst einmal: Der Theologe, Ökonom, Sozialethiker u. Jesuitepater Friedhelm Hengsbach zum Satz in einem seiner Bücher, unter Googlebooks entsprechendes Kapitel nachlesbar:
books.google.de/bo...ht%20essen&f=false
Zu:
"Grundsätzlich ist es nicht möglich, antike oder mittelalterliche Arbeitsbegriffe als
Grundlage des heutigen Arbeitsbegriffs heranzuziehen (das wäre schon wieder eine
Transhistorisierung bzw. Ontologisierung)":
www.oekumenisches-...her-Kloos-2015.pdf
Die Schrift habe ich rasch überflogen, also nicht geptüft.
Und ausdrücklich: Ich gebe Ihnen Recht, wenn sie sagen, dass die liberal-demokratischen Verfassungen, so in D., fortschrittlich mit Blick auf den Paulussatz sind. Als einer, der Arbeitslosigkeit kennt, will ich die Demokratie gerade nicht wütend-unbedarft abschaffen. Ich will sie da, wo sie mir zu erodieren scheint, wieder haben.
Bemühe mich, später zu ergänzen.
Moon
@Moon Sollte an @RUDOLF FISSNER
schönBehindert
@die vielen Kommentare, die da meinen, Terminversäumnisse selbst schuld: diese entstehen nicht durch Verschulden, sondern weil die Personen rechtlich nicht informiert sind www.boeckler.de/de...waechsten-9357.htm
Hans Wurst
Die Hartz-IV Regelsätze reichen eigentlich nur noch für ein Leben im Süden. Auf dem Balkan, in der Türkei oder noch weiter weg, lebt es sich ganz gut mit 400€ im Monat. Wenn da nicht das blöde Melden beim Amt wäre.
Ruediger
@Hans Wurst 400 € pro Person + Miete + Krankenversicherung + alle möglichen Sonderzahlungen bei spezifischen Bedarfen + ggf. Selbstbehalt bei Zuverdienst
Dass reicht nicht für ein besonders tolles Leben, aber ALG2 ist ja auch nicht als Dauerzustand gedacht. Trotzdem gibt es Leute, die sich auf diesem Niveau dauerhaft eingerichtet haben und das offenbar besser finden, als sich einen Job zu suchen.
Rudolf Fissner
@Ruediger Der Witz an der Sache ist: Die eine Hälfte der Gegner wird immer jähzornig,weil das möglich ist und die andere Hälfte läuft immer rot an, weil das noch viel zu wenig sei.
Uranus
@Ruediger Tja, Kapitalist*innen lassen sich ihren Reichtum von Anderen erarbeiten. Bei manchen ist das Reichtum so groß, dass sie selbst nicht mal mehr als Manager*in o.ä. arbeiten müssen. Ihr Vermögen lassen sie dann durch Vermögensverwalter*innen verwalten und mehren. Ist das moralisch besser? Das Problem in diesen Zusammenhängen sehe ich darin, dass Reiche sich auf diesem Nivau dauerhaft eingerichtet haben und nicht bereits sind, zu teilen. Siehe:
www.zdf.de/nachric...arm-reich-100.html
de.wikipedia.org/w...eichsten_Deutschen
Rudolf Fissner
@Uranus Hm. Das bedeutet aber doch, dass nicht das Geld der reichen Kapitalisten in H4 fließt, sondern das Geld hart arbeitender solidarischer Menschen, die nicht sehr viel mehr abgeben können.
Wollen Sie diese Menschen noch mehr auspressen?
Ich frage mich auch die ganze Zeit, wie Sie z.B. die Aldi-Supermärkte versilbern wollen um damit gg. H4 anzukämpfen. Die kauft doch niemand, wenn die enteignet werden!? Oder was wollen Sie zu Geld machen?
Moon
@Ruediger *...aber ALG2 ist ja auch nicht als Dauerzustand gedacht. Trotzdem gibt es Leute, die sich auf diesem Niveau dauerhaft eingerichtet haben und das offenbar besser finden, als sich einen Job zu suchen.*
Zu diesem Zusammenhang möchte ich auf gesicherte empirische Befunde hinweisen. Es stimmt, dass das Alg. 2 absichtvoll so gestaltet ist, dass es kein Dauerzustand für die Betroffenen sein soll. Dennoch ist Langzeitarbeitslosigkeit ein großes Problem in der Arbeitsmarktpoltik. Warum eigentlich, wo doch die "Hartz IV - Reformen" anderes versprachen? Auch wenn die Zahl der Erwerbslosen absolut sehr gesunken ist, der Sockel der Lanzeitarbeitslosigkeit bleibt anteilsmäßig hoch.
Sich dauerhaft "in Hartz IV einzurichten" muss vor einem mittlerweilaus wiss.-empirisch erfassten Hintergrund verstanden werden, der das Verhalten der Lanzeitarbeitslosen vor Augen führt. Dazu Artikel der Taz aus J. 2013:
*Studie zu zehn Jahren Hartz-IV-Politik: Bürger auf Bewährung.
Soziologen aus Jena untersuchen die Folgen der Arbeitsmarktpolitik. Sie widerlegen das Vorurteil, dass Jobsuchende in Resignation abgleiten.*
taz.de/Studie-zu-z...ile2=1582675200052
Geschrieben hat ihn der Soziologe Wolfgang Engler.
Er rezensiert die Studie:
Klaus Dörre, Karin Scherschel, Melanie Booth u. a.: „Bewährungsproben für die Unterschicht? Soziale Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik“
Der Artikel ist für mich sehr lesenswert. Zumal ich die tatsächlich Bahn brechende Studie kenne.
Weil zu betonen wichtig: Es handelt sich dabei um fundierte, wissenschaftliche Ergebnisse.
Ricky-13
@Ruediger Ja, die faulen "Hartzer", die sich tatsächlich erdreisten, sich nicht ausbeuten zu lassen, um für die oberen Zehntausend zu schuften, sind schon ein merkwürdiger Haufen. *LoL*
Wir haben jetzt schon ca. 10 Millionen Niedriglohnempfänger in Deutschland. Viele Milliarden Euro werden jährlich aus Steuermitteln aufgewendet um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert also schon seit vielen Jahren Arbeitgeber die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen. Wir haben trotz Ausweitung des Niedriglohnsektors, was ziemlich offensichtlich der wahre Grund für das menschenverachtende Hartz-IV-System war/ist, aber nach wie vor dieselbe Arbeitslosenzahl wie seit den 1970ern des vorigen Jahrhunderts. Das bedeutet, dass wir ohne die durch Hartz IV ermöglichte Ausweitung des Niedriglohnsektors jetzt sogar wesentlich mehr Arbeitslose hätten.
Menschen werden zuerst vom Arbeitsmarkt ausgestoßen und dann kommt die Bundesagentur für Arbeit (BA) und presst die Menschen mit Lohndumping in diesen "Arbeitsmarkt" wieder zurück - und zwar mit der Androhung einer Sanktion. So funktioniert halt das Hartz IV System und so war es wohl auch von Anfang an beabsichtigt. Lohndumping und die Ausweitung des Niedriglohnsektors wird doch seit Hartz IV erfolgreich in Deutschland betrieben, um innerhalb Europas die Stellung als Exportweltmeister zu halten. Die SPD hat aus Deutschland das Niedriglohnland Nummer 1 gemacht. "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt", sagte Gerhard Schröder 2005 in Davos.
Der "Rest" der Arbeitslosen soll mit Statistik herausgerechnet werden, was aber immer schwerer wird, da den gut bezahlten Statistikern der BA auch langsam die Einfälle ausgehen, wie man Millionen Arbeitslose noch "herausrechnen" könnte. So schaut die Realität aus, die einige Leute aber nicht sehen möchten, weil sie immer noch in der Arbeitswelt des 20. Jahrhundert stecken.
Rudolf Fissner
@Ricky-13 "Ja, die faulen "Hartzer""
Der Spruch ist aber nur bei Ihnen zu finden. Sie argumentieren gegen eine These, die Sie selber aufstellen.
Ricky-13
@Rudolf Fissner Das nennt man Ironie. Wie oft soll ich Ihnen eigentlich noch sagen, dass Sie meine Kommentare aufmerksamer durchlesen sollen?
Uranus
@Ricky-13 Da schließe ich mich an!
Ricky-13
@Uranus Inge Hannemann (taz-Panter Preisträgerin von 2013) hatte das "Hartz IV System" schon vor vielen Jahren angeprangert.
"(...) Unternehmen, die durch großzügige Lohnsubventionen der Bundesagentur für Arbeit ihr Prekariat stabilisieren, zementieren und sich entspannt zurücklehnen, weil sie sich in der Sicherheit wiegen können, neues Futter in Form von Zwangsbewerbern über die Arbeitsagenturen und Jobcenter zu erhalten. (...)" [Inge Hannemann]
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Dr. Heiner Geißler (1930 - 2017) sagte über Frau Hannemann: „Es ist ein Glücksfall, dass endlich jemand aus dem BA-Bereich die Missstände aufdecke, die seit Existenz der Agenda 2010 dort eingerissen seien“.
Was die Bundesagentur für Arbeit (BA) daraufhin getan hat, ist jedem bekannt, der sich mit dem Hartz IV System etwas auskennt. Frau Hannemann wurde "frei gestellt", weil sie die Wahrheit beim Namen nannte. Vielleicht sollte man das Hartz IV System endlich mal etwas mehr unter die Lupe nehmen und auch mal fragen, weshalb ein "Behördenleiter" (BA-Chef Detlef Scheele ist ein ehemaliger SPD-Senator aus Hamburg, der von Beruf Politik- und Sportlehrer ist) ein Jahresgehalt von 300.000 Euro bekommt?
Anstatt sich darüber aufzuregen, dass man als Steuerzahler vielleicht einige Cent für den Erhalt des sozialen Friedens abgeben muss, sollte der Bürger sich lieber mal Gedanken machen, weshalb Reiche immer noch keine anständigen Steuern zahlen. Aber sich über Hartz IV Empfänger aufzuregen, macht dem naiven Bürger wohl mehr Spaß.
Eric Manneschmidt
Das grundsätzliche Problem ist doch, dass nicht jede Erwerbsarbeit gemeinwohlförderlich oder notwendig ist und nicht jede gesellschaftlich notwendige Arbeit Erwerbsarbeit ist.
Deswegen ist die Verknüpfung von Erwerbsarbeit mit dem Recht zu existieren und an der Gesellschaft teilzuhaben falsch. Wie ANDY KRISST schreibt: "Das Existenzminimum muss ohne wenn und aber gesichert sein."
Von daher sind weder Meldeversäumnisse noch die Ablehnung von Jobs oder Maßnahmen sinnvolle Sanktionsgründe.
Und was soll das mit dem Arbeitskräftemangel? Erstens gibt es einen großen Mangel an Arbeitskräften im Bereich der unbezahlten Arbeit: Leute, die sich ordentlich um ihre Kinder, Kranken, Alten kümmern können. Leute, die sich für Demokratie, Frieden, Umweltschutz einsetzen können und dergleichen mehr.
Außerdem müssen wir nicht so viel Wertschöpfung ("Exportweltmeister") in Deutschland konzentrieren, in einer gerechten Welt verteilt sich auch die bezahlte Arbeit gleichmäßiger über den Globus.
Mit anderen Worten: Es wird Zeit für das Bedingungslose Grundeinkommen und Zwischenschritte dahin, in Deutschland, Europa (www.ebi-grundeinkommen.de/) und weltweit.
Finanziert u.a. durch Steuern auf Umweltverbrauch, Transaktionen und große Vermögen.
Damit allen Menschen Zeit bleibt für (Selbst-)Sorge, Muße und um herauszufinden, wie sie der Gesellschaft am besten dienen können.
Ruediger
@Eric Manneschmidt Ich könnte ihnen folgen, wenn ein großer Teil der ALG2- Empfänger einen signifikanten Teil ihrer Zeit in Ehrenämtern oder mit unbezahlter Care-Arbeit verbringen würden. Daran habe ich aber Zweifel, oft passiert so etwas neben dem Beruf. Und selbst wenn es so wäre, sehe ich die effektivste Lösung nicht darin, in einem unglaublich teuren System mit der Gießkanne Geld zu verteilen. Dann sollte man lieber schauen, dass man Gelder freigibt, um die ehrenamtlichen Tätigkeiten von ALG2-Empfängern in reguläre, sozialversicherte Jobs umzuwandeln.
Eric Manneschmidt
@Ruediger Ich kann Ihren Gedankengang nachvollziehen, finde es aber nicht sinnvoll, noch mehr (heute unbezahlte) Arbeit in Lohnarbeit umzuwandeln. Ich denke im Gegenteil, wir übertreiben das heute schon. Abhängige Beschäftigung bedeutet per se geringere Autonomie, unbezahlte Arbeit ist selbstbestimmter als bezahlte. Am Ende bezahlen wir uns gegenseitig dafür, dass wir uns gegenseitig die Hütte sauber machen. Das ist doch grotesk - Erwerbsarbeit als Selbstzweck.
"JOBISMUS ist der Glaube, dass Jobs die Lösung aller sozialen und ökonomischen Probleme seien." (www.livableincome.org/jobism.htm)
Das ist ein System, das unseren Planeten kaputt macht und auch nichts mehr mit Marktwirtschaft oder der effizienten Erledigung von anfallenden Aufgaben zu tun hat.
Außerdem ist ein BGE gar nicht so unglaublich teuer, wenn man bedenkt, dass wir heute schon einen Steuerfreibetrag (Vorsicht: Gießkanne!) haben - auch für die, die ihn nicht brauchen - und unterm Strich nur relativ wenige Menschen mit dem BGE mehr Geld als heute bekommen würden - nämlich die verdeckt Armen. Für die meisten ist es nur ein vorab ausbezahlter Steuerfreibetrag.
Dann möchte ich noch erwähnen, dass es heute auch nicht gewünscht ist, dass Transferempfänger sich größer engagieren in Sorgearbeit oder Ehrenamt. Sie sollen sich am besten nur mit der Suche nach Erwerbsarbeit befassen, manchmal dürfen sie sich auch weiterbilden, aber nur in bestimmten Bereichen und in oft hanebüchenen Maßnahmen.
Ich habe da selbst Erfahrung sammeln dürfen...
Hans Wurst
@Eric Manneschmidt Mit anderen Worten: es sollte ein Recht auf Faulheit geben und darauf, trotzdem an der Arbeit der anderen zu partizipieren?
Gibt es alles schon … nur nicht für jeden.
Eric Manneschmidt
@Hans Wurst Ja, darauf läuft es hinaus. Von der Arbeit der anderen profitieren wir eh alle, da knapp zwei Drittel aller Arbeitsstunden unbezahlt geleistet werden.
Martin Luther King schrieb 1967:
"Es erleichtert unserer Nation die Anpassung an eine neue Art von Denken, wenn wir begreifen, dass sich seit bald vierzig Jahren bereits zwei Gruppen in unserer Gesellschaft an einem BGE erfreuen. In der Tat ist dies ein Symptom für die Verwirrung unserer sozialen Werte, dass diese beiden Gruppen sich als die Reichsten und die Ärmsten herausstellen. Die Vermögenden, die Wertpapiere besitzen, verfügten jederzeit über ein gesichertes Einkommen und deren direktem Gegensatz, dem Fürsorgeempfänger, wurde ein - indessen äußerst geringes - Einkommen durch die Sozialhilfe garantiert." (www.livableincome.org/aMLK-deutsch.htm)
Wobei noch zu sagen ist, dass das Grundeinkommen der Ärmsten bislang nicht bedingungslos ist, sondern mit einer eigentlich völlig überflüssigen Stigmatisierung und der eben äußerst ungesunden Sanktionsdrohung verbunden ist.
Ricky-13
taz: "Der Vorstandsvorsitzende der Bundesarbeitsagentur, Detlef Scheele, verteidigte am Montag Leistungskürzungen, die auch weiterhin bei Meldeversäumnissen ausgesprochen werden können. „Für eine sehr geringe Minderheit brauchen wir auch weiterhin eine Handhabe, wenn sie zum Beispiel Beratungsgespräche ohne Grund versäumen“, erklärte Scheele."
Für den BA-Chef Detlef Scheele (SPD) wäre es sicherlich der Super-GAU, wenn es Hartz IV (ALG II) nicht mehr geben würde, denn dann bekäme er sein Jahresgehalt von 300.000 Euro nicht mehr. Von Scheeles Jahresgehalt könnte man übrigens 56 ALG II Empfängern ein Jahr lang den Regelbedarf zahlen.
Dass Hartz IV immer noch nicht in den Mülleimer geworfen wird und jetzt nur einen harmloseren Namen (Bürgergeld) bekommen soll, macht deutlich, dass man die "Hartzer" auch weiterhin als Druckmittel gegen die 'noch' arbeitende Bevölkerung einsetzen will.
taz: "Nach Ablauf des Jahres 2022 soll das neu geschaffene „Bürgergeld“ die „Mitwirkungspflichten und die Folgen der Verstöße neu regeln“, heißt es im Gesetz zum Sanktionsmoratorium."
Der "Hartz IV Irrsinn" bekommt also nur einen neuen Namen und geht dann so weiter. Auch die Arbeitslosenquote wird dann wohl weiterhin von der BA "schön gerechnet" werden. Die Bundesagentur für Arbeit (BA), die mit einem unglaublichen Bürokratismus und ca. 100.000 Mitarbeitern einen egozentrischen Aufwand betreibt, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, kostet dem Steuerzahler jährlich ein paar Milliarden Euro und bringt - außer eine geschönte Arbeitslosenquote - nichts zustande. Weiß jemand warum Jobcenter "Jobcenter" heißen? Weil 100.000 BA- und JC-Angestellte einen Job haben.
***Mann, Sieber! - Phantastische Arbeitslosenzahlen und wie man sie zaubert - 2016*** www.youtube.com/watch?v=v2bWZF08Yns
"Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität." [Götz Werner, 1944 - 2022]
AvH
[...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation
Wunderwelt
Hinter den Modellen Hartz4 vs. Bedingungsloses Grundeinkommen stecken verschiedene Menschenbilder.
Hartz4 steht dabei für Generalverdacht und ein Malussystem.
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen hingegen für Selbstverwirklichung, Krrativität und ein Bonussystem.
Schlussendlich geht es also um die Frage: wollen wir den Menschen Vertrauen oder ihnen Mißtrauen..
In welcher Gesellschaft (mit welchem Menschenbild) wollen wir leben.??
...
rero
@Wunderwelt Nö, das ist für mich kein Generalverdacht.
Ich bin mit diesen Leuten verwandt, die mit Hartz IV zufrieden leben und in ihrem Leben noch nie gearbeitet oder eine Ausbildung gemacht haben.
Ostern naht, und wir werden wieder zusammen am Tisch bei mir zu Hause sitzen.
Der Eine hat gerade beschlossen, dass Hartz IV ja mehr Geld bringt, und deshalb eine Reha-Maßnahme zur beruflichen Eingliederung abgebrochen.
Außerdem hat er dann viel mehr Zeit fürs Internet, um sich dort auf rechten Schwurbler- und Paranoiaseiten rumzutreiben.
Dank ihm bin ich über jede aktuelle absurde These in diesem Bereich informiert
Seine Kreativität und Selbstverwirklichung liegt unterhalb des Gefrierpunktes.
Mich hält er für dämlich, weil ich mir den Tag mit Arbeit versaue.
Er ist natürlich ein großer Fan des bedingungslosen Grundeinkommens.
Die Andere ist seit mehr als zwanzig Jahren aus der Schlule raus.. Danach folgte - nichts. Sie hatte eine einstellige Anzahl von Qualifizierungsseminaren vom Jobcenter und zwei 1-Euro-Jobs. Die haben ihr sogar gefallen.
Ich bin überhaupt nicht neidisch und möchte mit beiden nicht tauschen.
Ich denke aber, dass es ihrem Selbstwertgefühl gutgetan hätte, wenn sie ihr Geld für die Erfülllung einer Aufgabe bekommen hätten.
Grundeinkommen - ja, unbedingt.
Aber nicht bedingungslos.
Das Einkommen ist bereist ein Bonus.
Ein positives Menschenbild bedeutet für mich, dass ich in jemanden das Vertrauen habe, dass er im Stande ist, für die Gesellschaft Positives zu leisten.
Dass jemand, sobald er aus der Schule rauskommt oder arbeitslos wird, ein sinnhaftes Jobangebot bekommt.
Nicht ihn einfach mit Geld ruhigzustellen, was irgendwann wie eine Droge wirkt.
Bedingungloses Grundeinkommen hat für mich, wenn ich an meinem Ostertisch sitzen werde, nichts mit einem positiven Menschenbild zu tun.
Im Gegenteil.
Moon
@rero *Die Andere ist seit mehr als zwanzig Jahren aus der Schlule raus.. Danach folgte - nichts. Sie hatte eine einstellige Anzahl von Qualifizierungsseminaren vom Jobcenter und zwei 1-Euro-Jobs. Die haben ihr sogar gefallen.
Ich denke aber, dass es ihrem Selbstwertgefühl gutgetan hätte, wenn sie ihr Geld für die Erfülllung einer Aufgabe bekommen hätten.*
Folgendes wirklich ohne jede Polemik. Denn die Frage der Eigenverantwortung auch und gerade in Arbeitslosigkeit kann ja nicht abgestritten werden. Und Sie kennen die Menschen hinter den beiden geschilderten Fällen. Doch ließe sich da nicht weiter Fragen?
Was sind die Gründe für eine Jugendarbeitslosigkeit die im letzt genannten Fall zu einer solchen (Nicht-)Karriere führten?
Sie schreiben, die 1-Euro-Jobs hätten ihrer Bekannten SOGAR gefallen. Wie kommt es, dass vor dem Hintergrund des persönl. Lebenslaufes und des von Ihnen geschiderten langjährigen eher passiven Verhaltens eben doch Interesse an Tätigsein, an Aktivität da ist?
Es sind sicher auch individuelle, selbst zu verantwortende Faktoren, die da eine Rolle spielen. Aber sind die es allein?
Will sagen, da wo die Schilderung zu Ende ist, da fangen weitere Fragen erst an. Und die müssten auch gestellt werden. Ich schreibe das mit Respekt vor ihrem Kommentar. Wie gesagt, Sie kennen die Fälle. Dennoch, die sozusagen "nicht-gestellten Fragen" drängen sich auf, wenn man auf die Entstehungshintergründe von Jugendarbeitslosigkeit blickt.
Eigene Erfahrungen mit 1-Euro-Jobs: Mir haben meine (als Erwachsener) auch gefallen. Bin denen "hinterher gelaufen" bei den Träger. Wollte etwas, was mir Sinn gibt. Bin dann zum Jobcenter: Kann ich dort anfangen? War nicht der gewöhnliche Weg.
Und: Die sog. Arbeitsgelegenheiten sind nicht als "qualifizierende" gedacht. Überprüfen die Arbeitsfähigkeit! Meine waren aber qualifizierend. Auch, weil ich mich gekümmert haben. Hat danach das Jobcenter nicht die Bohne interessiert! Was nicht sein darf, das nicht sein kann.
Wunderwelt
@rero Ja sicher es gibt Menschen die sich in H4 eingerichtet haben. Ich glaube allerdings, dass viele davon dies als Reaktion auf die Gängelung durch die Jobcenter tun. Ich bin sicher, dass jeder Mensch ein Interesse hat, etwas für die Gesellschaft zu tun (im Sinne von Geben ist seeliger denn Nehmen).
Wer sich daraus ausklinkt dürfte also schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Und natürlich: sollte es ein bedingungsloses GE geben, würden es sich ein paar Leute erstmal gemütlich machen. Die Frage ist nur wie lange. Ich glaube dass ohne Zwang genau solche Menschen, die sie in ihrem Kommentar beschreiben, früher oder später die Teilhabe an der Gesellschaft (wieder-) entdecken würden.
Denn unter H4 initiativ zu werden, ist ein Risiko...unter einem bedingungslosen GE aber eine Chance..
HAHABerlin
@Wunderwelt "Deshalb sollte es gar kein Geld ohne Gegenleistung geben."
JAJA da gibts die ABM 1 Euro Job
für die "faulen oder asozialen"
Da werden pro Person über tausend Euro pro Monat an gGmbHs gezahlt und die sind ja gemeinützig. z.b. Jobs wie Dreck im Park wegmachen oder 6 Stunden Bewerbungsträning, oder Kiezläufer. Und da gibts die Kranken die nicht arbeiten können und von der Rentenversicherung keine Erwerbsminderungsrente zugestanden werden.
Ich bin seit 30 Jahren Harzer und bin mit 10 Euro am Tag + Miete vollkommen glücklich aber auch bitter arm. Nicht jeder kommt damit klar. Und mache/r freut sich auch zu einer Arbeit zu gehen nur um mit Menschen in Kontakt zu sein. Da schliesst sich der Kreis wieder. 1 Jahr ABM und Geld sparen macht dann auch ne Urlaubskasse.
Eric Manneschmidt
@rero Naja, Sie müssen doch (an)erkennen, dass das heutige System extrem schwache Anreize zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit setzt. Das liegt einfach daran, dass zusätzliche Einkommen zum größten Teil angerechnet werden, was in der Natur eines jeden Systems mit Bedürftigkeitsprüfung liegt.
"Hartz IV" bezahlt die Leute wirklich fürs Nichtstun, das Bedingungslose Grundeinkommen bezahlt die Leute dafür, dass sie am Leben sind. Zusätzliche Einkünfte kommen (nach Steuer, wobei zu diskutieren wäre, ob die heutige hohe Steuer- und Abgabenlast auf Arbeit so sinnvoll ist) oben drauf.
Sie projizieren, was ja viele machen, die Probleme, die mit dem heutigen System bestehen auf das BGE. Heute werden Leute mit Geld ruhiggestellt, denn wenn sie aktiv werden gefährden sie ihre Existenz (auch wer dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, weil sie/er unbezahlte Sorgearbeit macht oder sich zu viel ehrenamtlich engagiert).
Auf die Tatsache, dass Erwerbsarbeit nicht zwangsläufig bedeutet, dass man was für die Gesellschaft leistet - und andererseits auf die hohe Relevanz unbezahlter Arbeit für die Gesellschaft hatte ich weiter oben bereits hingewiesen.
rero
@Eric Manneschmidt Ich projeziere da gar nichts.
Ich höre mir bei den Familienzusammenkünften die Sprüche an, dass sich jemand auf das bedingungslose Grundeinkommen freut, weil er dann endlich mehr Geld zur Verfügung hat.
Da spricht jemand, der in seinem eben nicht mehr ändern möchte, sich nur mehr Geld wünscht.
Und Jobs, wie Putzen oder Klempner, würden beide auch für mehr Geld nicht machen. Das sagen sie in aller Deutlichkeit.
Ja, es gibt schwache Anreize zur Aufnahme einer gering bezahlten Erwerbsarbeit.
Deshalb sollte es gar kein Geld ohne Gegenleistung geben.
Sowas nennt man nämlich Almosen.
Eric Manneschmidt
@rero "Deshalb sollte es gar kein Geld ohne Gegenleistung geben.
Sowas nennt man nämlich Almosen."
...oder ein Menschenrecht. Darf es denn nicht-monetäre Leistungen ohne Gegenleistung geben? Bildung, Gesundheit, Infrastruktur etc.?
Was passiert mit denen, die keine Gegenleistung bringen können (und wer entscheidet, dass die wirklich nicht können und nicht nur simulieren)?
Und was passiert mit jenen, die wirklich nicht wollen?
www.sueddeutsche.d...r-wohnung-1.666139
Und wie hängt das alle mit unserem Grundgesetz zusammen, insbesondere Art. 2 Recht auf Leben, Art. 12 Freiheit der Berufswahl, Verbot der Zwangsarbeit ??
Pepi
@Eric Manneschmidt Richtig, HartzIV gehört abgeschafft.
Danach können wir ja diskutieren wie es weitergeht und wie man den Armen helfen könnte.
Moon
1/2
Betrifft dpa-Meldung: Warnung „vor den Folgen des Ukrainekrieges auch für Wirtschaft und Arbeitsmarkt.“ Heil: „äußere Stärke und Sicherheit sowie innerer und sozialer Frieden [sind] zwei Seiten derselben Medaille“.
Es lohnt sich, diese Äußerungen mit Blick auf die bisherige „individualistische“ Deutung der Arbeitslosigkeit und ihrer Ursachen und dem Verhalten von Arbeitslosen weiter zu verfolgen. Dazu Links:
Die Welt www.welt.de/newsti...Jahre-spueren.html
Süddeutsche Zeitung www.sueddeutsche.d...1-220411-99-875416
Handelsblatt www.handelsblatt.c...eren/28242442.html
Moon
2/2
Klimawandel, Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, die als externe Ereignisse auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt wirken, lassen in ihren Auswirkungen auch der möglichen Massenarbeitslosigkeit eine allein individualistische Deutung von Arbeitslosigkeit nicht mehr zu. Zu offenkundig treten andere Ursachen hervor. Die Sorge um den sozialen Frieden kann nicht mehr so „bewältigt“ werden, dass die negativen Folgen der Geschehnisse auf die Gruppe der Arbeitslosen abgewälzt wird. Schon die Corona-Pandemie hat weiteren Teilen der Bevölkerung klarer werden lassen, dass Arbeitslosigkeit nicht ihr Versagen ist. Propagandistisch geförderte Vorbehalte gegen Arbeitslose bröckeln auch ab. Zugleich wird es mehr Menschen klar, was Hartz IV auch für sie bedeuten könnte. Joachim Gauck mag noch formulieren können, dass einmal frieren für die Freiheit möglich sei. Etwas anderes ist es für die Menschen schon, wenn sie „für die Freiheit arbeitslos sein müssten“. Ich wende mich nicht gegen die Sanktionen gegen Russland. Es ist aber bedeutsam für die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens in D., um welchen sich die Regierung erkennbar sorgt, wenn Menschen gesagt wird: „Ihr müsst jetzt eine Weile arbeitslos für die Freiheit sein“. Könnte man dann solchen Arbeitslosen noch mit Sanktionen drohen? Wohl kaum. Aber was dann tun, was dann sagen, wie erklären?
schönBehindert
@Moon Sicherlich ist ein Krieg ein Schicksalsschlag. Es dürften jedoch auch andere Personen aufgrund eines nicht selbst verschuldeten Umstands in der Grundsicherung gelandet sein. Arbeitslosigkeit ist allerdings mit dem Paradigmenwechsel unter rot/rün mittlerweile ein selbst verschuldetes Schicksal und der Staat übenimmt nicht die Verantwortung über seine arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen (Kritik an der Loslösung der Leistungen vom Arbeitsmarkt und an der verschieung auf die leistungsberechtigten in Berlit/Conaradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage, 2019, S 574). Wiewohl gerade unter rot/rün der arbeitsmarkt erheblich flexibilisiert wurde, so dass prekären und Kurzeitjobs gerade nicht entronnen werden kann.
Moon
@schönBehindert Ich gehe mit Ihnen überein.
Wenn mein Kommentar da ganz entgegen meiner Absicht einen anderen Eindruck erweckt, wäre schlimm. Denn die "individualisierende" Deutung der Arbeitslosigkeit als sachlich falsche, durch die Ereignisse die ich nenne, wird jetzt durch diese offenkundig. Es gibt selbstverständlich viele andere Schicksalsschläge, die leider zu Arbeitslosigkeit führen. Auch Krankheit u. v. a. m. Genauso die von den Betroffenen gar nicht beeinflussbare gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder einzelne Unternehmenszusammenbrüche.
Mir kommt es darauf an zu zeigen, dass nun das sozusagen ideologisch gesetzte Paradigma "individuelles Verschulden" nicht mehr haltbar wird. Entsprechend rechtfertige ich das nicht. Es ist falsch.
Ich denke, es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass nun dieses "ideologische Paradigma", welches bereits vor Corona, dem Krieg zurecht ins Wanken kam, nun beschleunigt und richtiger Weise delegitimiert wird.
Und vielen Dank für den Literaturhinweis!
Moon
Stell dir vor, es ist Jobcenter und keiner geht hin…
*„Für eine sehr geringe Minderheit brauchen wir auch weiterhin eine Handhabe, wenn sie zum Beispiel Beratungsgespräche ohne Grund versäumen“, erklärte Scheele.*
Die „geringe Minderheit“ der Kundinnen und Kunden, die faktisch keine sind, dürfte nicht allein die Aufrechterhaltung der Sanktionen bei Meldeversäumnissen auch im Sanktionsmoratorium sein. Die Bundesagentur für Arbeit, ihre örtlichen Vertretungen und die Jobcenter brauchen die Möglichkeit der Sanktionsandrohung, um einen wichtigen Teil ihres Regelbetriebes aufrecht erhalten zu können. Im Moratorium haben sie zwar keinen Einfluss mehr auf den einzelnen Kunden, um ihn z. B. zu einer Aufnahme eines Jobangebotes zwingen oder letztlich in seiner Entscheidung beeinflussen zu können. Doch ohne die Sanktionsandrohung besteht zumindest die Gefahr, dass die Jobcenter „Häuser ohne oder aus sich der BA mit zu wenig Kunden“ würden. Auch wenn es gegenwärtig so ist, dass die „Kundinnen u. Kunden“ die Jobcenter ja in Anspruch nehmen wollen, über die bloße finanzielle Sicherstellung der ihnen rechtl. zustehenden Grundsicherung hinaus. Von daher sollte das Moratorium von Seiten der Jobcenter und der BA sehr ernst genommen werden. Denn jetzt, auch bei einem „Sanktionsanreiz“, zeigt sich, ob das Angebot der Jobcenter in der Weise befürwortet wird, dass sie es auch für sich nutzen bringend annehmen können – und vor allem deshalb zu den Gesprächen erscheinen. Nicht nur um der ansonsten drohenden Sanktion aus dem Weg zu gehen. Da liegt auch eine Chance, Kundenbezogen zu arbeiten für Kundinnen und Kunden, die keine sind. Ein Supermarkt zitiert seine Kundschaft nicht per Sanktionsdrohung ins Geschäft, sondern gestaltet sein Angebot so, dass die Kundschaft deshalb dort einkauft. Wenn die im Koalitionsvertrag angedachten Neuerungen wirklich greifen sollen, sollte das „fast Sanktionsmoratorium“ darauf hin betrachtet werden.
hsch
Bin gespannt, wann diese Leute mehr über den Fakt diskutieren, dass die aktuelle Lage für HertzIV-Bezieher ein immer größer werdendes massives Problem darstellt. Überall sind teils enorme Preissteigerungen zu verzeichnen, aber die Politik reagiert träge oder gar nicht, wie eh und je. Im November gab es eine Erhöhung von sage und schreibe 3 Euro pro Monat. Und selbst diese Erhöhung hat die Preissteigerungen vorvergangener Monate und Jahre nicht aufgefangen. Das bedeutet, dass das Existenzminimum immer weiter gesunken ist. Eigentlich weiß das jeder in der Politik. Aber selbst jetzt, wo durch die weltpolitische Lage die Situation finanziell für die Betroffenen immer bedrückender wird, wird eher über Sanktionen oder über Steuernachlässe und Rabatte beim Benzinpreis geredet als über eine Aufstockung von HartzIV.
Andy Krisst
Die Hartz IV Regelsätze sind ohnehin schon auf Kante gestrickt, was soll dann dieses Rumgekürze. Das Existenzminimum muss ohne wenn und aber gesichert sein.
Dies 3€ mehr für 2022 waren sowieso eines Sozialdemokraten unwürdig, Herr Heil!
Sollen sie doch Kuchen essen!
Ricky-13
@Andy Krisst "Die Hartz IV Regelsätze sind ohnehin schon auf Kante gestrickt, ..."
Seit vielen Jahren werden die Hartz IV Regelsätze absichtlich niedrig gerechnet, wie das Fernsehmagazin 'Monitor' der ARD 2018 berichtete. Mit solchen Tricksereien wird aber nicht nur bei den ALG II Empfängern gespart (ca. 10 Milliarden Euro im Jahr), sondern auch bei den Einkommenssteuerzahlern, denn Hartz IV ist daran gekoppelt. Je höher der Hartz IV Regelsatz nämlich ist, um so höher ist der Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler. Da man aber die Hartz IV Sätze nicht anhebt, wird natürlich auch der Freibetrag nicht angehoben und so holt sich der Staat noch einmal 15 Milliarden Euro vom Steuerzahler. Etwa 25 Milliarden Euro spart der Staat so im Jahr an seine Bürger.
***MONITOR vom 17.05.2018 - Hartz IV: Wie die Bundesregierung die Regelsätze niedrig rechnet*** www1.wdr.de/dasers...artz-vier-114.html
Prof. Dr. Sell (Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften) sagt in dem Monitor Beitrag: "Das scheint der zentrale Grund zu sein, warum die Politik eine Anhebung der Hartz IV Sätze scheut wie der Teufel das Weihwasser".
Herbert Eisenbeiß
@Andy Krisst Nicht auf, sondern unter Kante - und das seit Anfang an mit Absicht!
Die Empfehlung der damaligen Hartz-Kommission lag bei 511 Euro!
Herbert Eisenbeiß
HartzIV ist einfach ein Herrschaftsinstrument. Das war doch klar, dass die Politik dies nicht wirklich verändern oder gar abschaffen wird!
Renate Wolff
Ich kann nicht nachvollziehen, warum jemand nicht mal einen telefonischen Termin wahrnehmen kann. Hartz ist nun mal kein BGE und bestimmte Mitwirkungspflichten sind Voraussetzung.
Moon
@Renate Wolff Ihre Anmerkung hört man in der einen oder anderen Form oft. Sie wird ja auch nicht ohne Grund genannt. Man kommt der Nachvollziehbarkeit näher, wenn man die Frage einmal von der anderen Seite her stellt. Warum schaden sich Erwerbslose eigentlich mit einer empfindlichen finanziellen Sanktion u. anderen Folgen selbst? Wo sie die Sache "Terminversäumnis" doch leicht vermeiden könnten. Ist das dann ausnahmslos Nachlässigkeit, die soweit geht, dass sogar die empfindlichen Folgen für den Geldbeutel noch ignoriert werden? Und Erwerbslose sind weder mehr noch weniger rational in ihrem Handeln als alle anderen Leute auch. Wenn man da beim drüber Nachdenken ansetzt, merkt man, dass auch andere Gründe bei einem Terminversäumnis dahinter stecken. Erwerbslosikeit ist schon auch eine Sache, die psychisch sehr belastend wirken kann, weil das eine existentielle Situation ist. Hinsichtlich der materiellen Situation, der Frage der eigenen (beruflichen) Identität u. v. a. m. Da entstehen für andere vordergründig rational nicht nachvollziehbare Ängste, die Erwerbslose so handeln lassen. Oft, da weisen Studien drauf hin.
Und: Auch AN handeln "irrational", wenn sie sich und anderen mit Mobbing oder übertriebenem Konkurrenzverhalten schaden. Wo ein vernünftiges Miteinander am Arbeitsplatz doch der rationale Weg wäre, seine Energie für die Tätigkeit einzusetzen. Dennoch hat dieses Verhalten Ursachen. Nur liegen sie ebenso nicht immer gleich auf der Hand.
Ruediger
@Renate Wolff Das ist die eine Frage, die andere ist, ob und warum man in einer Zeit, in der an allen Ecken Leute gesucht werden, überhaupt noch jemand, der eigentlich arbeiten möchte, dauerhaft arbeitslos ist.
49732 (Profil gelöscht)
Gast
Also ich verstehe nicht, warum die Leute nicht zu den Terminen erscheinen?
Bei wichtigen Gründen kann man ja absagen.
Als normaler Arbeitnehmer halte ich auch Termine ein. Ist nicht so schwierig und empfinde ich jetzt nicht als "Gängelung" meines Arbeitgebers.
Deep South
@49732 (Profil gelöscht) Ich finde auch, dass sich da die Aufregung an der falschen Stelle entzündet.
Sanktionen, für die Nichtannahme irgendwelcher Jobs oder Maßnahmen find ich auch falsch. Aber nen Termin kann man schon wahrnehmen bzw. absagen. Find ich auch nicht zu viel erwartet.
amigo
Lang lebe der deutsche Repressionsapparat!
Phineas
Hartz 4 und Sanktionen als Fegefeuer des Neoliberalismus, das die Angst der Mittelschicht vor dem Absturz schürt und gefügig macht. Dementsprechend kann die Arge nur Fegefeuer.
Rudolf Fissner
@Phineas Gott sei dank hat der allergrößte Teil der Welt so etwas abscheuliche teuflisches nicht. Nur Deutschland zwägt den menschen diese Zwangsgelder auf.
Bolzkopf
Da ist er ja wieder: Der erzkonservative Gedanke "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen".
Welche Denke steckt dahinter ?
Die, dass nur von der Gesellschaft profitieren darf wer auch was für die Gesellschaft leistet?
Wohl kaum. Denn wie könnte man damit erklären dass sich die oberen Schichten der Gesellschaft vollsaugen wie Schwämme die Löhne dagegen seit Jahrzehnten hinter der Preisentwicklung zurückbleiben ?
Oder jene Oberschicht, die überhaupt nichts mehr für die Gesellschaft leistet, sondern nur noch "leisten lässt". "Leisten lässt" von ihrem Kapital.
Also darum geht es ganz offenbar nicht.
Es geht natürlich darum, die Menschen in profitabele Beschäftigungsverhältnisse zu drücken. Profitabel allerdings nur für einen: Den Arbeitgeber.
Letztlich ist es doch nur die Fortführung der frühkapitalistischen Methode die Menschen als Arbeiter in die Fabriken hinein zu prügeln.
Rudolf Fissner
@Bolzkopf Erzkonservativ?
Der Spruch fand 1936 seinen Einzug in die Verfassung der UDSSR: „Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen Staatsbürgers nach dem Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ ( web.archive.org/we.../udssr36-index.htm ). Auch die DDöR hatte dafür ihren "Asozialen"paragraphen ( www.mdr.de/geschic...sadoption-100.html )
Das ganze ist offensichtlich "fortschrittlicher" sozialistischer Krimskrams. :-)
Moon
@Rudolf Fissner 1/2
Erst mal danke für die aufschlussreichen Links hier auch im Zusammenhang des Artikels. Da kann ich eine Anmerkung bezüglich: *Der erzkonservative Gedanke "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen". - Welche Denke steckt dahinter?* nicht zurückhalten.
Ist schon interessant, welche universelle Gültigkeit beanspruchende "progressive" Deutung der Satz für unterschiedliche Gesellschaftssysteme bekommen hat. Hat ihn der Apostel Paulus, der den Satz einst in einem seiner Briefe an die urchristlichen Gemeinden so wörtlich und allgemeinverbindlich verstanden? NÖ, hat er nicht. Der bezog ihn nämlich zuerst auf die Situation und das Verhalten der wandernden christlichen Prediger, welche von Gemeinde zu Gemeinde zogen. Und die wurden während ihrer Aufenthalte von den Gemeinden versorgt. Da war eine Gegenleistung angebracht. Da gab es eine gewisses antikes WG-Problem, nach dem auch heute bekannten WG-Motto: Nach dem Essen kommt der Abwasch. Wer macht den? Nun… (Paulus selbst war übrigens im bürgerlichen Beruf Zeltmacher.) Da musste der Apostel seinen Brüdern und Schwestern nicht lange was erklären und hat auf langes Erläutern einer solchen verzichtet. Pech nur, dass nachfolgenden Theologen daraus dann unter Auslassung jeglichen Kontextes die oben genannte „universelle Gültigkeit“ für eine sich zunehmend im Autoritären verlierende christl. Kirche zu stricken verstanden. Na und dann fand der Satz reißenden Absatz bei anderen „Interessengruppen“. Z. B. im Kapitalismus. Mal waren es die ökumenisch vereinten Herz-Jesu-Marxisten der Unionsparteien, die ihn für sich zu nutzen verstanden. Mal waren es die Sozialisten bis hin zur SPD, die ihm insbesondere mit Blick auf die Agenda 2010 so wunderbar geeignet fanden, dem (Arbeiter-) Volk Mores zu lehren. Und viel Volk stimmte schnaubend zu – besonders die, die gar nicht mehr oder kaum noch eine Kirche von innen sahen.
Rudolf Fissner
@Moon Was soll diese oberflächliche völlig wissenschaftliche Betrachtung historischer Texte. Sie versuchen sich in Köpfe von vor zwei tausend Jahren hinein zu versetzen, springen zum Thema Wohngemeinschaften und Zeltlager, reden über Herz-Jesu Marxisten (Stalin, die UDSSR war das 1936 sicher nicht!] um dann bei der Agenda 2010 zu enden.
So geht das nicht!
Dass die eine halbe Welt, der angeblich fortschrittliche Teil der Welt, das Denken über "Asoziale" bis in hochrangige Paragrafen von Verfassungen fest schrieben, zeigt, dass dies kein "konservatives", schon gar kein "christliches" Ding ist. Ein ähnliches noch übleres Ding gab es bei den Nazis, wo die "Asozialen" bis 1939 den größten Anteil in den KZs ausmachten.
Wo Sie dies nicht finden ist in den konservativen oder Herz-Jesu -marxistischen liberalen Verfassungen.
Der Spruch ist vor allem im Portfolio des Links- und Rechtspopulismus bzw. -Extremismus.
Moon
@Rudolf Fissner Antort als Kommentar oben. Ausversehen dort eingestellt.
Moon
@Rudolf Fissner 2/2
Es half leider auch nicht viel, dass dann mal der kath. Theologe und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach bezüglich des Satzes mal was klar stellte und veröffentlichte. Sogar als Papst Franziskus den Satz sagte „Diese Wirtschaft tötet“, waren alle nur ganz erschrocken. Uuuuuhuuuhuuu. Da hat es gerauscht im Blätterwald. Sahen konservativste Ökonomen bis dahin noch in der kath. Kirche eine vielleicht nützliche Verbündete, weil die auch so wunderbar konservativ war, schien diese „Bündnis“ plötzlich zu bröckeln. Man hatte versäumt, in die Enzykliken der Vorgänger des Franziskus zu schauen. Man wäre weniger unangenehmer überrascht gewesen.
Und da schau an. Der Marxismus, der sich auf Marx beruft obwohl der von sich gesagt hatte, er sei jedenfalls keiner…Als sozialistische Bewegung wollte man den eben genannten ja nicht nach stehen. Schwupp enthob man den praktisch gemeinten Satz für fromme Gemeinden seines religiösen Kontextes und hob ihn materialistisch gereinigt auf eine „höhere“ Stufe der gesell. Entwicklung. Dort blieb er zu unser aller Unglück „aufgehoben“. Dabei hätte man mal vorher andere Missverständnisse klären müssen. Hatte der olle Marx doch erst mal festgestellt, Religion sei für das Volk WIE Opium, weil ihn die Not trieb, die so zu gebrauchen. Aber nö, gleich machte man daraus, Religion SEI das Opium selbst. Was man dann so alles in Verfassungen reinschreiben kann…
Nichts für ungut, Herr Fissner. Wollte das an dieser Stelle nur mal loswerden, das mit dem Satz vom alten Paulus. Geht nicht gegen Sie.
Rudolf Fissner
@Moon Opium? Was wollen Sie sagen?
Moon
@Rudolf Fissner Liegt an meiner verpatzten Formulierung. Religion ist ihrem Gehalt nach kein Betäubungs- oder Rauschmittel. Sie kann als solches dienen. Verelendeden Massen kann man sie als solche auch absichtsvoll anbieten. Auch von Seiten der z. B. der religiösen Führer selbst. Sie verliert dann ihren eigentlichen Wesensgehalt. Der Vergleich hinkt natürlich aber Lesen wird manchmal auch zur Flucht (Kinder, Jugendliche), wenn Realitäten schwer aushaltbar sind. Lesen als solches bleibt aber trotzdem auch immer etwas, dass den Horizont erweitert. Auch noch wenn es wie eben zuerst einenm anderen Zweck dienen soll.
Pepi
@Bolzkopf Wieviel Fabriken gibt es z.B. in Berlin? Gucken Sie mal bei dem Gemüsehändler um die Ecke oder auf den Wochendmärkten. Sie werden dort massenhaft 450 Euro- Kräfte finden, die von den Standinhabern in frühkapitalistischer Methode in das Arbeitsverhältnis hineingeprügelt wurden. Eventuell sollten Sie sich mal auf die Suche nach den Fabriken machen. Als Anschauungsmaterial empfehle ich den Film Metropolis aus den letzten Jahrhundert, ansonsten mal in den Ruhrpott fahren und sich auf die Suche begeben.
Rudolf Fissner
@Pepi Bei frühkapitalistischen Arbeitsmethoden (16 Stunden Tag) arbeiten die Menschen gerade mal 3 Tage im Monat und kündigen dann.
Ich glaube Sie erzählen lediglich Schauergeschichten aus Schwarz-Weiß Filmen.
Descartes
@Bolzkopf Dahinter steckt ganz einfach folgende Denke: Es manchen Leuten schwieriger zu machen, Alg-II zu beziehen, tatsächlich aber Vollzeit schwarz zu arbeiten, oder längere Zeit im Ausland zu verbringen um dort zu arbeiten. Diese können nämlich Arbeitsmaßnahmen und Termine auf dem Amt schwer wahrnehmen, im Gegensatz zu den rechtmäßigen Leistungsbeziehern die das mitmachen auch wenn sie keinen Sinn darin sehen. Also, ja, die Schikane ist Absicht.
Das Problem ist doch immer: Wenn man den Bezug von Sozialleistungen zu einfach macht, dann nimmt der Betrug überhand, mit der Folge dass auch den wirklich Bedürftigen nichts mehr gegönnt wird.
Ruediger
@Bolzkopf Die Kosten für ALG2 zahlt letztlich nicht "der Staat", sondern jeder der arbeitet und dafür Steuern zahlt, auch er selbst wenig verdient. Die Gerechtigkeitslücke entsteht nicht zwischen irgendwelchen Superreichen und ALG2-Empfängen, sondern zwischen den normalen Arbeitnehmern und denen, die nicht arbeiten (wollen), aber dafür von den anderen finanziert werden. Und der Arbeitskräftemangel ist nicht nur ein Problem für Konzerne und Aktionäre. Wenn an allen Ecken und Enden Arbeitskräfte fehlen, in Kitas, in Krankenhäusern, auf dem Bau, in der IT, in der Gastro etc., dann betrifft uns das alle.