Stark steigende Preise: Solidarität? Ja, aber für alle!
Die Regierung erwartet von der Bevölkerung, Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Aber auch bei der Verteilung der Lasten braucht es Solidarität.
D iese Woche ging es für Olaf Scholz bergab – nach dem Besuch bei den netten Skandinavier:innen kamen der Holocaust-Vergleich von Mahmud Abbas und die Befragung im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss. Für die Mehrheit der Menschen lief es umgekehrt. Zum Wochenbeginn mussten die Verbraucher:innen die Nachricht verdauen, dass sie künftig 2,4 Cent mehr für die Kilowattstunde zahlen müssen, um die Verluste der Gasversorger aufzufangen.
Das kann für einen Vier-Personen-Haushalt Mehrkosten von bis zu 500 Euro pro Jahr bedeuten – zusätzlich zu fetten Preissteigerungen. Am Donnerstag aber verkündete Scholz, dass die Mehrwertsteuer auf Erdgas ab Oktober auf 7 Prozent gesenkt wird, was zumindest die Mehrbelastungen durch die Gasumlage locker ausgleicht. Und weitere Entlastungen sind in Sicht, die Arbeit am dritten Paket sei fast beendet, teilte Bundesfinanzminister Christian Lindner mit. Die Aussichten also heiter? Nicht ganz.
Denn was die Regierung da vorlegt, wirkt wie Stückwerk, nicht wie ein schlüssiges Gesamtkonzept. Die fehlende Regierungserzählung bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn all die Zuschüsse und Entlastungen müssen die Menschen ja am Ende mit bezahlen, nämlich über ihre Steuern. Und da stellt sich immer drängender die Frage der solidarischen Finanzierung der Krise, sprich nach den Einnahmequellen des Staats.
Es wäre ein gutes Signal, wenn die Regierung nun auch diejenigen in den Blick nimmt, die in und von der Krise profitiert haben oder die so ein dickes Polster haben, dass ihnen die Krise egal sein kann. Die Instrumente sind bekannt und in der Diskussion. Eine Übergewinnsteuer, die die unverhofften Profite etwa der Ölkonzerne abschöpft, deren Margen infolge des Ukrainekriegs wundersam gestiegen sind.
Bereit für Abstriche
Eine Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit zeigt, dass der Staat mit einer solchen befristeten Abgabe bis zu 100 Milliarden Euro kassieren könnte. Oder eine Vermögensabgabe, die die reichsten 0,5 Prozent der Gesellschaft in die Mitverantwortung nimmt. Die Parlamentarische Linke der SPD-Fraktion hatte Anfang August erneut einen Vorschlag in den Debattenraum geworfen, der Mehreinnahmen von 300 Milliarden Euro verspricht.
Grüne und SPD sind für solche Vorschläge offen. Beide Parteien haben im Bundestagswahlkampf noch dafür geworben. Doch Lindner und seine FDP wollen weder Steuern erhöhen noch in nennenswerter Höhe zusätzliche Schulden aufnehmen. Lindner verweist auf den Koalitionsvertrag und ist sich der Rückendeckung des Kanzlers gewiss. Zusätzlich hat er vor der Sommerpause einen Haushalt vorgelegt, der 50 Milliarden Euro an Einsparungen vorsieht, unter anderem bei Sprachkitas und Langzeitarbeitslosen.
Dagegen regt sich Widerstand. Zu Recht. Doch soziale Proteste können schnell gefährlich abdriften. Die Stimmen von rechts aber auch von links, die Scholz und Co. für Energiekrise und Inflation infolge des Ukrainekriegs verantwortlich machen, statt den Aggressor Russland, werden lauter. Man müsse sich mit Putin aussöhnen und die schädlichen Sanktionen beenden, so die Forderung bei Montagsdemos in Erfurt.
Dass die Sanktionen gegen Russland die Überlebensversicherung der Ukraine sind, spielt dabei keine Rolle. Noch trägt die Mehrheit der Deutschen – laut infratest waren es im Juli knapp 60 Prozent – die Sanktionen mit. Im Osten Deutschlands ist die Stimmung aber bereits gekippt, hier sagen nur noch 40 Prozent der Menschen, dass sie Sanktionen trotz möglicher Nachteile unterstützen.
Die Bundesregierung fordert zu Recht von der Bevölkerung, sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen, wo russische Truppen Wohnhäuser bombardieren, Zivilisten morden und Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Die meisten Deutschen sind bereit zu Abstrichen. Sie erwarten aber, dass Solidarität für alle gilt, auch bei der Verteilung der Lasten. Der Koalitionsfrieden darf SPD und Grünen nicht wichtiger sein als der soziale Frieden im Land. Sie müssen sich bei der Haushaltsaufstellung gegenüber ihrem Partner FDP durchsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin