Stadt im Widerstand: Welches Zeichen Mariupol setzt

Scholz mag keine Symbole, sagt er bei RTL. Doch der Krieg ist auch ein Krieg der Bilder – Mariupol zeigt es auf dramatische Weise.

Ein Vogel sitzt auf einem Kreuz, das auf einem Gräberfeld steht

Ein neues Gräberfeld an einem Friedhof in der Nähe von Mariupol Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Symbolpolitik ist offensichtlich Olaf Scholz’ Sache nicht. Wie sonst wäre die Äußerung des Bundeskanzlers bei einer Fragestunde bei RTL zu werten, wegen ein paar läppischer Fotos lohne sich ein Kurzbesuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nun wirklich nicht. Von wegen! Gerade zu Kriegszeiten können Menschen, Orte und bestimmte Ereignisse, mit der Kamera festgehalten, zu Symbolen werden, die eine ungeheure Kraft entfalten – siehe das Beispiel Mariupol.

Die Hafenstadt am Asowschen Meer, die russische Truppen seit Wochen belagern, ist zum Sinnbild für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geworden, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Zwar steht Mariupol mit der Evakuierung eines Teils der letzten noch verbliebenen ukrainischen Truppen aus dem Werk Asowstahl kurz vor dem Fall.

Dennoch haben diese Soldaten, viele davon schwer verletzt, bis zum bitteren Ende unter unmenschlichen Bedingungen ausgeharrt – wohl wissend, dass sie auf verlorenem Posten kämpfen. Dieser Durchhaltewille und diese Moral sind es, die militärische Unterlegenheit in ungeahnte Stärke verwandelt, die ganze Welt in Erstaunen versetzt und auch „normale“ Ukrai­ne­r*in­nen über sich haben hinaus wachsen lassen.

Demgegenüber steht eine russische Armee, deren Erfolge an der Front ausbleiben, was wohl nicht nur einer miserablen Ausrüstung, sondern auch einer fortschreitenden Demoralisierung geschuldet ist. Die Zahl derer wächst, die sich nicht verheizen lassen wollen in einem sinnlosen Krieg, der so nicht genannt werden darf. Frust, Hass und Verachtung entladen sich. Auch für schwerste Kriegsverbrechen, die Soldaten im Dienste von Wladimir Putin mutmaßlich begangen haben, steht Mariupol.

Zeugen der Barbarei

Man erinnere sich nur an zigtausende Zivilist*innen, die an Ort und Stelle oder bei dem Versuch, sich durch humanitäre Korridore in Sicherheit zu bringen, hingemetzelt und dann in mobilen Krematorien verbrannt wurden. Stumme Zeugen dieser Barbarei sind auch Massengräber, deren tatsächliche Anzahl, nicht nur in Mariupol, wir jetzt nicht einmal erahnen können. Last but not least: zerstörte Wohnhäuser, Schulen, Kliniken – Spuren blinder Zerstörungswut, deren Ziel es ist, keinen Stein auf dem anderen zu lassen.

Welche Bilder werden jetzt um die Welt gehen? Die russische Fahne gehisst und der „Sieg“ zelebriert. Die Feier steigt inmitten der Ruinen Mariupols – die Stadt, von der nur noch wenig übrig geblieben ist. Ukrainische Soldaten, die mit dem Kombinat Asowstahl die letzte Bastion räumen und einem unsicheren Schicksal, ja wenn nicht gar ihrem Tod entgegengehen. Denn dass diese „Faschisten“ wirklich gegen russische Kriegsgefangene ausgetauscht werden, daran glaubt kein Mensch. Und Ukrainer*innen, die entschlossen sind, ihr Land weiter zu verteidigen. Bilder über Bilder: Wer braucht da noch Olaf Scholz?

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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