Schwarz-rote Regierung in Berlin: Giffeys langer Schatten
Eine tief gespaltene Berliner SPD verhilft der CDU zur Macht. Die Sozialdemokraten und die Stadt werden das teuer bezahlen müssen.
D er Weg zu einer schwarz-roten Landesregierung in Berlin ist bereitet: Nach der SPD am Sonntag hat am Montagabend auch ein CDU-Parteitag für den Koalitionsvertrag gestimmt. Am Donnerstag wird Kai Wegner vom Abgeordnetenhaus zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt. Sein zehnköpfiges Regierungsteam ist bereits bekannt. Und nur zwei Frauen dürfen weiterhin im Amt bleiben: Die SPD-Innensenatorin soll einen von der CDU diktierten Law-and-Order-Koalitionsvertrag umsetzen. Und Franziska Giffey zieht vom Roten Rathaus um in die Senatsverwaltung für Wirtschaft.
Dass die einstige Regierungschefin eines Landes auch dem Kabinett ihres Nachfolgers angehört, hat es in Deutschland seit mehr als 60 Jahren nicht mehr gegeben. Doch als Wirtschaftssenatorin hat die Noch-Regierende den Posten mit der wohl geringsten politischen Strahlkraft abbekommen. Ausgerechnet Giffey, die sich in den eineinhalb Jahren Rot-Grün-Rot vor fast jede Kamera und jedes Mikrofon drängte, soll nun vor allem im Hintergrund Senatspolitik gestalten. Aber mehr war für die SPD-Landeschefin nicht mehr drin nach den Schlappen bei der Wiederholungswahl und bei der SPD-Mitgliederabstimmung über die Koalition am Sonntag.
Zweieinhalb Monate nach der Wahl haben sich die politischen Verhältnisse in der Hauptstadt damit komplett verkehrt: Statt einer fast sicheren und auch rechnerisch möglichen Fortsetzung von Rot-Grün-Rot regiert künftig Schwarz-Rot mit dem einst wegen angeblich fehlender Koalitionspartner als „einsamen Kai“ verspotteten Wegner an der Spitze. Einsam ist es inzwischen vor allem um Giffey.
Denn nach dem knappen Ausgang des SPD-Mitgliederentscheids wird die Kritik an ihr aus den eigenen Reihen immer lauter. Der einstigen Bundesfamilienministerin werden zahlreiche Fehler vorgehalten, die erst zu der Wahlniederlage geführt haben und dann zu dem überraschenden Schritt, als Juniorpartnerin von sich aus auf das Rote Rathaus zu verzichten.
Die Partei – daran sind sich in der SPD alle einig – ist erkennbar tief gespalten in der Frage, wohin die politische Reise gehen soll und mit wem. Giffeys jüngst bei „Markus Lanz“ geäußerter Satz „Jetzt steht an, dass Berlin mich braucht“, wirkt da wie Hohn. Was Berlin und die SPD brauchen, ist eine Exit-Option, wie man Giffey gesichtswahrend wieder loswerden kann. Doch das kann dauern, denn bisher ist niemand in Sicht, der als künftige Spitzenkandidat*in bereitstehen könnte. Und die nächste Wahl ist bereits 2026.
Schlechte Aussichten für Rot-Grün-Rot
Für CDU-Chef Wegner sind das gute Aussichten. Während die SPD um sich selbst kreist, kann er durchregieren und dabei auf die Unterstützung der fünf SPD-Senator*innen hoffen. Fast alle gehören zu Giffeys alter Garde: Sie müssen durchhalten, solange die Partei sie erduldet. Nicht zuletzt für die Bau- und Liegenschaftspolitik und die Umsetzung des Enteignen-Volksentscheids lässt das wenig hoffen.
Doch eine schwache, weil gespaltene SPD verringert auch die Möglichkeit für eine baldige Neuauflage des linken Bündnisses mit Grünen und Linken. Bei den Wahlen im Februar hatte diese Koalition noch eine Mehrheit von 5 Prozentpunkten. In drei Jahren könnte der bei einem weiteren Bedeutungsverlust der Linken auf Bundesebene und einer unklarer Ausrichtung der Berliner SPD zusammengeschmolzen sein. Immerhin üben die Sozialdemokraten schon mal, wie es ist, in einem Bündnis nicht mehr stärkste Kraft zu sein – die Grünen, die im Februar nur mehr 53 Stimmen hinter der SPD landeten, werden sich für das Training bedanken.
Denn vor allem diese beiden Parteien müssen ihr Verhältnis untereinander in den nächsten drei Jahren klären, damit eine Zusammenarbeit wieder infrage kommt. Wichtig ist dabei: Wo unterscheiden sich eine linke SPD und die Grünen? Doch darüber reden lässt sich erst, wenn absehbar ist, wer die perspektivisch richtigen Ansprechpartner*innen in der SPD sind.
So hallt Franziska Giffeys Intermezzo in der Berliner SPD und als Regierende Bürgermeisterin viel länger nach als gedacht. Ihr Kurs hat Berlins Sozialdemokraten in eine inhaltliche und personelle Krise geführt, gleichzeitig die CDU gestärkt und für nachhaltigen Zwist im linken Lager geführt. Nicht schlecht, möchte man spöttisch sagen, dafür, dass Giffey erst seit zweieinhalb Jahren Co-Parteichefin ist. Wären da nicht die vielen Herausforderungen, allen voran die Klimakrise einschließlich einer nötigen Verkehrswende, die auch Berlin vor massive Probleme stellen und progressive Politik nötig machen statt simpler Besitzstandswahrung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour