Berlins SPD nach dem Mitgliederentscheid: „Abgrenzbar bleiben von der CDU“

Nach der knappen Mehrheit für Schwarz-Rot fordert Juso-Chefin Sinem Taşan-Funke eine „inhaltliche und personelle Erneuerung“ der Berliner SPD.

Franziska Giffey steht in einer Menge

Steht im Fokus der Kritik innerhalb der SPD: Franziska Giffey, Parteichefin und Noch-Regierende Foto: dpa

taz: Frau Taşan-Funke, haben Sie gut geschlafen nach der Entscheidung am Sonntagabend?

Sinem Taşan-Funke: Eine Nacht Schlaf hat auf jeden Fall schon mal geholfen, um anzuerkennen, wie groß der Erfolg der Juso-Kampagne eigentlich ist.

Die Jusos hatten massiv für ein Nein geworben, am Ende haben 45,7 Prozent der abstimmenden Mitglieder dies unterstützt.

Vorherige Koalitionsverträge auf Bundesebene wurden jeweils mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Das zeigt, dass wir als Jusos die richtigen Fragen gestellt haben und unsere Kampagne in der breiten Mitgliedschaft angekommen ist. Wir haben einem sehr großen Teil dieser Partei eine Stimme gegeben.

Also überwiegt inzwischen die Freude über die 45 Prozent?

Natürlich bin ich auch enttäuscht – alles andere wäre ja auch komisch nach der wochenlangen Auseinandersetzung. Aber mir macht es viel Mut zu sehen, dass in dieser Partei genug kritischer Geist ist, um bald eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung hinzubekommen. Fast jedes zweite Mitglied hat sich gegen diese Koalition ausgesprochen: Das ist halt auch eine Ansage und zeigt, dass der jetzige Kurs zu wenig Mitglieder mitnimmt.

Ist es denn angesichts dieser sichtbaren Spaltung überhaupt möglich, in eine Koalition mit der CDU zu gehen?

Wir akzeptieren das Ergebnis so, wie es jetzt ist. Das hätten wir auch im umgekehrten Fall erwartet. Das heißt für uns aber nicht, dass wir Jusos jetzt leise sein werden und dass wir aufhören werden zu kritisieren, wenn wir Anlässe für Kritik sehen. Es ist klar: Wir brauchen als SPD schnellstmöglich neue inhaltliche Konzepte und Angebote außerhalb von Koalitionszwängen. Daran wollen wir Jusos konstruktiv mitwirken.

Was bedeutet das für die Arbeit der Koalition?

Sinem Taşan-Funke

ist Juristin und seit 2020 Co-Landesvorsitzende der Berliner Jusos. Sie wohnt in Tempelhof-Schöneberg, wo sie auch aufgewachsen ist.

Wir werden insbesondere jene Projekte genau anschauen, die von den Befürworterinnen und Befürwortern als große sozialdemokratische Errungenschaften gefeiert worden sind in diesem Koalitionsvertrag. Sie müssen jetzt schnell umgesetzt werden, damit die SPD in dieser Koalition ihr soziales, ihr linkes Profil nicht verliert.

Die Parteiführung verkauft das Ergebnis als Aufbruch in eine neue Koalition.

Das finde ich eher unverständlich. Das Ergebnis ist vor allem knapp: Das anzuerkennen, wäre auch ein Zeichen von Demut gewesen.

Steht die Parteiführung um Franziska Giffey und Raed Saleh jetzt massiv unter Druck?

Wir müssen erst mal konstatieren, dass wir zweimal hintereinander unter dieser Parteiführung das schlechteste Ergebnis für die SPD überhaupt in Berlin eingefahren haben und dass jetzt auch in dieser inhaltlichen Frage nur eine sehr knappe Mehrheit den beiden folgt. Natürlich erzeugt das Druck. Für uns steht dahinter aber eine viel wichtigere Frage: Was muss die SPD Berlin strukturell anders machen in puncto Personal? Da lohnt ein Blick auf die Bundesebene. Das Modell, Regierungsverantwortung und Partei zu trennen, um Eigenständigkeit und um Sichtbarkeit zu garantieren, ist ein Erfolg. Darüber müssen wir auf jeden Fall auch für Berlin diskutieren.

„Es wird wichtig sein, dass die CDU sich an diesen Koalitionsvertrag hält“

In vier Wochen wird es endlich auch einen Parteitag geben. Werden Sie versuchen, dort noch mal eine grundsätzliche Aussprache anzustreben?

Wir erwarten, dass auf dem Parteitag der Raum ist, das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl zu besprechen, wenn auch noch nicht in allen Details. Und wir erwarten, dass die SPD erste Pflöcke einschlägt in Richtung einer inhaltlichen und personellen Erneuerung.

Das Personaltableau der SPD für den Senat steht ja fest: Franziska Giffey wird Wirtschaftssenatorin, Iris Spranger bleibt Innensenatorin, der bisherige Staatssekretär Christian Gaebler rückt auf den Bausenatorposten vor. Cansel Kiziltepe wechselt aus dem Bundesbauministerium auf die Position der Arbeitssenatorin. Sind da irgendwelche Überraschungen für Sie dabei?

Nein, das sieht so aus, wie ich es im Vorfeld erwartet habe: recht einseitig. Kritiker der Groko werden jedenfalls nicht eingebunden.

Wie soll denn die Zusammenarbeit mit der CDU, insofern jetzt am Donnerstag die Regierung steht, aussehen?

Es wird wichtig sein, dass die CDU sich an diesen Koalitionsvertrag hält. Das ist ja die große Befürchtung vieler SPD-Mitglieder, dass die Christdemokraten uns da jetzt viel aufschreiben, nur um dieses Mitgliedervotum zu überstehen, aber am Ende für uns wichtige Punkte blockieren. Das darf auf keinen Fall sein! Einige Punkte müssen jetzt auch schnell umgesetzt werden.

Welche denn?

Zum Beispiel die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Das wäre ein Signal an die jungen Menschen dieser Stadt.

Die von linker SPD-Seite oft kritisierten Vereinbarungen in der Innenpolitik muss mit Iris Spranger auch eine SPD-Senatorin umsetzen. Wie soll das denn gehen?

Wir hoffen, dass Iris Spranger den Vertrag so umsetzen kann, dass das Sozialdemokratische in der Innenpolitik erkennbar bleibt. Aber wir Jusos werden deswegen nicht aufhören zu kritisieren, dass wir das Vereinbarte teilweise für den falschen Weg halten.

Opposition in der Regierung?

Wir müssen unsere Positionierung in der SPD so schärfen, dass wir abgrenzbar bleiben von der CDU und ihrer konservativen Politik.

Ist das nicht ein Widerspruch: Die CDU soll sich an den Koalitionsvertrag halten, die SPD grenzt sich davon ab?

Wir müssen zeigen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was diese Regierung macht, und dem, was für die SPD außerhalb von Koalitionszwängen wichtig ist. Ich sehe da keinen Widerspruch, wenn es darum geht, dass wir innerparteilich unser Profil schärfen und nach außen zeigen, was wir ohne CDU anders machen würden. Den Berlinerinnen und Berlinern muss klar werden, warum sie die SPD 2026 wieder als führende linke Kraft wählen sollen.

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