Sahra Wagenknecht: „Die Partei ist ja kein Selbstzweck“

Warum hat das BSW bisher nur so wenig Mitglieder? Sahra Wagenknecht will ihre Partei kontrolliert aufbauen – und „nicht sowas wie bei der AfD erleben“.

Portrait von Sahra Wagenknecht

Will ihre Partei langsam wachsen lassen: Sahra Wagenknecht Foto: Doro Zinn

taz: Frau Wagenknecht, Sie sind mit einem kleinen Team bereits recht erfolgreich und überrunden in Umfragen schon manche etablierte Partei. Kann man daraus schließen, dass herkömmliche Parteien mit ihren großen Apparaten nicht mehr zeitgemäß sind?

Sahra Wagenknecht: Na ja, Deutschland ist nun mal eine Parteiendemokratie. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Elemente direkter Demokratie hätten, sodass die Bürgerinnen und Bürger über bestimmte Fragen öfter direkt abstimmen könnten. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist unser System dringend reformbedürftig. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir anstreben, Parteien mit großer Mitgliedschaft zu überwinden.

Andere Parteien vereinen verschiedene Strömungen. Das BSW ist dagegen sehr homogen, Sie geben die programmatische Linie vor. Ist das von Vorteil?

Ich habe diese Partei mit anderen gemeinsam sehr bewusst mit einem bestimmten politischen Profil gegründet. Wir haben da eine große Repräsentationslücke gesehen, und unser bisheriges Ergebnis und die Umfragen sprechen dafür, dass diese Einschätzung richtig war. Wir sprechen Fragen an, die vielen unter den Nägeln brennen. Aber bei einer so jungen Partei müssen wir natürlich aufpassen, dass im Zuge des Wachstums nicht plötzlich völlig andere Inhalte mehrheitsfähig werden und dass es dadurch eine ganz andere Partei wird.

Jahrgang 1969, sitzt seit 2009 im Bundestag. Vergangenes Jahr trat sie aus der Linkspartei aus und gründete das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Sie wählen Ihre Mitglieder sorgfältig aus und haben so eine kleine, aber schlagkräftige Truppe um sich geschart. Ist das ein Erfolgsmodell?

Wenn man neu startet, muss man aufpassen, dass einem nicht das passiert, was die AfD erlebt hat: dass dann Leute reinströmen und die Mehrheit schließlich eine ganz andere Politik unterstützt. Viele der AfD-Gründer haben ja irgendwann gesagt, „um Gottes Willen, das war nicht unser Plan, das wollten wir nicht“, und sind dann ausgetreten. So was möchte ich nicht erleben.

Viele Unterstützer möchten gerne Mitglied werden, aber werden nicht aufgenommen, sondern vertröstet. Das sorgt schon für Unmut.

Gerade junge Parteien haben ja oft das Problem, dass sie auch Menschen anziehen, die nur ein Mandat oder ein Podium wollen und nicht konstruktiv sind. Wir haben uns deshalb entschieden, langsam zu wachsen – wobei ich sagen muss: Unsere Unterstützer, die ich bisher erlebt habe, das sind wirklich großartige Leute. Nach und nach werden ganz sicher die meisten von ihnen auch Mitglieder. Aber wir müssen sie vorher kennenlernen, sonst können wir sie ja nicht wirklich einschätzen.

Die innerparteiliche Demokratie ist dafür in der AfD ausgeprägter als beim BSW. Wo finden bei Ihnen die Diskussionen über Programm und Personal statt?

Sie haben das ja in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erlebt, wie das geht: Wir haben gemeinsam ein Programm geschrieben, da haben sich alle ihren Kompetenzen entsprechend eingebracht. Dann gab es beim Parteitag wenige Änderungsanträge, von denen einige angenommen wurden und andere nicht. Das ist ja das, was eine innerparteiliche Demokratie ausmacht.

Das BSW hat in Brandenburg bisher nur 30 Mitglieder, das Programm wurde beim Parteitag sehr flott abgenickt. Viel diskutiert wurde da nicht – genauso wenig wie auf dem Parteitag in Sachsen oder dem Bundesparteitag in Berlin. Anderswo wird mehr über den Kurs diskutiert.

Viele Parteien beschäftigen sich hauptsächlich mit sich selbst. Ich glaube nicht, dass es das ist, was sich die Wählerinnen und Wähler wünschen. Eine Partei ist ja kein Selbstzweck, sondern soll vor allem ein klares Programm haben, das dann zur Wahl steht. Wir stehen für das Programm, das mit meinem Namen verbunden ist, und das wir im Detail natürlich jetzt noch weiter ausarbeiten. Außerdem haben wir mit dem Aufbau unserer Parteistrukturen und mit den Wahlkämpfen schon reichlich zu tun. Innerparteiliche Richtungskämpfe zu führen – dafür haben wir nicht auch noch Zeit und Kraft.

Auch wenn Sie mit wenig Personal bereits einiges erreicht haben – die Personaldecke ist dünn. Könnte das zum Problem werden, wenn Sie mehr Wahlen bestehen?

Zunächst einmal bin ich wirklich sehr positiv überrascht und beeindruckt, was wir in der kurzen Zeit, die es uns gibt, schon für Landeslisten aufgestellt haben und welche Persönlichkeiten sich bei uns engagieren. Perspektivisch müssen wir natürlich viel mehr Menschen, die bei uns mitmachen wollen, eine Chance geben. In unseren Unterstützerkreisen gibt es sehr viel Kompetenz – das ist ein Schatz, den wir noch gar nicht heben konnten. Da gibt es vor Ort verankerte Persönlichkeiten, die sehr wichtig für uns sind, und junge Talente, die wir entdecken und aufbauen wollen. An all dem werden wir arbeiten. Aber das ist eben ein längerer Prozess.

Das Personal Ihrer neuen Partei stammt vorwiegend aus den Reihen der Linkspartei. Bilden die Ex-Genossen das Rückgrat des BSW?

Nein. Wenn man sich unsere Landeslisten anguckt, dann kommt nur knapp die Hälfte der Kandidaten aus der Linkspartei. Viele waren vorher in gar keiner Partei. Ich finde, es spricht für uns, dass wir diese Breite haben. Wir haben erfahrene Leute aus der Linken, und ich freue mich, dass sich immer mehr bei uns melden, die dort für die Richtung standen, die mit meinem Namen verbunden ist, und nun bei uns mitmachen wollen. Aber wir haben eben auch Zugänge aus der SPD, aus der FDP, wir haben ehemalige CDU-Mitglieder und eben Menschen, die sich noch nie in einer Partei engagiert haben. Also, es ist ein sehr breites politisches Spektrum, das wir mit unserem Programm und unserer Ausrichtung ansprechen.

Wirklich? Ist das BSW nicht im Kern eine linke oder sozialdemokratische Partei?

Die Frage ist: Was ist heutzutage sozialdemokratisch? Ist die SPD noch sozialdemokratisch? Ist es sozialdemokratische Politik, sich als großer Waffenlieferant in internationalen Kriegen zu engagieren, wie die Ampel unter Scholz das tut? Ich denke, nein.

Also verkörpert Ihre Partei die bessere Sozialdemokratie?

Auf dem Feld der Außenpolitik könnte man das natürlich sagen – deswegen kommen auch nicht wenige aus der SPD zu uns. Aber ich glaube, dass wir einfach das vertreten und verkörpern, wofür viele Parteien nicht mehr stehen: etwa einen aufgeklärten Konservatismus im Sinne des Erhalts von Traditionen, von Sicherheit – auf Straßen und öffentlichen Plätzen, aber auch von Arbeitsplätzen, gesundheitlicher Versorgung und Renten. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit hat bei uns eine neue politische Heimat gefunden.

Bei der Wahl haben Sie vor allem ehemalige Wähler von SPD und von der Linkspartei gewinnen können. Sind das nicht Ihre Hauptkonkurrenten?

Nein, nicht nur. Man muss sehen, dass sich die offiziellen Zahlen zu Wählerwanderungen auf die letzte Bundestagswahl beziehen. Die SPD hatte damals fast 26 Prozent, heute steht sie bei 15. Die AfD wiederum hatte seit der Bundestagswahl in den Umfragen um über 10 Prozent zugelegt, das hat sie bei der Europawahl aber nicht eingelöst. Das heißt, es sind Leute, die 2021 noch SPD gewählt haben, sich dann aus Wut über die Ampelpolitik zur AfD hingezogen fühlten, jetzt unsere Wähler geworden. Wir haben auch ehemalige Wählerinnen und Wähler der Union erreicht, und ziemlich viele aus dem Spektrum der Nichtwähler. Letzteres sieht man noch stärker, wenn man die Wählerwanderung in Bezug zur letzten Europawahl betrachtet. Also eigentlich kommen Wählerinnen und Wähler von überallher zu uns.

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