SPD-Wahlerfolg von Dietmar Woidke: Hoch gepokert, knapp gewonnen

SPD-Ministerpräsident Woidke versuchte alles, um einen AfD-Wahlsieg zu verhindern – mit harten Ansagen zu Migration und zur Ampel. Nun frohlockt er.

Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke

Wahlkampf mit autoritären Ansagen: Dietmar Woidke Foto: Patrick Pleul, dpa

Potsdam taz | „Wir haben eine Aufholjagd hingelegt, wie es sie in der Geschichte unseres Landes noch nie gegeben hat“, so freute sich Dietmar Woidke am Sonntagabend, bei der SPD-Wahlparty in der Alten Post in Potsdam, bei Mettbroten und Hamburgern. Mal wieder seien es wohl die Sozialdemokraten gewesen, „die Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt haben“, rief er von der Bühne. Tatsächlich sieht es so aus: Der SPD-Ministerpräsident hat es wieder geschafft, die AfD im letzten Moment zu schlagen.

Laut Hochrechnungen lag Woidkes SPD bei der Brandenburger Landtagswahl am Sonntag mit rund 32 Prozent vor der AfD mit etwa 29 Prozent der Stimmen. Das ist ein knappes, aber für die SPD sensationelles Ergebnis. Denn in den Umfragen der vergangenen Wochen lagen die Rechtsextremen meist vier Prozent vor der SPD. Es ist vor allem Woidkes Sieg. Wie hat er das gemacht?

Der Wahlkampf war komplett auf den 62-Jährigen fokussiert. „Wer Woidke will, wählt SPD“, stand auf den Plakaten. In einem in Millionenauflage gedruckten Magazin war zu erfahren, was bei Woidkes im Kühlschrank steht (Würstchen, Äpfel, Joghurt) und wie es Dackel Justus geht. Landtagswahlen, so die Einschätzung des Ministerpräsidenten, seien im Mehrebenensystem mit Bund, EU, Kommunen zu einer Art Bürgermeisterkür geworden. Personen zählen, Programme nicht. Woidke first, Partei second.

Woidke hatte zudem angekündigt, zurückzutreten, wenn die AfD stärkste Fraktion würde. Das war wohl eher eine spontane Eingebung in einem Interview als eine ausgeklügelte Strategie. Grüne und Linkspartei klagten zu Recht, dies sei Erpressung. Aber: Es hat funktioniert. Und verhindert, dass Bäume der AfD in den Himmel wachsen.

Selbst Sachsens CDU-Ministerpräsident stand hinter Woidke

Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte ein paar Tage vor der Wahl den Brandenburgern empfohlen, ihr Kreuz bei dem Sozialdemokraten zu machen. Das zerstörte die letzten Hoffnungen des CDU-Kandidaten Jan Redmann, in dem horse race zwischen SPD und AfD noch mitspielen zu können. Kretschmer stützte Woidkes Narrativ: ich oder die AfD. Neu ist 2024 das BSW, das mit ungefähr 12 Prozent in den Landtag einzieht. Die CDU rutschte dramatisch ab und kommt nur noch auf knapp 12 Prozent, die ebenfalls mitregierenden Grünen zitterten lange um den Wiedereinzug in den Landtag.

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Woidke regiert Brandenburg seit elf Jahren. Der gelernte Agraringenieur wohnt nicht in Potsdam, sondern noch immer in Forst in der Lausitz. Im Vergleich zu seinen Vorgängern Manfred Stolpe und Matthias Platzeck hat der dritte Ministerpräsident seit 1990 wenig Schillerndes und Intellektuelles. Er ist ein Mann kurzer, prägnanter Sätze. Seine politische Grundbotschaft hat er mal so formuliert. „Wir müssen unsere Vorhaben besser erklären. Und was wir nicht erklären können, müssen wir sein lassen.“ Machen oder lassen, fertig.

Aber der Eindruck des Schlichten und Direkten war kein Malus. Im Gegenteil. Der Gestus des Erdverwurzelten passt 2024 in die Stimmung. Die Gräben zwischen Stadt und Land sind so tief wie lange nicht. Die AfD lebt von der Mobilisierung von Affekten gegen die urbanen Eliten. An Woidkes Holzfällerimage perlten die rechten Hasskampagnen gegen die Globalisierungsgewinner in den Metropolen ab. Er fühlt sich auf Dorffesten wohler als auf Vernissagen. Der SPD-Mann war schon vor dem Wahlkampf viel in Brandenburg unterwegs: Bei der Feuerwehr und Polizei, den Landfrauen, Bauern. Im TV wirkt er oft hölzern, bürokratisch, steif. Im direkten Kontakt ist er schlagfertig und zugewandt. Wie ein Bürgermeister eben. Es kann gut sein, dass die Präsenz vor Ort die Basis für diesen Erfolg war.

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Zackige, autoritäre Ansagen

Woidke ist ein rechter Sozialdemokrat, skeptisch gegenüber einem auf Emanzipation geeichten Zeitgeist. In seinem ersten Kabinett 2014 gab es sieben Männer, drei Frauen. Er erfüllt auch verlässlich die Nachfrage nach zackigen, autoritären Ansagen. Das überwölbende Thema in Brandenburg war nach Solingen Migration. In der taz forderte er kürzlich, dass Deutschland härter auftreten müsse. Wer aus „politischer Korrektheit“ Probleme bei Migration verschweige, „helfe Populisten“. Woidkes Erfolg zeigt, dass die linksliberale These, dass Migration zu thematisieren bei Wahlen immer nur den Rechten hilft, vielleicht zu überdenken ist.

Der SPD-Mann kombinierte die Botschaft „Hart bei Migration“ mit klarer Kante gegen die AfD. Er ist kein eloquenter Redner, kann aber im richtigen Moment Wirkungstreffer landen. Wie ein paar Tage vor der Wahl. Im RBB traten alle Spitzenkandidaten auf. Hans Christoph Berndt, der rechtsextreme Chef der AfD, griff den Moderator an. Der hatte sich erlaubt, darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Als Berndt seine Opferlitanei beendet hatte, blickte Woidke, 1,96 Meter groß, auf den Rechten hinab und sagte knapp: „Sie haben kein Problem mit dem Verfassungsschutz. Sie haben ein Problem mit der Verfassung.“ Point taken. Die AfD griff Woidke weniger moralisch, als mit Blick auf Interessen an. Wenn die an die Macht kämen, wären das stark migrantisch geprägte Gesundheitssystem und der Wohlstand weg, Abwanderung von Fachkräften und Unternehmen gefährdet.

Ausgeteilt auch gegen die Ampel

Doch auch gegen die eigene Partei und den Kanzler teilte Woidke aus wie kein SPD-Ministerpräsident vor ihm. Olaf Scholz, der immerhin in Potsdam wohnt, war in seinem Wahlkampf nicht erwünscht. Diese Distanz zur Ampel war keine Erfindung der letzten Wochen vor der Wahl. Woidke erzählte schon länger jedem, der es hören wollte, dass das Cannabis-Gesetz mies gemacht war und das Heizungsgesetz auf dem Land so gut ankam wie eine Migräneattacke. Angesprochen auf die Ampel-Performance reagierte er mürrisch bis an die Grenze des Unhöflichen: „Fragen Sie in Berlin nach. Ich habe anderes zu tun.“

Das hat sich, verbunden mit der „Ich oder die AfD“ Inszenierung, ausgezahlt. Eine Pointe dieses Anti-Ampel-Wahlkampfes ist: Wahrscheinlich erspart dieser Sieg Olaf Scholz ein paar unangenehme Debatten, ob er der richtige Kanzlerkandidat für die SPD 2025 ist.

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