Rechtsextreme bei der Bundestagspolizei: Hitlergruß im Reichstag
Die Bundestagspolizei soll das Parlament schützen. taz-Recherchen zufolge arbeiten dort Reichsbürger, Rassisten und Coronaleugner.
B ewaffnete Demonstrant*innen stürmen den Bundestag in Berlin. Sie brechen in Büros ein, durchwühlen Dokumente, suchen nach Abgeordneten, die sich zwischen den Sitzreihen verstecken.
Die taz-Redakteure Kersten Augustin und Sebastian Erb wurden für diesen Text gleich mehrfach ausgezeichnet.
Sie bekamen im Jahr 2022 den 2. Preis beim Wächterpreis der Tagespresse, den
und den 3. Preis 2021 des vom DJV Berlin-Brandenburg vergebenen Journalistenpreis „Der lange Atem“.Weitere ausgezeichnete taz-Texte finden Sie hier.
Klingt unrealistisch? In den USA ist genau das passiert: Am 6. Januar drangen Rechtsextreme ins Kapitol ein.
In der deutschen Hauptstadt kam es Ende August vergangenen Jahres nicht so weit, als ein paar hundert Menschen auf die Treppen des Reichstagsgebäudes stürmten, über denen der Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ steht. „Das Haus der Deutschen besetzen“, hatten sie vorher in Chatgruppen geschrieben, und: „Diese Wichser da drinnen aufhängen, wenn es nach mir gehen würde.“
Nur drei Streifenpolizisten stehen zwischen dem Mob und der Glastür, so sieht man es in Handyvideos. Zwei Meter dahinter sitzt ein Pförtner in einem Glaskasten, vor ihm ein weißer Kippschalter und ein roter Knopf. Er könnte die Tür zum Reichstagsgebäude jetzt öffnen, wenn er wollte.
Der Bundestag braucht Schutz. Aber wer sind die Personen, die ihn schützen?
Die taz hat mit einem Dutzend aktuellen und ehemaligen Beamt*innen der Bundestagspolizei und weiteren Personen gesprochen, die für die Sicherheit im Parlament zuständig sind. Wir sind auf eine Gefahr von innen gestoßen. Auf Reichsbürger in Uniform, die das Parlament schützen sollen, aber glauben, dass die Bundesrepublik nicht existiert. Auf Coronaleugner und Rassisten, die Namibia noch heute als Deutsch-Südwestafrika bezeichnen. Auf Pförtner*innen, die aktuell für die AfD-Fraktion arbeiten und bald wieder an einem der Eingänge sitzen könnten.
Es geht dabei auch um rechte Memes in dienstlich genutzten Chatgruppen. In einem weiteren Fall soll ein Beamter im Pausenraum der Bundestagspolizei den Hitlergruß gezeigt haben.
Doch wir sind nicht nur auf Rechtsextremismusfälle gestoßen, denen bislang offenbar niemand nachgegangen ist. Je länger wir uns mit der Polizei des Bundestags beschäftigen, desto stärker bekommen wir den Eindruck: Das ist eine Organisation, die sich verselbstständigt hat. In der Parlamentspolizei mit ihrer historischen Sonderstellung mischen sich eine gute finanzielle Ausstattung mit regelmäßiger Unterforderung im Alltag. Das führt beispielsweise dazu, dass die Polizei des Bundestags Scharfschützengewehre angeschafft hat, die sonst nur ein SEK besitzt. Und eine mysteriöse Spezialeinheit gegründet hat, die öffentlich noch nie erwähnt wurde und von der selbst im Bundestag kaum einer weiß.
Die Bundestagspolizei
Der Bundestag ist der kleinste Polizeibezirk der Republik, rund 200 Beamt*innen arbeiten hier. Sie sind ausschließlich für die Liegenschaften des Bundestags verantwortlich. Die Bundestagspolizei untersteht dem Bundestagspräsidenten, Wolfgang Schäuble von der CDU. Nur mit seiner Zustimmung dürfen Beamt*innen in den Parlamentsgebäuden Personen festnehmen oder Büros durchsuchen. Die Polizei des Landes Berlin oder die Bundespolizei sind nicht zuständig, so will es das Grundgesetz. Die Idee ist gut: Im Falle eines Staatsstreichs soll das Parlament nicht schutzlos sein. Das bedeutet aber auch: Es muss sich im Zweifelsfall selbst schützen können.
Nach dem versuchten Reichstagssturm und dem Sturm des US-Kapitols hat Schäuble angekündigt, die Sicherheit des Bundestags zu verbessern. Die Berliner Landespolizei hat ihre Präsenz vor dem Gebäude verstärkt. Die Bundestagspolizei arbeitet jedoch weiter wie vorher, erfahren wir in mehreren Gesprächen mit Polizist*innen, Abgeordneten und Vertreter*innen der Bundestagsverwaltung.
Dabei gibt es Beamt*innen, bei denen man als Dienstherr genauer hinschauen müsste. Da wäre etwa der Polizist Michael R. 2014 wird er stellvertretender Bundesvorsitzender der Splitterpartei „Deutsche Nationalversammlung“. Es ist eine Reichsbürgerpartei, die das Grundgesetz nicht anerkennt. Unter dem Motto: „Achtung! Wachablösung! Das Grundgesetz geht – Die Verfassung kommt! Für ein souveränes Deutschland!“ demonstrierte die Partei damals vor dem Reichstag, für dessen Schutz Michael R. zuständig ist.
Im Pausenraum der Polizei im Bundestag lag einmal ein Flyer aus, der der taz vorliegt. Es ist ein Flyer der Preußischen Gesellschaft, einer nationalistischen Vereinigung, die Deutschland „geistig erneuern“, „Überfremdung stoppen“ und einen „Freistaat Preußen“ errichten will. Michael R. habe ihn dort verteilt, sagt ein Kollege von ihm. Er habe eine Zeit lang versucht, Mitstreiter*innen anzuwerben, sagt ein anderer. Er hat zudem nach Aussage eines Kollegen rechte Memes im Chat seiner Dienstgruppe gepostet. Im Pausenraum habe R. seine Thesen wiederholt: Er sei kein Bürger der BRD, es habe keinen Einigungsvertrag gegeben. Deutschland sei kein Staat, sondern eine GmbH.
Irgendwann nach dem Vorfall mit dem Flyer bekommt R. Ärger von Vorgesetzten. Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle des Bundestags mit: Gegen den Polizeibeamten wurde 2019 ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er sich verfassungswidrig geäußert haben soll. Der Verdacht habe sich nicht bestätigt, das Verfahren wurde eingestellt.
Michael R. ist jetzt Polizeiobermeister und arbeitet immer noch im Bundestag. Die Reichsbürgerpartei ist nicht mehr aktiv, dafür ist R. der AfD beigetreten. Bei Facebook gefällt ihm die German Defence League, Pegida und „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“, er ist Mitglied der Gruppen „Patrioten Brandenburg-Preussen“ und „Weltweiter Widerstand“.
Michael R. wohnt in einer Neubausiedlung in Brandenburg. Als wir klingeln, ist er überrascht und aufgebracht, dass wir bei ihm zu Hause das Gespräch suchen. Inhaltlich sagt er nichts, aber er fragt nach unseren genauen Namen. Dann sagt er spöttisch, dass er mal nachschauen werde. „Wir haben da ja unsere Computer.“
Michael R. ist nicht der einzige problematische Polizist in den Reihen der Bundestagspolizei. In Chats wurden in den vergangenen Jahren zweifelhafte Inhalte geteilt. Ein Meme aus einer Chatgruppe, das der taz gezeigt wurde, zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem Hundekopf: „Die Kanzlerin wurde geimpft. Keine Nebenwirkungen, sagt der Gesundheitsminister“. In anderen Memes wurde laut Aussagen mehrerer Polizist*innen Merkel als Verräterin bezeichnet oder es wurde gegen Minderheiten gehetzt.
Ein Polizist erinnert sich an ein Bild in einem Chat mit einem Gewehr und einem Gewaltaufruf gegen Schwarze Menschen: „Springt der N**** wild herum, schalt’ auf Automatik um“. Er war so entsetzt, dass er das Bild damals einer Person zeigte, die uns das ebenfalls bestätigt. Ein anderer Polizist erinnert sich im Gespräch mit der taz an ein Bild mit dem Schriftzug: „Dem Führer hätte das nicht gefallen“ und an antisemitische Witze, etwa, wie viele Juden in einen Aschenbecher passen würden. Nicht alle dieser Chatinhalte dürften strafrechtlich relevant sein, sie könnten aber disziplinarrechtliche Konsequenzen haben. Und sie weisen auf eine fragwürdige Polizeikultur hin.
„Am Ende“, sagt ein Bundestagspolizist, „sind wir die mit den Knarren im Haus.“ Und: „Es ist wie bei Troja: Wer hat den Schlüssel zur Tür?“
Könnte das, was am 6. Januar im US-Kapitol passiert ist, auch im Deutschen Bundestag passieren? Diese Frage war der Ausgangspunkt unserer Recherche. Die taz hat mit einem Dutzend aktuellen und ehemaligen Bundestagspolizist*innen gesprochen, außerdem mit Pförtner*innen und Mitarbeiter*innen der Bundestagsverwaltung. Viele sprachen mit uns nur unter der Bedingung, dass sie anonym bleiben. Wir fragten bei Abgeordneten und bei Mitgliedern verschiedener Gremien nach, zum Teil darf aus diesen Gesprächen nicht zitiert werden. Wir haben interne Dokumente ausgewertet und konnten Bilder in Chatgruppen der Bundestagspolizei einsehen. Hintergründe zu den betroffenen Personen recherchierten wir auch in sozialen Netzwerken und archivierten Internetseiten.
Eine Recherche in den Reihen der Polizei ist nie leicht, so auch in diesem Fall. Viele Beamt*innen wollen nicht mit der Presse sprechen, anderen ist angeblich nie etwas Problematisches aufgefallen. Die, die Probleme thematisieren, haben Angst vor Konsequenzen und äußern sich nur, wenn ihre Identität geschützt bleibt.
Aus den Äußerungen dieser Polizist*innen geht hervor, dass auch außerhalb von Chatgruppen rassistische Bezeichnungen wie „Kanacke“, „N****“ oder „Schwarzkopf“ bei der Polizei des Bundestags alltäglich sind. Besonders schlimm sei es nach dem Sommer 2015 geworden, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen. Im Pausenraum hätten Polizisten Flüchtlinge als Terroristen bezeichnet. Bei der Arbeit zeigten einige Kolleg*innen ihre Missachtung für die Bundesregierung und Sympathien für die AfD. Mehrere Bundestagspolizisten sollen an Demonstrationen der rechtsextremen Organisation Pegida teilgenommen haben, berichten aktuelle und ehemalige Polizist*innen.
„Es gibt einige Polizisten, die das im Pausenraum nicht mitanhören wollen, die nehmen sich ihre Stulle und essen die auf der Leitstelle“, sagt einer von ihnen.
Ein Beamter, der sich laut Aussage mehrerer Polizisten regelmäßig rassistisch äußert, ist ein Polizeihauptmeister und Mitglied einer Reservistenkameradschaft. Und bei Äußerungen soll es nicht geblieben sein. Er habe mehrfach den Pausenraum im Reichstagsgebäude betreten und dabei zur Begrüßung den Hitlergruß gezeigt, sagt ein Polizist, der damals nach eigenen Angaben im Raum war. Er habe dabei die Hacken zusammengeschlagen und die Radiostimme von Adolf Hitler imitiert.
Wir rufen bei zwei Polizisten an, die im Raum gewesen sein sollen. Beide reagieren nervös, dementieren den Hitlergruß nicht und brechen das Gespräch ab. Der Polizeihauptmeister sagt am Telefon, er schaue gerade eine Doku über Treblinka und Auschwitz, „ich würde so etwas nie tun.“ Er dementiert rassistische Äußerungen, er habe „genügend Freunde, die schwarze Hautfarbe haben“.
Nachdem die von der taz befragten Polizisten ihre Vorgesetzten über den taz-Anruf informierten, hat die Bundestagsverwaltung disziplinarische Vorermittlungen wegen des mutmaßlichen Hitlergrußes eingeleitet. Der Polizeihauptmeister und die beiden anderen Polizisten stritten den Vorfall ab und die Angelegenheit wurde zu den Akten gelegt.
Ein ehemaliges Mitglied des Personalrats im Bundestag bestätigt, dass sich Polizisten bei ihm über rechte Sprüche beschwert haben. „Das ist mir nicht neu“, sagt er. „Einzelne haben mir das berichtet, das war aber kein Anlass für mich, das zu objektivieren.“
Er ist mit dieser Haltung nicht allein. Leitende Beamte der Bundestagspolizei haben in den vergangenen Jahren keinerlei Fortbildungen zu politischem Extremismus besucht. Nur zwei Polizisten des mittleren Dienstes besuchten auf eigene Initiative mehrtägige Fortbildungen zu islamistischem Terrorismus und Linksextremismus.
Hat die Verwaltung des Bundestags die Gefahr von rechts jahrelang nicht ernst genommen?
Die Pressestelle des Bundestags antwortet auf taz-Anfrage, man handle bei rechtsextremen Verdachtsfällen „klar und konsequent“. Eine verdachtsunabhängige Überprüfung finde jedoch nicht statt. Seit 2013 habe es insgesamt drei Fälle gegeben, die sich aber nicht bestätigt hätten. Von den Fällen, die von der taz recherchiert wurden, fällt nur der Hitlergruß darunter. Er wurde aber erst im Zuge der Recherchen im Bundestag Thema. Bundestagspräsident Schäuble wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Im Präsidium des Bundestags – dem Leitungsgremium, das der Bundestagspräsident mit seinen Stellvertreter*innen bildet – waren mögliche Bedrohungen lange Zeit kein Thema. Nach dem versuchten Sturm auf das Reichstagsgebäude ging es vor allem um die Frage, warum die Demonstrant*innen von der Berliner Polizei so unterschätzt wurden. Bundestagspräsident Schäuble traf sich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer und Berlins Innensenator Andreas Geisel, um die Zusammenarbeit mit Bundes- und Landespolizei zu verbessern. Um mögliche Gefährdungen des Bundestags von innen ging es nicht.
Das änderte sich im vergangenen November. Eine rechte Aktivistin, die als Gast eines AfD-Abgeordneten in den Reichstag gekommen war, bedrängte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor einem Aufzug. Bemängelt wurde intern, dass in der Nähe stehende Polizisten nicht eingeschritten waren. Die Aktion hatte Konsequenzen, allerdings nicht für die Polizei, sondern für die Abgeordneten: Sie müssen nun die Namen ihrer Gäste hinterlegen.
Nach dem Sturm auf das US-Kapitol waren viele deutsche Abgeordnete geschockt. Sie hatten live verfolgt, wie ihre amerikanischen Kolleg*innen sich vor dem Mob verstecken mussten, ihre Büros durchsucht wurden. Wie Demonstranten Selfies mit Polizisten machten. Könnte so etwas auch hier passieren?
Der Referatsleiter, der für die Bundestagspolizei zuständig ist, verneinte das im Ältestenrat und gegenüber den Sicherheitsbeauftragten der Fraktionen. Die Abgeordneten kennen höchstens zwei ältere rechtsextreme Verdachtsfälle in den Reihen der Bundestagspolizei: In einem geht es um einen Polizisten, der eine Motorradkutte mit eisernem Kreuz getragen haben soll. Im anderen um einen Polizisten, der in einer problematischen Chatgruppe erwähnt worden sein soll. In beiden Fällen sind die Polizisten nach einer Überprüfung weiter im Dienst. Weder der Flyer im Pausenraum noch andere von der taz recherchierte Fälle wurden den Abgeordneten genannt.
Immer wieder gibt es Berichte über rechtsradikale Chatgruppen in Polizeibehörden. Doch bei der Bundestagspolizei geht es nicht um ein normales Polizeirevier, sondern um den Schutz des Parlaments und der Abgeordneten. Die Auswahl der Polizisten und die Überprüfung ihrer demokratischen Überzeugungen müsste dort besonders akribisch sein. Wie kann es sein, dass sich ausgerechnet im Herzen der Demokratie solche Vorfälle häufen?
Um zu verstehen, was die Bundestagspolizei so besonders macht, hilft es, eine kurze Zeitreise in die Bonner Republik zu unternehmen.
In den 1960er Jahren arbeitete nur eine Handvoll Polizisten im Bundestag, sie gehörten zur selben Abteilung wie die Putzkräfte. In Bonn wurden sie „Hausinspektion“, dann Ordnungsdienst genannt. Erst nach dem RAF-Terror in den 1970er Jahren durften die Beamten Gewahrsamnahmen durchführen. 1989 benannte die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sie in „Polizei- und Sicherungsdienst“ um.
Mit dem Umzug nach Berlin 1999 hatte die Polizei ein Personalproblem, weil viele Beamte in Bonn bleiben wollten. „Wir haben dann jeden genommen“, sagt ein leitender Polizist. Die Landes- und Bundespolizei hätten ihre Akten frisiert, um „Problemfälle“ an die Bundestagspolizei loszuwerden. Einer der Problemfälle sei in den Anfangsjahren nachts mit dem Generalschlüssel durch die Büros auf Diebestour gegangen, berichtet der Polizist. Dazu kamen Quereinsteiger, die bereits vor dem Umzug das Reichstagsgebäude in Berlin bewachten. So kamen etwa ein Schlachter und ein Gasableser in den Dienst, die keine reguläre Polizeiausbildung hatten.
In den Folgejahren ist die Bundestagspolizei stark gewachsen. Von gut 50 Polizist*innen in den 1970er Jahren auf 210 Stellen heute. Seit ein paar Jahren erst tragen sie manchmal auch Uniform statt Anzug. Dazu kommen rund 150 Pförtner*innen und 400 Mitarbeitende der externen Sicherheitsfirma Piepenbrock, die teils auch an den Pforten sitzen oder an den Sicherheitsschleusen stehen.
Als „aufgeblasen“ bezeichnet ein Polizist den Sicherheitsapparat. Denn im Alltag passiert meist: nichts. Keine Festnahmen, kaum Anzeigen. Die Arbeit im Bundestag hat nicht viel mit der Realität auf einem Polizeirevier gemein. Ihnen fehle „Action“, wie ein anderer sagt. In einer Gewerkschaftszeitschrift beschreibt ein Polizist anonym seine Arbeit: ein Fehlalarm auf dem Behinderten-WC, ein Abgeordneter, der seinen Schlüssel vergessen hat. „Nein, ich bin kein Hausmeister, auch kein Sicherheitsmitarbeiter. Ich bin Polizeibeamter“, schreibt er.
Der Frust ist so groß, dass viele Polizisten den Bundestag verlassen wollen. „Es ist eine Strafe, von der Bundespolizei zum Bundestag abgeordnet zu werden“, sagt ein Polizist. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Verantwortlichen bei Problemen lieber kein Fass aufmachen, was problematische Mitarbeitende angeht: Sie müssen befürchten, die Stellen nicht wieder besetzen zu können.
Weil viele Beamt*innen den Bundestag verlassen wollen, gilt für Polizeianwärter*innen eine Bleibepflicht. Nach der Ausbildung müssen diese für mindestens ein Jahr im Bundestag bleiben, ursprünglich sollten es drei Jahre sein. Eine im Personalrat des Bundestags vertretene Gewerkschaft hat sich 2018 beim Bundestagspräsidenten über diese „Bleibepflicht“ beschwert. Sie erhielt keine Antwort. Wenn die Unzufriedenheit vieler Polizisten auf so wenig Interesse stößt, was bedeutet das für andere, gravierendere Probleme?
Man gewinnt den Eindruck, dass die Bundestagspolizei in einem Dilemma gefangen ist: Im Alltag ist sie viel mit Aufgaben beschäftigt, die auch private Security-Mitarbeitende erledigen könnten. Aber im Ernstfall soll sie das deutsche Parlament vor Terrorist*innen schützen.
Die Spezialeinheit
Zu diesem Dilemma passt, dass die Bundestagspolizei eine Art Spezialeinheit gegründet hat, über die öffentlich bislang nichts bekannt ist: Das „Team besondere Aufgaben“, eine Gruppe von etwa einem Dutzend Polizist*innen zur „Bewältigung von polizeilichen Lagen mit hohen physischen und psychischen Belastungen“, wie es in einem internen Dokument heißt, das der taz vorliegt. Mehrmals im Jahr fahren Teammitglieder zu Lehrgängen, unter anderem zur Bundeswehr ins bayerische Altenstadt und nach Pfullendorf, wo sonst Fallschirmjäger und KSK-Soldaten ausgebildet werden.
Anfangs wussten nicht mal alle leitenden Polizeibeamten vom „Team besondere Aufgaben“ und auch nicht die Mitglieder des Bundestagspräsidiums. Dabei sind es der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter*innen, die im Ernstfall der Polizei die Anweisungen geben.
Die ausgewählten Polizist*innen trainierten Hindernisläufe, Trockenübungen für den Fallschirmsprung, Abseilen über eine Schlucht. „Das war ’ne Lachnummer“, sagt ein ehemaliger Teilnehmer. Er habe sich gefühlt wie in einem schlechten Hollywoodfilm. Der damalige Teamleiter, mit dicker Zigarre im Mund und einer Hand am Stock, habe sich aufgespielt „wie Hannibal vom A-Team“, der US-Fernsehserie. Das Team habe Jumpsuits getragen mit einem eigens angefertigten Abzeichen. Manche Kolleg*innen spotten, dass die jetzt wieder „GSG 6 1/2“ spielten.
Nun könnte man die Gründung einer Spezialeinheit begrüßen: Die Bundestagspolizei stellt sich der neuen Bedrohung durch den Terrorismus. Oder man sieht darin eine Beschäftigungstherapie für unterforderte Polizist*innen, die bei einem Terrorangriff auch nicht viel ausrichten können. Denn da nur zwei bis drei Personen pro Dienstgruppe Teil des Teams sind, wären bei einem Anschlag wohl nie genug von ihnen da. Es gebe im Bundestag auch gar nicht genügend geeignete Beamt*innen, sagt ein Polizist. Es könnte gefährlich werden, wenn die Bundestagspolizei bei einem Angriff ihre Fähigkeiten überschätzt und nicht sofort das SEK ruft. „Die werden ins Feuer geschickt.“
Die Pressestelle des Bundestags spielt die Bedeutung des „Team besondere Aufgaben“ herunter. Hintergrund der Gründung im Jahr 2015 seien die „Amoktaten in Erfurt und Emsdetten“, die zu diesem Zeitpunkt allerdings schon 13 und 9 Jahre zurückliegen. Das Team habe keine „Aufgaben, die mit solchen von SEK oder GSG9 vergleichbar sind“.
Doch taz-Recherchen zufolge lagerten oder lagern im Keller des Bundestags Waffen, die zur Ausstattung eines SEK passen. Das bestätigen ein halbes Dutzend Polizisten. Sie nennen nur eine unterschiedliche Anzahl, die Angaben reichen von zwei bis sechs Gewehren vom Typ SG1, Präzisionsschützengewehre von Heckler & Koch, einsetzbar für Entfernungen bis 600 Meter. Polizisten wurden durch die Republik geschickt, um Munition dafür zu besorgen. Ein Beamter sagt, dass die Waffen bei Wettkämpfen benutzt wurden.
Anders als in anderen Polizeibehörden beschwert sich im Bundestag niemand über eine schlechte Ausstattung. Die Nähe zum Haushaltsgesetzgeber sorgt offenbar dafür, dass alle Wünsche erfüllt werden. Es gibt gute Schutzausrüstung, die modernsten Maschinenpistolen und genug Munition für Schießtrainings.
Aber wofür braucht ein Polizeibezirk, der offiziell keine Spezialeinheit hat und nur die engen Flure und Innenräume des Bundestags beschützt, mehrere Scharfschützengewehre?
Die Bundestagspressestelle behauptet zunächst, dass die Bundestagspolizei niemals über Scharfschützengewehre verfügt habe. Denn: „Bei der Bundestagspolizei sind und waren in der Vergangenheit keine Scharfschützen eingesetzt.“ Auf Nachfrage korrigiert man sich: Es gebe keine „Verwendung von sogenannten Scharfschützengewehren im Dienstalltag“. Zu den Waffen mache man aus Sicherheitsgründen keine weiteren Angaben.
Der Pförtner
Die Bundestagspolizei ist nicht allein für die Sicherheit der Abgeordneten verantwortlich: Auch mehrere hundert Pförtner*innen und Security-Mitarbeitende entscheiden darüber, wer das Parlament betreten darf.
An jenem Westeingang, an dem im vergangenen Sommer die Demonstrant*innen den Reichstag stürmen wollten, arbeitet seit mehr als zehn Jahren ein Pförtner, der laut Aussagen von mehreren Polizisten „offensichtlich rechtsextrem“ ist.
Er ist Mitarbeiter der Firma Piepenbrock, einer externen Sicherheitsfirma. Auf seinem Computer lese er rechte Schriften. Über Schwarze sage er: „Die stinken doch alle.“ Er erzähle von Messerkriminalität, die er angeblich auf seinem Arbeitsweg erlebe. Für afrikanische Länder benutze er die alten Kolonialbezeichnungen wie Deutsch-Südwestafrika. Er erzähle, dass er in seinem Haus am Waldrand weitgehend autark lebe und große Vorräte angelegt habe. „Er sitzt am Knopf und kann entscheiden, ob die Tür zubleibt oder aufgeht“, sagt ein Polizist.
In der vergangenen Woche sprechen wir eben jenen Pförtner in seinem Glaskasten an. Am Eingang West ist nicht viel los, noch kommen wegen Corona keine Gruppen zu Besuch. Er bestätigt uns, dass er am Tag des versuchten Reichstagssturms im Dienst gewesen sei. Aber er sagt: „Die wollten gar nicht rein.“ Erklären will er diese Aussage nicht. Und als wir mit ihm über seine politischen Ansichten sprechen wollen, schiebt er die Glastüre zu. „Ich muss jetzt wieder meine Außenkontrolle machen.“ Piepenbrock wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.
Es gibt mindestens zwei weitere Pförtner*innen, die ein Sicherheitsproblem darstellen könnten. Sie sind aktuell von ihrer Arbeit beurlaubt, um für die AfD-Fraktion zu arbeiten. Doch Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung können prinzipiell auf ihre ursprüngliche Position zurückkehren. Das könnte schon im Herbst passieren, falls die AfD bei der Bundestagswahl weniger Mandate erringen sollte und weniger Posten zu vergeben hätte.
Einer der Pförtner*innen ist Patrick S. Er leitet heute den Fraktionsdienst der AfD und sitzt für die Partei in einer Gemeindevertretung in Brandenburg. Seinen Facebook-Freund*innen wünscht er zu Weihnachten ein „schönes Julfest“ und „Hail und Segen den alten Göttern!“ Er empfiehlt politischen Gegnern „Suizid gegen Rechts“. Auf seinem Facebook-Profilbild ist ein Kampfmesser zu sehen, das auf einem Bundeswehr-Barett liegt.
Auch in anderen Fraktionen arbeiten zeitweise Mitarbeiter*innen der Bundestagsverwaltung. Doch was bei anderen Parteien ein normaler Vorgang ist, wird bei einer Partei zum Problem, die zumindest in Teilen rechtsextrem und vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft worden ist.
taz-Redakteur Kersten Augustin wird am Dienstag, dem 22. Juni, um 18 auf dem Instagram-Kanal der taz live Fragen zu seiner Recherche beantworten. Was wollen Sie wissen? Schicken Sie uns gern schon vorab Fragen an askme@taz.de.
Was, wenn jene Pförtner*innen bald wieder entscheiden, wer in den Bundestag kommt und wer nicht? Was passiert bei der nächsten Demonstration vor dem Reichstag, die von der Fraktion, für die sie jahrelang gearbeitet haben, unterstützt und aufgehetzt wird?
Aber die Pförtner*innen sind nicht die einzigen AfD-Mitarbeitenden mit für den Bundestag sensiblem Wissen und Kontakten: Auch ein Bundestagspolizist arbeitet jetzt für die AfD-Fraktion, genauso wie ein Sachbearbeiter aus der Personalverwaltung. Er war zuständig für die Bundestagspolizei, hatte Zugriff auf die Personalakten von Polizist*innen. Austauschen kann er sich bei seiner neuen Arbeit mit dem Verwaltungsleiter der AfD-Fraktion Philipp Runge, der lange beim Besucherdienst des Bundestags arbeitete.
Der Besucherdienst
Auch unter Runges alten Kolleg*innen finden wir Mitarbeitende, bei denen Zweifel bestehen, ob sie geeignet sind, die parlamentarische Demokratie zu repräsentieren. Es geht um den Besucherdienst, der für die Führungen im Haus zuständig ist, für Besuchergruppen von Abgeordneten und Tourist*innen. Wenn nicht gerade eine Pandemie umgeht, bietet der Besucherdienst zweimal wöchentlich ein Spiel für Besucher*innen an: „Parlamentarische Demokratie spielerisch erfahren“.
Seit der Gründung des Besucherdienstes arbeiten hier Mitglieder der Berliner Burschenschaft Gothia, bei der auch mal der Holocaust-Leugner Horst Mahler als Referent eingeladen wurde. Einer von ihnen ist Mitglied der Facebook-Gruppe: „Wir Deutsche rufen Georg Friedrich von Preußen zum Deutschen König aus“. Sein Profilbild kommentiert ein Freund mit: „Oho der neue aus Deutsch-Südwestafrika Attaché a.D. Von und zu M.“ Ihm gefällt das.
Andere Mitarbeitende des Bundestags haben Bezüge zur Querdenken-Bewegung. Die Coronaleugner*innen hatten die Demonstration im vergangenen August organisiert, aus der heraus versucht wurde, den Reichstag zu stürmen. Teile dieses Milieus werden inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet. Aber ihre mutmaßlichen Gesinnungsgenoss*innen in der Bundestagsverwaltung hat offenbar niemand auf dem Schirm.
Das sind Leute wie Thilo S., der heute in der Abteilung Information und Kommunikation arbeitet. Vorher arbeitete er viele Jahre als Bundestagspolizist, später als Leiter des Einlasskontrolldienstes. Seinen Polizeititel trägt er bis heute. S. ist Mitglied in Querdenkerforen, bei Facebook unter anderem in der Gruppe „Corona-Rebellen“. Kollegen bezeichnen ihn als „Maskenverweigerer“. In der Gruppe „Mund auf trotz Mundschutz“ kommentiert er einen Post mit: „Stasi 2.0, armes Deutschland“. S. ruft zur Teilnahme an Querdenken-Demos auf. Und: S. nahm an der Querdenken-Demonstration teil, die im versuchten Reichstagssturm gipfelte.
Am Telefon erzählt Thilo S., er sei zu den Demos von Querdenken gegangen, weil er der Mainstreampresse nicht mehr vertraue. Den versuchten Reichstagssturm fand er „saublöd“. Der sei aber nicht von Querdenken ausgegangen, sondern von Reichsbürgern. „Wenn ich an dem Tag Dienst gehabt hätte, hätte ich alles dafür getan, die daran zu hindern, reinzukommen.“ Er sieht kein Problem darin, dass er als Polizeibeamter an der Demo teilnahm, solange diese nicht verboten sei. Das sei seine Privatsache.
Für Anfang Juli rufen Initiativen aus dem Querdenken-Spektrum wieder zu einer Demo am Brandenburger Tor auf. „Eure letzte Chance“, heißt es in einem Mobilisierungsvideo, auf dem Szenen früherer Proteste zu sehen sind. „Widerstand heißt, dorthin zu laufen“, sagt ein Redner in dem Video und zeigt Richtung Reichstag, und zur Polizei sagt er: „Schließt euch an!“
Richtigstellung:
Philipp Runge ist nicht Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, wie wir falsch berichtet haben, sondern Verwaltungsleiter der AfD-Bundestagsfraktion.
Die Redaktion
Haben Sie Informationen zu diesem oder anderen Vorfällen, über die Sie die taz informieren möchten? Melden Sie sich bei den Autoren oder über informant.taz.de.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“