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Reaktionen auf EU-InnenministerkonferenzEntsetzen über EU-Asyl-Einigung

Das Ergebnis der EU-Innenminister*innenkonferenz sorgt bei Aktivist*innen für Bestürzung. Auch Linke kritisieren die Einigung scharf.

Regenwolken über dem Flüchtlingslager Karatepe, Lesbos, Griechenland Foto: Murat Türemis

Berlin taz | „Ein historischer Fehler“, ein „Angriff auf die Menschenrechte“, eine „Schande“ oder schlicht „katastrophal“. Menschenrechtsorganisationen und die Linkspartei haben bestürzt auf die Ergebnisse des EU-Innenminster*innengipfels reagiert.

Diese hatten sich am Donnerstag auf eine deutliche Verschärfung der EU-Asylpolitik geeinigt, auch die Bundesregierung hat zugestimmt. Geplant sind nun Schnellverfahren für bestimmte Geflüchtete an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen. Außerdem sollen Asyl­be­wer­be­r*in­nen in sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb der EU zurückgebracht werden, wenn sie über solche Länder eingereist sind.

Die Linkenvorsitzende Janine Wissler sagte dazu: „Der Beschluss ist ein Erfolg für die rechten Kräfte in Europa und wird sie weiter stärken. Diese Lehre sollte man gezogen haben aus der Debatte um den Asylkompromiss 1993 und der Welle rechter Gewalt damals.“

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, sagte der taz: „Die Ideen von Horst Seehofer zur massiven Einschränkung des Rechts auf Asyl in der EU werden jetzt von einer SPD-Ministerin mit Unterstützung der Grünen umgesetzt. Das war ein schwarzer Tag für die Menschenrechte, die beim politischen Bemühen um eine immer stärkere Abschottung der EU keine Rolle mehr spielen.“ Es sei „eine Schande und äußerst erschreckend, wie sehr sich rechte Narrative im politischen Abschottungsdiskurs der letzten Jahre durchgesetzt haben.“

Menschenrechtlicher Tabubruch

„Die Bundesregierung hätte niemals zustimmen dürfen“, sagte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von ProAsyl, der taz. „Die Ampel trägt die Verantwortung, wenn nun Kinder in Haftlager kommen.“ Er nannte die Einigung „einen zweiten Asylkompromiss“. Als Asylkompromiss wird die weitgehende Einschränkung des deutschen Asylrechts bezeichnet, die 1993 im Bundestag auch mit den Stimmen der SPD beschlossen wurde.

Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty in Deutschland, erklärte: „Die Beschlüsse sind kein Durchbruch, sondern ein menschenrechtlicher Tabubruch, eine Missachtung des verfassungsmäßigen Auftrags und ein gebrochenes Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages.“ Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP eigentlich darauf verständigt, die Regelungen für Geflüchtete deutlich zu liberalisieren.

„Die Entscheidung der EU-Innenminister*innen wird katastrophale Folgen für schutzbedürftige Menschen haben“, vermutet Parnian Parvanta, stellvertretende Vorsitzende von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. „Gefängnisartige Camps wie auf den griechischen Inseln werden zum Standard auf europäischem Boden.“ Die dort eingesperrten Personen erhielten absehbar „keine angemessene medizinische Versorgung und werden mit ihren Traumata weitgehend allein gelassen.“

Zahlreiche Organisationen, darunter etwa die Flüchtlingsräte der Bundesländer, rufen für Freitag 17 Uhr zum Protest vor dem Bundestag in Berlin auf.

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17 Kommentare

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  • Was genau soll den die Alternative zur Zustimmung sein?



    Der Dexit?



    Das Ende von Koalition und Regierung?



    Ein "weiter so" gegen die Bevölkerungsmehrheit, weil deren Wille nicht gefällt?



    Hallte ich alles für sehr gefährlich!



    Ganz abgesehen von der Tatsache, dass bestimmte Systeme (z.B. das Schulsystem in einigen Städten) vor dem Hintergrund der derzeitigen Flüchtlingssituation vor dem Kollaps stehen.

    • @MutzurMitte68:

      Die behauptete Alternativlosigkeit von Politik ist ja bereits seit Thatcher ein beliebtes Mittel um jedwede Diskussion zu vermeiden. Ist der eigene Machterhalt aber tatsächlich alternativlos selbst um die Beteiligung an der faktischen Abschaffung eines Menschenrechts? Und was will man mit dieser Macht wenn ihr Erhalt einen permanent zu angeblichen 'Kompromissen' nötigt die den eigenen Werten und Überzeugungen diametral entgegenstehen? Ist die Opposition gegen eine derartige Politik wirklich keine Alternative oder wäre sie nicht vielmehr notwendig?



      Die desolate Situation des Schulsystems besteht weil man es jahrzehntelang kaputtgespart hat. Schuld daran haben nicht die Geflüchteten, sondern die Regierungen der vergangenen 20-30 Jahre.

  • Zwischen 2013 und 2019 gab es viele Demonstrationen, auch solche mit über 10.000 Menschen, z.B. mit dem Motto "We'll come / Welcome united". Wo sind sie nun?



    Nun ist das ein Schritt der EU sich der Menschenfeindlichkeit des Putin-Regimes anzunähern.

  • Eine deutsche Bundesregierung unterstützt es Menschen in Lager zu sperren. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Menschen die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, außer vor Krieg, Tod und Elend zu fliehen und hier Schutz zu suchen.



    Wer das für irgendwie akzeptabel hält, sollte dabei dann auch nicht die Frage nach der weiteren Entwicklung außer Acht lassen. Demnächst auch Internierungslager in denen man die Nervensägen von der LG ohne Urteil wegsperren kann? Über den Präventivgewahrsam wird sich das schon irgendwie verargumentieren lassen? Lager für Langzeitarbeitslose als 'Weiterbildungsmaßnahme' nach dem Vorbild von Xinjiang? Die Einführung der Todesstrafe für den 'illegalen' Grenzübertritt?



    Und wie kann es eigentlich sein, dass EGMR oder EUGH derartigen Fehlentwicklungen nicht entgegentreten?

    • @Ingo Bernable:

      Was grundsätzlich "vergessen" wird - in den Lagern wird niemand festgehalten. Jedem steht es frei, nach Hause zu gehen. Nur an der unerlaubten Einreise in die EU werden die Menschen gehindert.

      Muss man nicht gut finden, aber anscheinend findet sich keine menschlichere Lösung. Die EU-Gremien können nicht viel gegen den Willen der Nationalregierungen durchsetzen - wie man bei "Dublin" sieht. Wir können dagegen anstinken, bis auch bei uns eine rechts-populistische Regierung gewählt wird.

      • @Jörg Schulz:

        Ich hätte ja so meine Zweifel ob man die verschiedenen Kriegs- und Krisengebiete aus denen diese Menschen fliehen müssen als Zuhause bezeichnen kann. Die Flucht wird eben dann notwendig wenn das Zuhause keines mehr ist. Und wie will man die Leute an der 'illegalen' Weiterreise hindern oder die angekündigten Abschiebungen (aus Nicht-EU-Gebiet ggf. auch in Drittstaaten die nicht die Herkunftsländer sind, noch mehr Willkür scheint kaum mehr denkbar) aus den Lagern durchsetzen wenn der Aufenthalt doch rein freiwillig ist und jeder jederzeit gehen kann?



        Und wenn man aus Angst vor dem Erstarken der Rechtsradikalen selbst eine rechtsradikale Politik - nichts anderes sind die nun geplanten Internierungslager - macht, werden die Warnungen vor Rechtsaußen eben zu einer sinnlosen und leeren Phrase.



        Ich bin mir ziemlich sicher, dass man das was dort gerade abläuft in der historischen Rückschau ebenso als Unrechtsregime verurteilen wird wie wir heute etwa den Todesstreifen und Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze.

        • @Ingo Bernable:

          Begreifen Sie das nicht?



          Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten - Syrien, Afghanistan, Sudan - werden nicht zurückgewiesen.



          Wie oft denn noch?

          • @M. Stockl:

            Die Menschen die bereits heute und zwar teils über Monate und Jahre im Lager Kara Tepe interniert sind stammen besipielsweise überwiegend aus Afghanistan. Ist Afghanistan kein Kriegs- und Krisengebiet? Und, dass es uA an der griechisch-türkischen Grenze keine Pushbacks gäbe ist schlicht nicht wahr. Es gibt sie und zwar, soweit man weiß regelmäßig.



            www.proasyl.de/new...pas-aussengrenzen/



            www.tagesschau.de/...echenland-101.html

  • Ziemlich einseitige Auswahl an Stimmen zu diesem Beschluss. Es gibt durchaus viele Stimmen, die diese Einigung positiv sehen, und beileibe nicht nur von "Rechten". Es ist einfach der Fall, dass etwas geschehen muss in der Asylthematik, das bisherige "System" ist jedenfalls nicht funktional. Ob der nun gefundene Kompromiss eine Besserung bringt wird sich noch zeigen müssen.

  • Warum Bestürzung? Es war doch vollkommen klar, dass es nicht mehr so weitergehen wird wie bis jetzt, auch finanziell. Die AFD feiert einen Höhenflug nach dem anderen und folgt hiermit der Entwicklung in Italien, Dänemark, Schweden etc. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die BRD die Insel der Seeligen für verfolgte Menschen sei (Hunger ist für mich auch ein Grund). Leider ist das nicht realistisch. Um das europäische Asylsystem "irgendwie noch" zu retten, musste was passieren, ansonsten hätten wir ganz schnell Umstände wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern. Schauen wir mal, was jetzt passiert.

    • @Leningrad:

      "dass es nicht mehr so weitergehen wird wie bis jetzt, auch finanziell"



      Der Anspruch auf Asyl ist, zumindest in der Theorie noch ein in der Verfassung garantiertes Grundrecht. Wenn man dieses Grundrecht nun unter Finanzierungsvorbehalt stellt warum nicht auch andere Grundrechte? Das Recht auf Leben der demnächst in Rente gehenden Babyboomer wird finanziell auch ein ziemlicher Schlag ins Kontor werden. Sollte man da vielleicht auch mal über Obergrenzen nachdenken?

      • @Ingo Bernable:

        "Der Anspruch auf Asyl ist, zumindest in der Theorie noch ein in der Verfassung garantiertes Grundrecht."

        Stimmt. Aber haben sie das Grundgesetz mal gelesen?

        Da steht:



        "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

        Von Kriegs- und Armutsflüchtlingen war nie die Rede.

        Und schon in Absatz 2 heißt es, dass keiner berechtigt ist, der aus einem anderen EU-Staat kommt, oder aus einem sicheren Drittland.

        "Grundrecht unter Finanzierungsvorbehalt stellt"

        Es macht eben einen Unterschied, ob ein Recht ein sog. positives oder negatives Recht ist. Bei einem negativen Recht muss sich einer enthalten etwas zu tun, damit das Recht gewahrt wird. Z.B. Meinungsfreiheit: der Staat bewahrt diese indem er nichts tut, keine Zensur, keine Bestrafung derer, die ihre Meinung äußern. Es kostet nichts. Anders bei einem positivem Recht: hier muss jemand aktiv werden, damit das Recht gwahrt wird, z.B. freie Wahlen; diese müssen organisiert und Überwacht werden, Maßnahmen gegen Betrug getroffen; das kostet etwas.

        Das Recht auf Asyl an sich ist ein überwiegend negatives Recht: der Staat tut nichts, wenn ein anderer die Auslieferung eines Verfolgten fordert, und muss nur aktiv werden, wenn man dem Verfolgten auf seinem Territorium bedroht. Wenn man dieses Recht allerdings mit allerlei positiven Rechten verknüpft (Recht auf Wohnung, Krankenversorgung, Arbeitslosengeld / Sozialhilfe, Bildung), dann wird es Auswirkungen auf öffentliche Finanzen haben.

        Natürlich ist denkbar, dass ein Staat jeden einwandern lässt, ohne jede Obergrenze, aus welchen Gründen auch immer er sich dazu entschließt; dann kann er den Neuankömmlingen aber praktisch keinerlei Sozialleistungen anbieten.

        Die USA konnten lange Zeit sicherlich auch deshalb Zufluchtsort für Flüchtlinge (z.B. 48-ers)sein, weil es sie kaum was kostete: seinen Lebensunterhalt musste jeder selbst besorgen, für Schule und Krankenversorgung musste man weitgehend selbst aufkommen, und Bauland und Resourcen standen genug zur Verfügung.

    • @Leningrad:

      Wenn es gelingt, möglichst nur die dauerhaft aufzunehmen, die tatsächlich asylberechtigt (oder anerkannte Flüchtlinge nach der GFK) sind, kann die BRD auch weiterhin Flüchtlinge aufnehmen. Es ist nun einmal so, bei begrenzten Ressourcen muss man eine Auswahl vornehmen. Und genau hierzu dient ja das Asylverfahren, festzustellen, wer tatsächlich Anrecht auf Asyl hat, und wer nicht.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Menschenrechtsparfümerie.



    Dass die Bestrebungen, das Asylrecht auf EU-Ebene zu vereinheitlichen, am Ende dazu ausgenutzt werden würden, möglichst wenig davon übrig zu lassen, war vor 30 Jahren schon zu riechen.

  • Es wird ständig nur die Katastrophe auf der eine Seite (die Einwanderungsländer) betrachtet. Aber wie sieht es bei den Auswanderungsländern aus? Diese verlieren seit vielen Jahren junge Mitbürger, welche wahrscheinlich für immer verloren gehen. Arme Länder werden dadurch noch ärmer, weil Arbeitskräfte verloren gehen. Auch Wirtschaftskraft ganz allgemein.

    Gestern haben die USA die Nahrungsmittel-Hilfslieferungen nach Äthiopien gestoppt. Menschlich betrachtet auch eine Katastrophe. Aber gut gemeinte Hilfe ist eben nicht immer gut gemachte Hilfe. Speziell nicht, wenn sich an den korrupten und totalitären Regierungen sich nichts ändert. Mit einem besseren Asylgesetz oder noch mehr Entwicklungshilfe ändert sich an diesen Zuständen jedoch gar nichts. Im Gegenteil.

    • @Mopsfidel:

      "Es wird ständig nur die Katastrophe auf der eine Seite (die Einwanderungsländer) betrachtet."



      Die da wäre?



      "Aber wie sieht es bei den Auswanderungsländern aus?"



      Die aktuellen Hauptherkunftsländern sind aktuell die Ukraine, Syrien und Afghanistan. Wollen sie Menschen die vor den dortigen Zuständen tatsächlich den notwendigen Schutz verwehren damit sie die dortige Wirtschaft voranbringen?

      • @Ingo Bernable:

        Sie wissen aber schon, dass Ukrainer und Syrer nicht von der Regelung betroffen sind?