Prügelei beim AfD-Treffen in Gießen: „Die haben den Konflikt gesucht“
Bei den Protesten gegen die AfD-Jugend wurde ein AfD-Abgeordneter verletzt. Fünf Zeugen sagen der taz, die Aggression sei von AfDlern ausgegangen.
Es war eine kurze Szene, die innerhalb der extrem rechten AfD seit Wochen dafür genutzt wird, sich wieder einmal als Opfer darzustellen: Der Bundestagsabgeordnete Julian Schmidt und mindestens ein weiterer Parteifreund prügelten sich auf dem Weg zur Gründungsversammlung der AfD-Jugend mit Gegendemonstrant*innen.
Das zeigte ein kurzer Videoclip, der noch während des Parteitags im hessischen Gießen viral ging. Die AfDler teilten dabei aus, aber steckten wohl auch einen oder zwei Schläge ein: Der 36-jährige Bundestagsabgeordnete Schmidt, ehemaliger Zeitsoldat mit vier Auslandseinsätzen, posierte im Anschluss mit lädierter Nase und einem blauen Auge. Was vor dem kurzen Videoclip geschah: unklar. Bislang zumindest.
Die taz hat nun mit fünf Menschen gesprochen, die das Geschehen aus nächster Nähe erlebt haben. Sie waren aus Nordrhein-Westfalen angereist, um sich an den Protesten gegen die Gründungsveranstaltung der neuen AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ zu beteiligen. Was sie erzählen, steht in maximalem Widerspruch zu der von der AfD verbreiteten Märtyrer-Erzählung, dass Schmidt von aggressiven Antifa-Aktivisten ohne Vorwarnung angegriffen und „verprügelt“ worden sei.
Durch Rufe „Da sind Nazis!“ seien sie auf Schmidt und seine drei Begleiter aufmerksam geworden, berichten die Augenzeug*innen. Die AfDler seien am noch recht frühen Morgen überraschend am Rand der einzigen zugelassenen Gegenkundgebung auf der Westseite der Lahn aufgetaucht – und hätten sich alles andere als unauffällig verhalten. „Sie wollten gesehen werden und provozieren“, so drückt es einer der Gegendemonstrant*innen aus. Und auch die Gewalt sei von ihnen ausgegangen.
AfD-Mann soll Frau zuerst Knie in Bauch gerammt haben
Zwei Frauen, die sich den AfDlern zuerst in den Weg gestellt hätten, seien von diesen umstandslos attackiert worden. Ein Begleiter Schmidts habe einer Frau in gelber Warnweste, die mit ihrem Fahrrad unterwegs gewesen sei, sein Knie in den Bauch gerammt. Und als sie daraufhin nach vorne eingeknickt sei, habe er mit dem Ellenbogen auf ihren Kopf geschlagen. Die andere Frau sei von Schmidt selbst geschubst worden.
Eine Augenzeugin gewann den Eindruck: „Die haben den Konflikt gesucht, obwohl wir viel mehr waren.“ Vielleicht, um Videobilder zu produzieren, die sich anschließend propagandistisch ausschlachten lassen. Was ja auch geschah: Das Video, das wohl einer der AfDler drehte, wurde von der rechtsradikalen Wochenzeitung Junge Freiheit postwendend veröffentlicht und soll seither die Opfererzählung stützen.
Das Video setzt genau in dem Moment ein, als die von den Beobachter*innen geschilderten Attacken auf die beiden Frauen vorbei waren und sich weitere Menschen einmischten. Zu sehen ist darauf ein Handgemenge, an dem sich jedoch bloß wenige Gegendemonstrant*innen beteiligen. Die meisten stehen drumherum, in durchaus aggressiver Pose allerdings. Zweimal fliegt eine Faust in Richtung des Gesichts von Julian Schmidt. Zu Boden geht der Bundestagsabgeordnete aber nicht deshalb, sondern weil er, weit ausholend, selbst zuschlagen will, sein Ziel verfehlt und daraufhin das Gleichgewicht verliert.
Und auch der Mann, der zu Beginn die Radfahrerin angegriffen haben soll, schlägt noch einmal zu: Mit Anlauf verpasst er einem Demonstranten, dem der gestürzte Schmidt vor die Füße gefallen ist, einen rechten Schwinger gegen den Kopf. Dass der so Attackierte dafür irgendeinen Grund geliefert hat, ist nicht zu erkennen. Möglicherweise war der mutmaßliche Schläger schon mit Wut im Bauch nach Gießen gefahren: Wenige Tage vor dem Gründungskongress der „Generation Deutschland“ waren an seinem Studienort Marburg Flugblätter aufgetaucht, auf denen er als „Faschist“ geoutet wurde.
AfD-Abgeordneter scherzt über seine Boxtechnik
Die fünf Augenzeug*innen haben sich nicht bei der Polizei gemeldet, weil sie nicht wollen, dass ihre Namen und Adressen in den Ermittlungsakten landen – und damit irgendwann bei den beschuldigten AfD-Leuten. „Rechtsradikale“, sagt einer von ihnen, „sind gefährlich“. Sie hoffen aber, dass jetzt weitere Beobachter*innen oder Beteiligte des Geschehens ihrem Beispiel folgen und den Weg in die Öffentlichkeit suchen.
Direkt nach dem Vorfall hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete die Prügelei instrumentalisiert. Er habe einen „unglücklichen Zusammenstoß mit unseren Freunden von links“ gehabt, sagte Schmidt danach in einem Video, das er aus einem Auto wohl auf dem Rückweg postete. Er bedankte sich für Genesungswünsche und sei mit dem „sprichwörtlichen blauen Auge“ und einer gebrochenen Nase davon gekommen, sagte Schmidt da.
Ihm gehe es aber soweit ganz gut, er sei ja nicht aus Zucker – „aber an der Boxtechnik muss ich vielleicht doch noch ein bisschen arbeiten, das war durchaus ausbaufähig“, witzelte er. Er äußerte sich auch dazu, dass er und sein Begleiter danach von der Polizei festgehalten wurden. Das erklärte er damit, dass die Situation für die Polizei unübersichtlich gewesen sei. Sie habe nicht erkennen können, dass er Bundestagsabgeordneter sei. Da hat er wohl recht – dass Abgeordnete sich prügeln, kommt in der Regel selten vor.
Aber auch in Richtung der linken Gegendemonstrant*innen machte Schmidt danach eine Ansage. Er lasse sich nicht einschüchtern, sagte er: „Wir kämpfen weiter, weil wir ganz einfach im Recht sind“ – für „unsere Kinder, unsere Zukunft und Deutschland“. Direkt danach blendet er in seinem Video noch einmal den brutalen Schwinger seines Begleiters gegen den Kopf eines Gegendemonstranten ein, Ende des Statements. Auch eine Ansage.
„Auf in den Kampf“-Post
Auf Anfrage der taz zu den neuen Aussagen der Zeug*innen wies Schmidt die Darstellung zurück, dass die Aggressionen zuerst von seiner Gruppe ausgegangen sei. Er stellt es so dar: Die erste als Angriff zu wertende Aktion habe in seinem Rücken stattgefunden, als ein Demonstrant versucht habe, einem seiner Begleiter ein Notebook zu klauen.
Daraufhin sei es zu einer Rangelei gekommen. Von einem Angriff seinerseits könne keine Rede sein, so Schmidt. Auch sei seine Gruppe nicht provokativ und konfrontativ aufgetreten. Sein Begleiter, der auf dem Video so heftig zuschlägt und auch für die Kommunalwahlen 2026 als AfD-Kandidat in Marburg-Biedenkopf antritt, äußerte sich auf taz-Anfrage bislang nicht.
Schmidt bestätigte allerdings, dass er in der Nacht vor dem Gründungsparteitag in Gießen ein Foto bei Instagram postete mit der Aufschrift „Auf in den Kampf“. Ebenso gab er zu, dass er das Bild nach der Auseinandersetzung wieder gelöscht habe.
Auf taz-Anfrage behauptete er: Das „Auf in den Kampf“ sei selbstverständlich keine Ankündigung gewesen „im Sinne eines Kampfes, wie er dann stattfand, sondern bezog sich lediglich auf den ‚Kampf‘, die Versammlungsstätte trotz Blockaden irgendwie zu erreichen.“ Unter dem Eindruck der Vorkommnisse habe er es für angebracht gehalten, das Bild zu löschen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. „In der Rückschau wäre es in diesem Sinne jedoch wahrscheinlich sinnvoller gewesen, das Bild nicht zu löschen.“
Die Polizei wollte zum Ermittlungsstand und Tatablauf auf taz-Anfrage keine weiteren Angaben machen. Die eingesetzten Beamt*innen seien in einer „äußerst dynamischen Lage“ eingetroffen, bei der es zuvor „offensichtlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen“ sei.
Um weitere Eskalationen zu verhindern, seien die vor Ort angetroffenen Personen zunächst getrennt und kontrolliert worden. Die Polizei habe Identitäten von verschiedenen Personen festgestellt, weitere Details müssten die Ermittlungen zeigen. Über anderes Bildmaterial als die im Internet veröffentlichten Videos verfüge die Polizei nicht.
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