Provokation auf dem Tempelberg: Spiel mit dem Feuer
Kaum eine Woche im Amt, besucht Israels radikaler Minister Ben-Gvir den umstrittenen Tempelberg. Eine Eskalation nimmt er damit billigend in Kauf.
W er noch Hoffnung hatte, dass sich der radikale Siedlerführer Itamar Ben-Gvir als Minister zahmer geben würde, musste enttäuscht werden. Der wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung mehrfach verurteilte neue Chef im Ministerium für nationale Sicherheit setzt auf Eskalation: Nichts konnte diese Haltung klarer demonstrieren als der Besuch auf dem Tempelberg knapp eine Woche nach Amtsantritt.
Natürlich ist sich Ben-Gvir der Brisanz des Tempelbergs bewusst. Im September 2000 entzündete sich die zweite Intifada, als der damalige Oppositionsführers Ariel Scharon in Begleitung eines riesigen Sicherheitsaufgebots den Tempelberg besuchte. Und auch für den Krieg im Mai 2020 spielte der Tempelberg eine zentrale Rolle. Schon damals war Ben-Gvir an der Eskalation beteiligt.
Regierungschef Benjamin Netanjahu gilt nun als der Moderate dieser Regierung. Dass er Ben-Gvir nicht von seinem Besuch abgehalten hat, zeigt, wie wenig Netanjahu seine ultrarechten Koalitionspartner derzeit bremsen kann oder will. In den wenigen Tagen seit der Vereidigung der Regierung hat der ohnehin rechte Regierungsdiskurs einen weiteren großen Sprung nach weit rechts außen gemacht.
Die erste Klausel der gemeinsamen Koalitionsvereinbarung schreibt das „exklusive Recht auf alle Teile des Landes“ fest – inklusive der Gebiete „Judäa und Samaria“. Judäa und Samaria sind die von der israelischen Rechten verwendeten biblischen Bezeichnungen für das palästinensische Westjordanland.
Bahn frei für die Annexion
Am vergangenen Freitag forderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Internationalen Gerichtshof auf, sich mit dem rechtlichen Status der Besatzung zu befassen. Netanjahu kommentierte unmittelbar, dass das jüdische Volk kein „Besatzer in seinem eigenen Land“ sein kann. Selbst für ein feigenblattartiges Bekenntnis zu einer Zweistaatenlösung ist damit kein Platz mehr. Diskursiv wäre der Weg für eine Annexion des Westjordanlandes oder wenigstens Teilen vom palästinensischen Gebiet geebnet.
Die aktuelle Lage ist denkbar fragil. Das vergangene Jahr 2022 war das blutigste seit der zweiten Intifada. Die palästinensische Autonomiebehörde steht möglicherweise kurz vor dem Zusammenbruch. Dazu kommen Sofortmaßnahmen der neuen Regierung, wie die angekündigte Zwangsräumung von über 1.000 Palästinenser*innen in Massafer Yatta, südlich von Hebron im Westjordanland.
Sorge, dass eine unkontrollierte Horde von Rechtsextremen mit ihrer Expansionspolitik die Lunte zu einem Pulverfass anzünden, ist durchaus angebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen