Pro und Contra Koriander: Kontroverses Kraut
Die einen vergöttern ihn, die anderen finden ihn widerlich. Er steht für Weltläufigkeit – und arrogante Feinschmecker-Hipster. Ist Koriander gut?
P RO
Es ist die Krönung auf einem feurigen Taco an einem Marktstand in Mexiko-Stadt, die großartige Garnierung eines Madras-Currys an der tamilischen Küste, das perfekte Gewürz für eine Pho in Hanoi. Und hierzulande nichts Geringeres als ein Politikum: Denn Koriander polarisiert.
Zu Unrecht. Das zärtliche grüne Kraut ist aromatisch, frisch, zitronig. Gemahlene Korianderkerne bringen jede Gewürzmischung zum Glänzen. Es mag zwar nicht der Headliner eines Gerichts sein, aber die Vorband ist bekanntlich eh oft besser als der Main Act. Das spricht für die Bescheidenheit des Korianders: Er erzeugt große Wirkung mit wenigen Mitteln. Er ist effizient. Doch in Deutschland ist er oft ein missverstandenes, sogar verhasstes Kraut. Dass er manchen Deutschen nicht schmeckt, dafür kann er nichts.
Die Szenen dürften vielen Leser*innen vertraut sein: Eine Alman-Gruppe betritt ein asiatisches Restaurant und das einzige, was sie mehr ins Schwitzen bringt als die Chili-Symbole neben manchen Gerichten auf der Speisekarte, ist die schiere Angst, dass ihr Abendessen damit gewürzt wird. Koriander? Nein danke. Einmal komplett ohne Geschmack bitte. Oder kann man hier eigentlich nicht einfach ein Schnitzel bestellen?
Klugscheißer werden diese Abneigung auf die Genetik schieben. Einer Studie von 2012 im wissenschaftlichen Journal „Flavour“ zufolge könnte das Gen OR6A2 dafür verantwortlich sein. Menschen, die das sogenannte „Koriander-Gen“ hätten, schmeckten das seifige Aldehyd in den Blättern, so die Studie. Bedeutende Nachweise dafür gibt es allerdings nicht. Eine andere Studie von 2012, ebenfalls im „Flavour“ erschienen, legt stattdessen nahe: Entscheidender sei unser kulturelles Umfeld.
So oder so sieht es schlecht aus für die Deutschen. Denn hierzulande gibt es verdächtig viele Korianderhasser. Und damit beweisen die Deutschen einmal mehr ihre Weltverschlossenheit. Mexikanische Tacos? Indischer Curry? Vietnamesische Pho? Fehlanzeige, zumindest nach „authentischer“ Zubereitung. Deutschland bleibt damit die unexotische Öde schlechthin, deren kulinarische Kultur in Königsberger Klopsen, Bretzeln und Haribo gipfelt. Und entweder liegt das an den Genen. Oder an der Kultur. Möglicherweise an beiden. Nicholas Potter
CONTRA
Karl Konrad Koriander heißt der geheimnisvolle Antiquar aus der Unendlichen Geschichte von Michael Ende, der Bastian auf die Reise nach Phantasien schickt. Ein ehrwürdiger, besonderer Name, der Autorität ausstrahlt. Ein wenig poetisch, ein wenig merkwürdig, auf jeden Fall etwas für Eingeweihte.
In meiner Kindheit in den 80er Jahren gab es außer in dem Buch noch keinen Koriander. Allenfalls Petersilie, etwa in der Suppe oder in der Wurst vom Metzger, aber die hab ich selbstverständlich schon damals, wie alles, was grün war, abgelehnt.
Menschen hingegen, die Koriander mögen, meditieren morgens in ihrer reduziert eingerichteten Altbauwohnung auf ihrer Baumbusmatte, neben sich einen tönernen Becher erlesensten Pu Erh Tees. Die Klangschale schwingt, der Atem fließt, das Chi wird sanft geweckt. Dann wird es auch schon Zeit für eine Pho Bo Bowl beim Vietnamesen um die Ecke. Natürlich mit ordentlich Koriander garniert. Es sind weltläufige und feinschmeckerische Menschen, die ihr Essen entschleunigt genießen. Von ihren Reisen durch Südostasien wissen sie um das geheimnisvolle Aroma und die Bedeutung des Koriander. Sie gehören zu den Eingeweihten.
Ich hingegen gehöre zu den Menschen, die dies Grünzeug schlicht widerlich finden. Was man ja eigentlich auch wieder nicht soll, Essen als „widerlich“ zu betiteln. Menschen, die Koriander mögen, würden das nicht tun.
Leute wie ich, die sich wohl oder übel dem Team Ketchup oder Maggi zuordnen müssen, sind da nicht so feinsinnig. Bei uns funktioniert nur zusammengepanschte, industriell gefertigte Massenware, die man wahllos über jede Mahlzeit schüttet, damit die Geschmacksknospen überhaupt was mitkriegen, während man das Zeug in sich reinschlingt. Nur halt eins bitte nicht: Koriander.
Schon ein paar Blättchen davon können jedes noch so schmackhafte Essen mit diesem ekelhaft penetranten Gemisch aus überdüngter Petersilie und ja, Seife, geradezu verseuchen.
Aber offenbar liegt meine Abneigung gar nicht mal so sehr an meiner Unkultiviertheit, denn wie eine Kollegin von ihrem Freund weiß, der Biologe ist, gibt es ein Gen, das dafür verantwortlich ist, Koriander nicht zu schätzen. Ein Geruchsrezeptor mit dem sehr prosaischen Namen OR6A2 entscheidet darüber, ob man Koriander als seifig empfindet oder nicht. Es sei, so die Kollegin weiter, wie mit dem Spargelpipi, der bei manchen Leuten und bei anderen eben nicht, nach Spargelpipi riecht. Sunny Riedel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels