Potsdamer „Remigrations“-Treffen: Correctiv muss sich korrigieren
Ein Teilnehmer des Potsdamer Treffens war vor Gericht gezogen. Der Kern der Correctiv-Recherche bleibt davon allerdings unberührt.
Der Jurist Ulrich Vosgerau war vor dem Hamburger Landgericht gegen mehrere Stellen in dem Correctiv-Text vorgegangen, der seit Wochen die Republik bewegt und Massendemonstrationen gegen die AfD ausgelöst hat. Der Kern der Berichterstattung, die Pläne zur massenhaften Ausweisung, war davon nicht berührt.
Vosgerau verlangt von Correctiv die Unterlassung mehrerer ihm zugeschriebener Äußerungen, sowohl auf dem Treffen selbst als auch hinterher auf Correctiv-Nachfrage. Sein Antrag auf eine einstweilige Verfügung wurde in zwei von drei Punkten abgewiesen. Erfolgreich war er in Bezug auf eine Äußerung bei dem Treffen im Landhaus Adlon bei Potsdam: Bei Correctiv hatte es geheißen, Vosgerau habe dort „ein Musterschreiben“ in Erwägung gezogen, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen: „Je mehr mitmachten, umso höher die Erfolgswahrscheinlichkeit“, habe er gesagt.
Vosgerau machte in seinem Unterlassungsantrag geltend, er habe im Gegenteil ein massenhaftes Vorgehen gerade nicht befürwortet und darauf hingewiesen, dass der Erfolg einer Wahlprüfungsbeschwerde nicht davon abhänge, wie oft sie eingereicht werde, sondern davon, wie gut sie begründet sei.
Vosgerau nicht durchgehend erfolgreich
Das Landgericht folgte ihm und untersagte die Correctiv-Darstellung in diesem einen Punkt. Correctiv habe zum Wortlaut von Vosgeraus Äußerung nichts Konkretes vorgetragen. „Das Gericht hatte deshalb von der Unrichtigkeit des Zitats auszugehen“, teilt es in einer Pressemitteilung mit.
Keine Rolle haben für diese Entscheidung laut Gerichtssprecher Kai Wantzen sieben weitgehend gleichlautende eidesstattliche Versicherungen von Teilnehmer:innen des Potsdamer Treffens gespielt, die Vosgerau mit seinem Antrag vorgelegt hatte. In diesen geht es um das zentrale Thema, das dem Treffen nach der Correctiv-Berichterstattung die große Aufmerksamkeit beschert hatte: die Ausführungen des rechtsextremen Vordenkers der Identitären Bewegung, Martin Sellner, über Pläne zur „Remigration“. Die Correctiv-Darstellung dieser Kernthematik hatte Vosgerau mit seinem Unterlassungsbegehren aber gar nicht angegriffen.
Lediglich die Formulierung, auf Correctiv-Nachfrage habe er sich nicht daran erinnern wollen, dass Sellner auch die Ausbürgerung von deutschen Staatsbürgern ins Spiel gebracht habe, bestritt Vosgerau – erfolglos. Auch dass Vosgerau in Potsdam bei dem Thema Briefwahl „Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten“, geäußert habe, wertete das Gericht als zulässige Zusammenfassung der Ausführungen, die er später gegenüber der Correctiv-Redaktion gemacht hatte.
Vosgerau ist also in allen Punkten unterlegen, die das Themenfeld „Remigration-Staatsbürger-Ausbürgerung“ betreffen. Er muss dementsprechend auch zwei Drittel der Verfahrenskosten tragen.
Weiterer Unterlassungsantrag noch offen
Über den zweiten beim Hamburger Landgericht anhängigen Unterlassungsantrag des nordrhein-westfälischen Unternehmers Klaus Nordmann hat die Pressekammer noch nicht entschieden. Nordmann soll laut Correctiv auf einer Liste von Spendern für das Geheimtreffen gestanden haben, bestreitet aber, gezahlt zu haben.
Die Correctiv-Redaktion war bis Dienstagnachmittag für die taz nicht erreichbar. In einer Stellungnahme zitierte sie ihren Anwalt Thorsten Feldmann, der Beschluss der „besonders strengen“ Hamburger Kammer sei ein „großer Erfolg“.
Vosgeraus rechtliche Schritte sind als Teil einer Kampagne zu verstehen, mit der die AfD derzeit versucht, das Potsdamer Treffen zu relativieren. Vosgerau, der selbst CDU-Mitglied ist, aber die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung rechtlich vertritt, soll am Donnerstag im Hamburger Rathaus bei der AfD-Veranstaltungsreihe „Fraktion im Dialog“ auftreten. Der Titel des Abends: „Was passierte in Potsdam wirklich? Ein Teilnehmer berichtet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist