Peng will Biontech-Impfstoffanleitung: Sie haben es in der Hand
Das Polit-Kollektiv Peng ruft zum Leak des Rezepts für den Biontech-Impfstoff auf. Es kritisiert die weltweit ungleiche Verteilung der Impfstoffe.
Hinter dem direkten Aufruf steht das Berliner Polit-Kollektiv Peng, das die Gerechtigkeitsfrage angesichts der weltweit ungleichen Verteilung der Impfstoffe zum Gegenstand seiner neuen Kampagne gemacht hat. Wie üblich bei ihren Aktionen gibt es dazu ein Video und mit biontech-leaks.org eine eigene Website.
„In Anbetracht dieser globalen Krise, in der nicht alle Länder den gleichen Zugang zu den Impfstoffen haben, muss das Wissen geteilt werden“, sagt Kampagnensprecherin Robin Barnabas im Gespräch mit der taz. Erst dann könnten mehr Fabriken, auch im Globalen Süden, in die Produktion einsteigen und dafür sorgen, dass Menschen nicht noch Jahre auf eine Impfung warten müssen.
Empfohlener externer Inhalt
Nach Plänen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen mittels der Covax-Initiative, einem globalen Einkaufsmechanismus, in diesem Jahr 20 Prozent der Bevölkerung in den ärmsten Ländern geimpft werden. Selbst wenn das gelingen sollte, heißt das im Umkehrschluss: Während die Bevölkerungen in vielen westlichen Ländern noch in diesem Jahr durchgeimpft werden sollen, wird das in großen Teilen Afrikas nicht vor 2023 der Fall sein. Sie stehen am „Ende der Impfstoffwarteschlange“, wie Barnabas sagt. Von zwei Milliarden Dosen, die Biontech bis einschließlich 2021 produzieren will, sind 98 Prozent für zahlungskräftige Länder mit Exklusivverträgen vorgesehen, nur 40 Millionen Dosen für Covax.
Industrienationen blockieren
Peng will die Veröffentlichung der Herstellungsanleitung für den mRNA-Impfstoff. Die Kampagnenseite verlinkt zur Enthüllungsplattform Wikileaks und zum Datenkollektiv Ddosecrets, bei denen geleakte Unterlagen hochgeladen werden könnten. Eine Veröffentlichung und der damit einhergehende Wissenstransfer würde andere Hersteller zumindest theoretisch in die Lage versetzen, das Vakzin selbst herzustellen.
Trotz des komplizierten Verfahrens wären laut Schätzungen von Expert*innen weltweit mehr als 1.000 Unternehmen, darunter viele indische, fähig, mRNA-Impfstoffe zu produzieren – auch relativ kurzfristig. In der Schweiz wird der vergleichbare Impfstoff von Moderna von einem Chemieunternehmen hergestellt, das zuvor keine Erfahrung mit der Produktion von Impfstoffen hatte. In Marburg vergingen von der Ankündigung Biontechs, die Behringwerke vom Pharmakonzern Novartis zu übernehmen, bis zum Start der Impfstoffproduktion Ende Januar keine fünf Monate.
Um rechtssicher produzieren zu können, bräuchte es für Staaten und Unternehmen aber auch noch das Patent, das Biontech und Pfizer für sich beanspruchen. Dabei könnten bei Katastrophen wie der Coronapandemie laut dem TRIPS-Abkommen der WTO über geistige Eigentumsrechte Patentrechte auch ausgesetzt werden. Diesen Weg haben Südafrika und Indien im Oktober bei der WTO beantragt und über 100 Länder schlossen sich an. Dagegen stehen jedoch jene Industrienationen, in denen die Pharmakonzerne ihren Sitz haben, von den USA über Kanada und der Schweiz bis zur Europäischen Union. In einer Stellungnahme aus dem Bundesjustizministerium hieß es, der Antrag sei „nicht zielführend“.
Profitinteressen stehen im Vordergrund
Lara Dovifat von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen sagt im Gespräch mit der taz, die Politik schütze das „Interesse der Industrie auf Absatzmärkte, Monopolstellungen und hohe Preise“. Es ginge „eher um Kapitalinteressen als um das Überleben von Menschen im Rest der Welt.“ Wie auch die Aktivist*innen von Peng weist sie zudem die Argumentation zurück, dass es ohne Patentrechte keine Innovation gebe.
Einerseits findet die Grundlagenforschung überwiegend an öffentlichen Universitäten statt, andererseits gibt es massive öffentliche Unterstützung. Allein Biontech profitierte bei seiner Impfstoffentwicklung von einer staatlichen Förderung von 375 Millionen Euro sowie weiteren 100 Millionen von der europäischen Investitionsbank. Beim Impfgipfel Anfang Februar hat Biontech einen möglichen Finanzbedarf von bis zu 400 Millionen Euro für die Reservierung von Kapazitäten und Rohstoffen dargelegt; Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, darüber zu beraten.
Am 1. und 2. März will die WTO zunächst auf ihrer Generalversammlung und eineinhalb Wochen später auf dem TRIPS Council erneut über den Antrag zur Aussetzung der Patente beraten. Bislang weigerten sich die westlichen Staaten auch nur über den Antragstext zu diskutieren, so Dovifat. Ein Scheitern des Antrages wäre für sie auch angesichts der Patentpolitik der vergangenen Jahrzehnte „nicht überraschend“.
Patent braucht Rezept
Aber ohne das technische Know-how, wie die Impfstoffe zu produzieren sind, hilft auch die Aussetzung der Patente nicht. „Es muss das Wissen geteilt werden, wann welche Chemikalie in welchen Topf hinzugefügt werden muss“, sagt Dovifat. So hat der Impfstoffhersteller Moderna zwar zugesichert, seine Patentrechte in Pandemie-Zeiten nicht durchzusetzen, aber das praktische Wissen zur Herstellung teilt die Herstellerfirma Lonza nicht. Auch deshalb hält Dovifat den Aufruf von Peng für ein spannendes Mittel, um zivilgesellschaftlichen Druck zu erzeugen.
Dass die Regierungen dafür nicht gänzlich unempfänglich sind, zeigten moralische Appelle, etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron an die Hersteller, ihr Wissen zu teilen. Wenn die eigene Impfstoffversorgung ins Stocken gerät, scheint man selbst in der Union bereit, über drastische Maßnahmen nachzudenken. So sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei Manfred Weber vor einer Woche: „Das Know-how, das Biontech hat, muss auch eventuell unter Zwang bereitgestellt werden.“
Sobald die Herstellungsanleitungen bekannt sind, könnten auch Länder des Globalen Südens Zwangslizenzen erteilen und damit den bestehenden Patentschutz außer Kraft setzen. Bei der Herstellung von HIV-Medikamenten hat das etwa Südafrika schon gemacht – und wurde von westlichen Pharmafirmen und Regierungen mit Klagen und der Androhung von Wirtschaftssanktionen überzogen. Letztlich aber half zivilgesellschaftlicher Druck dem Land, mit seiner Praxis durchzukommen.
Auf ein ähnliches Szenario könnte auch die Aktion von Peng abzielen. Auf den deutschen Staat jedenfalls hoffen sie nicht; stattdessen appellieren sie an die Biontech-Mitarbeiter*innen: „Du hast Zugriff auf die geheimen Rezepte. Du kannst das Wissen teilen. Du hast es in der Hand. Leake jetzt die Herstellungsanleitung für den Biontech-Impfstoff.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe